Zwischen Urlaub und Alltag
Die Gesichter Nairobis
Montag, 11.01.2010
Nach der üblichen Morgenprozedur, die sich bei Frauen mitunter beträchtlich in die Länge ziehen kann, machen wir uns auf den Weg in die City. Viel gesehen habe ich ja noch nicht von Nairobi. Sehenswürdigkeiten im klassischen Sinne hat die Stadt auch nur begrenzt zu bieten. Das geschäftige Treiben auf den teils chaotischen Straßen dort ist für mich allerdings sehenswert genug.
Ich will mir mal den Bahnhof anschauen. Nachdem der Schienenverkehr für einige Zeit eingestellt war, gibt es nun drei Mal wöchentlich eine Zugverbindung von und nach Mombasa und Kisumu, doch der Personenverkehr auf der Schiene hat inzwischen zugunsten der billigeren und schnelleren Überlandverbindungen mit Reisebussen stark an Bedeutung verloren. Erstaunlich eigentlich, hat Nairobi doch seine Wurzeln im Schienenverkehr. Die Stadt entstand nämlich vor nicht einmal 115 Jahren als Versorgungsdepot und Eisenbahnlager während des Baues der Uganda Railway - der Strecke von Mombasa nach Kampala in Uganda - und hat sich erst in den letzten paar Jahrzehnten zur Drei-Millionen-Metropole aufgeblasen.
Wir ziehen weiter in Richtung Kenyatta International Conference Centre (K.I.C.C.). Benannt nach dem ersten Präsidenten Kenias, Jomo Kenyatta, ist dieses Gebäude eines der Wahrzeichen Nairobis und findet sich auch auf vielen Postkarten wieder. Auf dem Dach des 105 Meter hohen Turmes befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Wer in das Gebäude hinein will, muss sich einer so genannten Sicherheitskontrolle unterziehen, welche in unserem Fall so aus sieht, dass ich mit Kimmy am Detektor vorbei darf, Carol aber hindurch muss. Dass es dabei wie wild piepst interessiert dann auch keinen mehr. Um ganz nach oben zu dürfen, muss man dann noch einen kleinen Unkostenbeitrag entrichten. 100 KSh für Staatsbürger und 250 KSh für Einwohner. Alle anderen blechen 400 KSh, etwa vier Euro. Eine Staffelung, dessen Sinn sich mir zwar nicht vollständig erschließt, aber durchaus landestypisch ist. Die freundliche Dame an der Rezeption zeigt sich jedoch verhandlungsbereit. Mich als kenianischen Staatsbürger zu deklarieren, wäre unglaubhaft, aber sie würde mir ein Einwohner-Ticket ausstellen.
In Begleitung eines Angestellten geht es dann zunächst mit dem Aufzug in den 26. Stock, den Rest muss man auf Treppen zurück legen, bevor man einen einmaligen Rundumblick auf die Skyline Nairobis genießen kann. Kimmy freut sich wie eine Verrückte und erklärt den Heliport kurzerhand zum Spielplatz. Während dessen blicke ich auf die markante Architektur des Co-Operative Bank House und mir schießen die Fernsehbilder von 1998 durch den Kopf, als das Gebäude bei einem terroristischen Bombenanschlag auf die benachbarte US-Botschaft erheblich beschädigt wurde. Das Co-Operative Bank House wurde wieder aufgebaut, an Stelle der US-Botschaft erinnert nun ein Gedenkpark an die über 200 überwiegend kenianischen Todesopfer.
Evans meldet sich telefonisch, er ist in der Stadt. Wir wollen noch Marci, eine gute Freundin Carols, besuchen und er kennt als einziger von uns den Weg dorthin. Also verlassen wir das K.I.C.C. und machen uns gemeinsam auf die Suche nach einem Matatu Richtung Osten. Dieses bahnt sich bald darauf seinen Weg durch den dichten Verkehr, doch nach einiger Zeit geht nichts mehr. Gemeinsam mit Pkw, Bussen, Handkarren und Motorrädern stecken wir im Stau. Eine gefühlte Stunde später fahren wir auf der Juja Road, vorbei an Mathare Valley, dem Kern des größten Slums des Landes. Ein furchteinflößender Anblick auf ein Tal von zirka zwei Kilometern Länge und 300 Metern Breite, bebaut mit fensterlosen Behausungen aus Wellblech, Holz und Pappe. Da schüttelt es selbst Carol. Wir müssen noch einmal umsteigen und erreichen wenig später Kariobangi Süd, dem Viertel in dem Marci wohnt.
