Zwischen Urlaub und Alltag
In einheimischer Begleitung neues Land zu erkunden ist immer etwas Einzigartiges. Besonders, wenn einem noch die Zeit bleibt, seine ganz eigenen Erfahrungen zu machen.
Kein Schlaf
Samstag, 09.01.2010
Mein Visum hatte ich mir schon in Berlin in den Pass kleben lassen. Um das Ausfüllen der Einreiseformulare komme ich aber trotzdem nicht herum. Es ist zirka halb drei morgens, als ein freundlicher Mitarbeiter bei der Einreise nach Kenia diesen Wisch gleich für uns alle drei ausfüllt. Wir drei, das ist meine Ehefrau Carol unsere einjährige Tochter Kimmy und meine Wenigkeit. Obwohl Carol als einzige von uns einen kenianischen Pass besitzt, stellen wir uns allesamt in der Citizen-Reihe an und stehen nur wenige Minuten später mit vollständigem Gepäck vor der Ankunftshalle des Jomo Kenyatta International Airports in Nairobi. Meine erste Amtshandlung führt mich zum Geldautomaten. Der Umrechnungskurs ist recht übersichtlich. Für einen Euro bekommt man ungefähr 100 kenianische Schilling (KSh).
Nur wenige Taxifahrer wittern das Geschäft zu dieser frühen Stunde. Doch ein Taxi brauchen wir ohnehin nicht. Maureen, eine Freundin von Carol, hat uns einen Fahrer geschickt, er soll gegen vier Uhr hier aufkreuzen. Unsere Versuche, über Maureen dem Fahrer unsere vorzeitige Ankunft mitzuteilen, scheitern zunächst am schwachen Mobilfunknetz. Also müssen wir irgendwie die Zeit totschlagen. Da kommt es mir nicht ungelegen, dass die Bar vor dem Terminal gerade öffnet und ich mir das erste Tusker, eines der beliebtesten einheimischen Biere, zu Gemüte führen darf.
Der Fahrer ist unterwegs, erfahren wir einige Zeit später als sich das Funkloch mal für wenige Minuten geschlossen hat. In einem ausgelutschten Nissan Kombi werden wir nach New Jamhuri gekarrt, wo Maureen mit ihrem Partner Billy und ihren zwei kleinen Kindern lebt. New Jamhuri, ein Stadtteil im Westen Nairobis, gilt als relativ sicher. Die Frage nach der Sicherheit ist hier nicht ganz unbedeutsam. Nairobi, so ist oft zu lesen, gilt als eine der gefährlichsten Metropole der Welt und wird gern zusammen mit Lagos und Johannesburg in einem Satz genannt. Es ist also etwas Verstand und Wachsamkeit gefragt, doch natürlich erfassen solch mystische Beschreibungen immer nur die halbe Wahrheit und man kann definitiv auch in "Nairobbery", wie oft gespottet wird, eine lustige und entspannte Zeit verbringen.
Die erste Nacht, beziehungsweise was davon noch übrig ist, werden wir auf einer Matratze in Maureens Wohnzimmer verbringen, doch Carol ist plötzlich hellwach. Zu meinem Leidwesen wird bis Sonnenaufgang palavert. Kurz bevor sich Maureen auf den Weg zur Arbeit macht, bietet sie mir an, im Schlafzimmer weiter zu pennen, ein Angebot, das ich dankend annehme.
Am frühen Nachmittag suchen wir eine Verbindung nach Kabete, eine direkt an Nairobi grenzende Kleinstadt, bedeutsam vor allem wegen des dortigen Campus der Universität Nairobi. Genau dort arbeitet nämlich mein Schwiegervater und wohnt unweit des Universitätsgeländes in einem kleinen von der Uni betriebenen Haus zusammen mit Carols Bruder Evans und den zwei jüngeren Schwestern Cynthia und Edwina.
Die kürzeste Verbindung dorthin wird von einem Matatu der Linie 5 bedient. Matatus, das sind hier die bedeutendsten öffentlichen Verkehrsmittel. Oft sind es ISUZU-Minibusse für etwa 30 Passagiere oder häufiger noch Kleintransporter, die in Europa als Sieben- oder Achtsitzer, in Baustellenausführung vielleicht auch als Neunsitzer vertrieben werden und hier in Kenia offiziell (!) für 14 Personen zugelassen sind. Aber da geht noch was... Meist sind es Nissan Vanette mit mehr oder weniger bassstarken Soundsystemen und viel Neon-Blingbling. Tuning-Freunde im fernen Zuhause haben hierfür den Begriff Baumarkt-Tuning erfunden. In Anlehnung an ihren Hersteller werden diese Fahrzeuge hier im Volksmund einfach Nissans genannt.
Trotz der Teils desolaten Zustände dieser Fahrzeuge und des abenteuerlichen Fahrstils ihrer Fahrer sind sie die praktischste, günstigste und oft auch einzige Möglichkeit der Fortbewegung, die ich auch auf meiner Reise durch Jamaika vor gut zwei Jahren in ähnlicher Weise kennen und schätzen gelernt habe. Matatus fahren auf bestimmten Routen, allerdings ohne Fahrplan und man kann sie auf der Strecke an fast beliebiger Stelle zum ein- oder aussteigen anhalten. Zu erkennen sind öffentliche Verkehrsmittel übrigens am umlaufenden gelben Streifen.
Ein solcher Nissan bringt und also heute ans Ziel. Ich habe zunächst bedenken, wie denn Kimmy auf einen solchen Trip reagiert. Die aber schaut uns fragend an, grinst und tanzt dann zu der Mucke. Kein Wunder, war sie doch schon im Mutterleib auf Reggae-Konzerten unterwegs.
In Kabete dann lerne ich den Großteil der Familie kennen. Meinen Schwiegervater, meinen Schwager und meine zwei Schwägerinnen. Ich kenne sie bisher nur aus Telefonaten, dennoch sind sie mir seltsam vertraut und sofort wohlgesonnen. Einzig meine Schwiegermutter ist mit von der Partie. Sie wohnt im Heimatort Kisumu im Westen des Landes und betreibt dort ihren eigenen selbstständigen Handel.
Evans leiht mir für die Zeit meines Aufenthaltes eine SIM-Karte des kenianischen Netzbetreibers Zain. Zain ist zwar etwas teurer, hat aber die bessere Netzdichte, als der Hauptkonkurrent Safaricom. Am späten Nachmittag machen wir uns dann auf den Rückweg. Zur Matatu-Station in Ndumbuini lassen wir uns von einem Boda-Boda fahren. Diese kleinen 125er Motorrad-Taxis sind sehr praktisch. Sie bringen einen im ganzen Land zum Bruchteil eines Taxipreises über kurze Distanzen. Kimmy sitzt in ihrer Kindertrage auf meinem Rücken und genießt den Fahrtwind.
In New Jamhuri kaufen wir noch etwas Obst bei einem Straßenhändler und während Carol mit selbigen um den Preis streitet, spricht uns jemand an: Während unserer Anreise kamen wir am Flughafen Istanbul mit einem Europäer ins Gespräch. Wie der Zufall es so will, treffen wir ihn ausgerechnet hier in New Jamhuri wieder, wo seine kenianische Verlobte lebt. Wir tauschen die Telefonnummern aus und verabreden uns für den Donnerstag auf ein, zwei Bierchen.
Aufbruch: | 08.01.2010 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 06.02.2010 |