Weihnachten in Guatemala
Weihnachten
Acht Uhr morgens. Ich bin soeben erwacht. Draussen höre ich Lazaro im Käfig rumoren. Ich bin allein im Haus. Ob der kleine Kerl mir wohl gehorcht? Ich trage den Käfig von der Küche in den Hof, öffne die Tür und strecke vertrauensvoll den Finger hinein. Vorsichtig hangelt er sich mit dem Schnabel heran und kommt heraus. Scheint ihm zu gefallen, jedenfalls klettert er sofort auf meine Schultern und schaut mir von da beim Frühstückmachen zu.
Ich gebe es zu, ich bin nicht besonders mutig, wenn ich in einer fremden Küche bin. Mich befremden die Speisereste, die von gestern, oder noch länger, aufbewahrt werden und von denen ich nie sicher bin, ob sie wohl morgen wieder auf meinem Tisch landen. Auch den Abwasch möchte ich nicht sehen. Meistens wird hier nämlich nur mit kaltem Wasser gespült. Aber ich finde ein frisches Joghurt, eine Müeslimischung und viel frische Früchte. Also schnipsle ich einen dieser kitschig roten Apfel sowie eine süsse kleine Banane und gebe ein paar frische Trauben dazu. Ich bringe es auch fertig, auf dem Gasherd heisses Wasser für den Kamillentee zu machen und auf das Müesli streue ich die farbigen Zuckerkügelchen, die auf dem Tisch stehen. Ich geniesse mein Weihnachtsfrühstück, immer unter Aufsicht von Lazaro, dem es auf meiner Schulter zu gefallen scheint.
Rigoberto und Familie sind gestern zu seinen Eltern gefahren. Sie hatten mich eingeladen, mitzukommen, aber weil ich schon bei Rebeca eingeladen war, fuhren sie allein. Nicht ohne sich zuvor noch zu vergewissern, ob ich auch wirklich allein zurecht kommen würde. Um zwei hatten sie sich erst mal verabschiedet, Reyna musste nur noch ein paar Geschenke einpacken. Kurz vor fünf sind sie dann endgültig abgefahren. Immer wieder gab es da oder dort noch etwas Dringendes zu erledigen. Gewisse Dinge sind international. Auch mir kommt immer gerade dann, wenn ich eigentlich aus dem Haus gehen sollte, noch in den Sinn, dass die Waschmaschine noch gefüllt, die Flaschen entsorgt oder der Karton in den Keller gebraucht werden sollte.
Ich hatte den gestrigen Nachmittag damit verbracht, Weihnachtsgeschenke einzupacken. Rebecas Familie ist ziemlich gross. Die Geschenke brachten wir erst mal zu ihrer Schwester Esther mit der dringenden Bitte an die Kinder, diese nicht anzurühren. Über dem Feuer im Hof dampfte ein Topf. "Meine Schwester macht die besten Chuchitos" vertraute mir Rebeca an, bevor wir das Haus wieder verliessen und mit dem überfüllten Bus zum nächsten Dorf fuhren.
Wir besuchten ihre Freundin Marta. Ich bin immer wieder überrascht, was sich hinter den verschlossenen Türen versteckt. Die Häuser bestehen hier eigentlich vor allem aus einem ummauerten Grundstück, in das ein Haus gebaut ist. Das heisst, eigentlich sind es verschiedene Räume, die sich an die Mauer reihen. Wir traten also durch die Türe direkt in einen Wohnraum, in dem nebst zwei alten Sofas und dem Weihnachtsbaum auch Martas Motorrad seinen Platz hatte. Marta hatte Besuch von ihrem Cousin Louis, der noch etwas mitgenommen schien von einer Feier vom Vorabend und einem Freund aus dem Peten, das ist das Tiefland im Norden, im Regenwald.
