Weihnachten in Guatemala
Elisabeth
Als ich ankomme, sind alle noch bei den Vorbereitungen. Miriam macht Guacamole aus wunderbaren Avocados, wie wir sie bei uns kaum sehen. Rebeca macht die Salatsosse, Mama kocht das Fleisch und Esther, die Schwägerin, in deren Haus die Familie wohnt, kocht Rosa de Jamaica, eine Art Tee. Jorge, der Bruder sieht sich im Zimmer einen Film an, er braucht noch etwas Ruhe, er hat wohl gestern etwas viel Rum und Bier erwischt.
Das Haus hat eine ungewöhnlich grosse Küche, die gleichzeitig auch der Wohnraum ist. Daneben gibt es drei kleine Zimmer. Das erste teilen sich Rebeca und Miriam. Im zweiten schläft die Schwester Rosio mit dem kleinen Jordan und Mama und eine weitere Schwester, Sarah, die Mutter des Kleinen. Und im dritten Zimmer wohnen Jorge und seine Frau Esther.
Auf den Tisch kommt ein dünnes Plastiktischtuch mit Weihnachtsternen und verschiedene Teller. Ich weiss nicht, ob man irgend etwas extra meinetwegen macht, aber ich glaube es eigentlich nicht, ich bin nicht zum ersten Mal bei der Familie. Beim ersten mal war es allerdings sehr förmlich. Alle waren sehr schön angezogen, sogar der Vater, der damals noch bei der Familie wohnte, wurde in einen Anzug gezwängt, und Irma und ich kamen uns in unseren Jeans und T-Shirts ziemlich daneben vor. Das passiert mir heute nicht mehr, ich habe mich festlich angezogen, aber die Stimmung heute ist bedeutend lockerer, als vor drei Jahren.
Inzwischen ist auch die verheiratete Schwester Esther mit ihren Kindern eingetroffen und das Essen wird aufgetragen. Ein Platz am Tisch bleibt leer. Für Elisabeth haben wir die grosse Kerze angezündet, die ich mitgebracht habe. Das Essen schmeckt fein, es wird gescherzt und gelacht. Doch dann plötzlich kann die Mutter die Tränen nicht mehr zurück halten. Sie, die immer so beherrscht wirkt. Deren Züge sehr streng wirken, wird von Schluchzen geschüttelt. Und nicht nur sie, reihum fliessen Tränen. Elisabeth fehlt. Sie wird immer fehlen, aber sie wird auch immer da sein. Und ihr täglicher Kampf hat ein Ende. Es ist nicht einfach, tröstende Worte zu finden und wahrscheinlich ist es am besten, mitzuweinen. Miteinander lachen, miteinander weinen, das macht wohl echte Freundschaft aus, und die geht weit über das materielle hinaus, weit darüber hinaus, was uns alles trennt.
Zum Dessert gibt es importierte Äpfel und Trauben. Die gehören zu Weihnachten wie bei uns Mandarinen und Nüsse. Später spiele ich mit den Kindern Domino und Schwarzer Peter.
Ich bekomme ein Geschenk. 'Es muy sensilla, pero de todo corazon'. Es ist einfach, aber von ganzem Herzen, sagt Esther im Namen der Familie. Es ist ein handgewobener roter Tischläufer mit weihnachtlichen Motiven. Er wird mich nächstes Jahr an diese ganz spezielle Weihnacht erinnern. Muchas gracias.
Und dann ist es Zeit, auf den Friedhof zu gehen. Mama hat ein paar Blumen besorgt und so machen wir uns auf, Elisabeth zu besuchen. Jorge hat sich wieder in sein Zimmer zurückgezogen, die Flasche Rum, die auf dem Tisch stand, ist leer.
Auf dem Friedhof ist niemand ganz sicher, in welcher Tumba Elisabeth wohl ist. Man einigt sich auf diejenige, die ganz frisch zugemauert ist. Da hängt ein Kessel. Jemand organisiert eine mehrfach geflickte Leiter, und zaghaft steigt Rosio hinauf und holt den Kübel herunter. Darin werden nun die Blumen arrangiert und mit Erde verankert. Sarah hat eine Plastikkanne gefunden, mit der sie Wasser bringt. Und auch in diese Kanne werden ein paar Blumen gestellt, bevor Rosio beides wieder hinaufhängt.
Ein kurzes Gedenken und dann wollen wir gehen. "Nein" sagt Miriam "ich möchte, dass man sieht, für wen die Blumen sind, ich lasse sie nicht für irgend jemanden hier." Also steigt Rosio nochmals auf die Leiter und schreibt mit einem roten Ziegelstein auf die Mauer: BETTY
Aufbruch: | 21.12.2007 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 08.01.2008 |