"Dieses Gebiet wird von Waffen regiert", klärt mich Evans mit ernster Miene auf, während Marci das Stahltor öffnet und uns hinein bittet. Schwer zu glauben, sieht doch eigentlich ganz friedlich aus hier. Die Gegend ist überwiegend bebaut mit vier- oder fünfgeschossigen gepflegt wirkenden Apartmenthäusern sowie anderthalbgeschossigen Doppelhäusern. In einer solchen Doppelhaushälfte wohnt auch Marci, zusammen mit ihrem Mann und ihrem einjährigen Sohn Frank. Sogar ein Restaurant mit Bar befindet sich in fußläufiger Entfernung. Apropos Bar, so langsam kriege ich einen ziemlich heftigen Pilsbrand und da Evans das selbe verspürt, gehe ich mit ihm gleich mal die Temperatur des Tuskers dort überprüfen.
Die Dämmerung bricht herein und Evans findet, wir sollten uns besser hier verdrücken. Er wirkt ein wenig unruhig. Ich ordere noch ein paar Tusker zum mitnehmen, bevor wir in Marcis Haus zurückkehren. Carol will nach dem Essen zurück nach New Jamhuri fahren. Marci aber bietet uns an, hier zu übernachten und auch Evans hält es für zuträglicher, erst bei Tageslicht wieder aufzubrechen. Er selbst wird allerdings nach Kabete zurück fahren.
Während die Mädels kochen, sitzen wir Jungs auf der Couch und quatschen. Die Kids haben sich schnell angefreundet und sind ein Herz und eine Seele, besonders, wenn es um die Fragestellung geht: "Wie kann ich möglichst schnell möglichst viel kaputt machen?"
Plötzlich knallt es draußen; und noch mal und noch mal... Erst jetzt realisiere ich, was hier überhaupt vor sich geht. Die Schüsse kommen aus mindestens zwei verschiedenen Waffen. Wir treten sofort vom Fenster zurück. Was sich in diesen Minuten keine 50 Meter von hier abspielt, werden wir morgen von Augenzeugen erfahren: Eine Bande aus den Slums will Spirituosen ergaunern, wahrscheinlich genau in der Bar, in der wir keine halbe Stunde zuvor unser Tusker genossen haben. Die Polizei erwartet die Banditen allerdings bereits, woraufhin diese das Feuer eröffnen. Die Cops ballern zurück und zwar ziemlich treffsicher: Zwei der Ganoven bezahlen mit ihrem Leben.
Bei unübersichtlicher Lage, so erklärt mir Evans, schießen die Cops hier lieber einmal zu viel als zu wenig und es kommt leider nicht selten vor, dass auch Unbeteiligte unter Beschuss geraten. Nicht zuletzt deswegen eilt den Uniformierten hier nicht gerade der Ruf des Freund und Helfers voraus.
Nachdem wir den Schock verdaut haben, scheint sich die Lage da draußen wieder beruhigt zu haben. Nach dem Abendessen macht sich Evans aus dem Staub. Er wollte eigentlich noch einen Kumpel hier in der Nähe besuchen, beschließt aber, nach den jüngsten Vorfällen direkt nach Kabete zurück zu kehren. Er ist noch nicht lange weg, da fällt ein weiterer Schuss. Jetzt packt uns endlich die Muffe. "Der ist lange über alle Berge", versuche ich zu beruhigen. Doch wir vergewissern uns lieber telefonisch, dass dem Evans nichts passiert ist.
Wir schieben eine DVD in den Player. Marci und Carol quatschen die halbe Nacht. Sie sind das, was man beste Freundinnen nennt und haben sich seit mehr als drei Jahren nicht gesehen. Die andere Hälfte der Nacht wird weniger angenehm. Wir schlafen gemeinsam mit Kimmy unter einem Moskitonetz, das nicht einmal die Hälfte des Bettes abdeckt. Aber auf das Netz verzichten möchte angesichts der hohen Bevölkerungsdichte dieser Plagegeister hier niemand von uns.
Aufbruch: | 08.01.2010 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 06.02.2010 |