Marta und ihre Schwester Mari Elena sind die besten Freundinnen von Rebeca und deren Schwester Miriam, die etwas später auch noch dazu kam. Sie hatte noch eine Verabredung mit einem deutschen Novio. "Amigo", stellte sie richtig, "kein Verlobter". "Aber du kannst doch nicht vier Stunden mit einem Amigo sprechen, was habt ihr denn da getan?" neckte Marta. Auch Rebeca fand, das sehe eher nach Novio aus. "Bring ihn doch morgen zum Weihnachtsessen mit, Beatrice kommt auch". "Das geht nicht, er ist doch nur ein Amigo", wand sich Miriam. Typische Frauengespräche. Necken und Kichern, richtige Freundinnen. Marta servierte Ponche. Ein traditioneller Früchtepunsch, für den jede Familie ein eigenes Rezept hat und der vor allem an Feiertagen getrunken wird. Heiss und süss war er und in der Tasse schwammen Rosinen, getrocknete Zwetschgen und Jocote, eine Art Aprikose. Von daher kommt auch der Name des Dorfes, in dem ich wohne: Jocotenango.
Dazu passten meine mitgebrachten Zimtsterne. Ich war froh, dass ich diese im letzten Moment noch in meinen Koffer gepackt hatte. Später öffnete Marta eine Schachtel Wein, ja richtig, keine Flasche, sondern eines dieser Tetrapacks. Das machte der Stimmung aber keinen Abbruch und wir prosteten uns mit den Wassergläsern zu.
Neben dem Sofa stand ein kleiner Christbaum sowie eine Krippe. "Dioses mio", rief ich aus, als ich mir diese genauer ansah. "Das sind ja zwei Jesus. Das ist wohl normal in Guatemala, da hat man mehr als ein Kind." Wir machten Spässe und die ganze Zeit dudelte die Weihnachtsbeleuchtung des Baumes und der Krippe Weihnachtlieder.
Als ihre Mutter von der Messe zurückkam, gab es eine grosse Bescherung. Es wurden Geschenke ausgepackt und überschwänglich verdankt. Und dann war es Zeit zum aufbrechen. Eine Umarmung, muchas gracias y Feliz Navidad. und wir standen wieder auf der Strasse, in der sich unterdessen die Menschen tummelten. Jugendliche zündeten Feuerwerk und Knallfrösche. Ganze Familien sassen draussen auf und neben der Türschwelle und sahen, was da vor sich ging. Wir suchten uns ein Tuctuc und fuhren zum Haus eines Onkels.
Es war ein winzig kleiner Laden, bei uns wäre das nicht einmal ein Kiosk, durch den wir eintraten. Durch eine halboffene Türe sah ich in einen Schlafraum mit mindestens drei Betten und im Hof stand ein grosser Tisch, an dem sich schon einige Leute niedergelassen hatten. Ich wurde den Tanten, Onkeln und Cousins vorgestellt und eingeladen, Platz zu nehmen. Vorher wollte ich aber noch die Grossmutter begrüssen, die etwas abseits in einem Sessel vor dem Fernseher sass. Ich bin nicht sicher, ob sie mich überhaupt richtig wahrnahm. Ihr kleines runzeliges Gesicht erzählte von vielen Jahren Kampf ums Überleben. Sie war jetzt 91 und hatte bis vor 6 Jahren in der Kaffeeplantage gearbeitet.
Auf dem Tisch standen Cola und Sprite und bei den Männern machte eine Flasche Rum die Runde. Ausserdem gab es etwas Brot und mir wurden Paches angeboten. Wie gesagt, ich bin nicht sehr mutig, wenn es heisst an fremden Orten zu essen, aber da musste ich jetzt einfach durch. Die Pache erwies sich dann aber als wirklich sehr gut. Es war eine Art gewürzter Kartoffelstock mit Gemüse und ganz wenig Fleisch, geschmort in einem Bananenblatt. Die Hausfrau freute sich, dass ich die ganze Portion aufass. Auch hier wurde mir Ponche angeboten, doch hier war er mit Ananasstücken und Nelken und Pfeffer gewürzt. Er schmeckte ebenfalls sehr gut, wenn auch komplett anders als der Süsse, den es bei Marta gab.
Natürlich musste ich die grosse Krippe bestaunen. So gross wie ein Tisch war sie mit vielen Figuren. Kein Wunder, der Onkel hatte sie selber gemacht und verkaufte sie. Auf einem kleinen Tisch war seine Werkstatt. Hier standen verschiedene rohe Lehmfiguren, während die bemalten an einer Leine aufgehängt waren. Daneben stand eine Werkbank, die offensichtlich einem Möbelschreiner gehörte. Eine halbfertige Kommode mit Schnitzereien stand darauf und rundherum stapelten sich alte Schranktüren. Mir war nicht klar, ob diese zur Reparatur da waren oder noch repariert werden sollten. Die Krippe dudelte auch hier ihre Lieder und über den Köpfen lief der Fernseher stumm. Wir sassen also um den Tisch, redeten und tranken Ponche, Cola und Cuba libre. Der Boden bestand aus gestampfter Erde und über uns das Dach war aus Wellblech und Plastik. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es hier zur Regenzeit aussieht, wenn es jeden Tag mindestens eine Stunde heftig regnet.
Nach zwei Stunden brachen wir wieder auf. Rebecas Mutter und Schwester sowie Jordan, der kleine Neffe gesellten sich zu uns und wir spazierten zum Haus der Schwester Esther, wo wir vorher unsere Geschenke gelassen hatten. Natürlich wurden wir von den Kindern sehnsüchtig erwartet und es schien, dass sie die Geschenke wirklich nicht berührt hätten. Jetzt war es Zeit für die grosse Bescherung. Und dann musste ich unbedingt eine dieser Chuchitas probieren. Das sind Maisblätter, gefüllt mit einer Masse aus Maismehl, und diese wiederum gefüllt mit Hackfleisch. Zu trinken gab es nichts. Vielleicht hat niemand daran gedacht, vielleicht hatte man aber auch einfach nichts, das man hätte anbieten können.
Wir sassen im Wohnzimmer, das mit den beiden Betten wahrscheinlich das Schlafzimmer der ganzen Familie ist. Mutter mit 4 Kindern zwischen 1 und 8 Jahren. Den Vater hatte ich noch nie kennen gelernt. Er schien nicht hier zu wohnen. Wir können uns ganz einfach nicht vorstellen, so zu wohnen. Abgewaschen wird im Hof. Und da steht auch der Herd, auf dem bis vorhin die Chuchitas gekocht hatten. In einem zweiten Raum wird etwas Vorrat aufbewahrt und was man halt so zum Leben braucht. Ausserdem gibt es da einen mit Plastikfolie abgedeckten Raum hinter dem sich die Dusche und vielleicht auch das WC verstecken. Der Boden des ganzen Hauses besteht aus gestampfter Erde.
Doch all das störte überhaupt nicht. Es wurde gescherzt, Geschenke begutachtet und schon bald war es Zeit, sich zu verabschieden. Draussen waren unterdessen noch viel mehr Leute unterwegs und Feuerwerk knallte an allen Ecken. Eine letzte Umarmung, ein letztes Feliz Navidad. Ich suchte ein Tuctuc, das mich ohne Zwischenfall nach Hause brachte.
Auf dem Heimweg begegnete ich einem Auto, in dem lauter verkleidete Menschen in Affenkostümen sowie ein Santa Claus sassen. Solche Prozessionen hatte ich schon einige gesehen und ich bekam immer mehr den Eindruck, dass hier Karneval, Weihnachten und Weihnachtsmann zusammengemixt werden
Es war gerade Mitternacht, als ich zu Hause ankam und damit fing das Feuerwerk überhaupt erst an. Leuchtende Sterne stiegen in den Himmel, wobei die Knallerei wohl viel wichtiger war, als die farbigen Lichter.
Unterdessen hat Lazaro genug von mir, ungeduldig wechselt er von einer Schulter zur anderen und weil er jetzt auch noch anfängt, an meinem Ohr zu knabbern, bringe ich ihn zurück in den Hof. Es ist sowieso Zeit, mich zurecht zu machen, ich bin zum Mittagessen bei Rebe's Familie eingeladen.
Aufbruch: | 21.12.2007 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 08.01.2008 |