Zwischen Urlaub und Alltag
Ort der Leichen
Donnerstag, 21.01.2010
Um halb acht Uhr stehen wir auf und checken aus. Wir sitzen noch am Frühstückstisch, als sich Peter telefonisch meldet und mich wissen lässt, dass er bereits im Hof auf uns wartet. Er fährt uns zum Menengai Krater hoch. Unterwegs gibt es ein Tor an dem man üblicherweise so etwas wie Eintritt bezahlen sollte. Am Rande des etwa fünf Kilometer langen Weges wird Landwirtschaft betrieben und man kann natürlich von den Farmern und Arbeitern nicht verlangen, dass sie einen Eintritt zum Kraterrand bezahlen, wenn sie unterwegs zu ihren Farmen oder Hütten sind. Aber wie unterscheidet man Besucher von Arbeitern? Richtig: An der Hautfarbe. Die Diskussion überlasse ich mal schön dem Peter und nach etwa fünf Minuten dürfen wir passieren und haben keinen Cent bezahlt.
Es folgen zirka 20 Minuten Fahrt auf einer Schotterpiste, die nicht minder langweilig ist, als im Lonely Planet beschrieben. Die Entschädigung folgt natürlich prompt, wenn man dann auf dem Rand eines Kraters mit etwa zwölf Kilometern Durchmesser steht und 400 Meter in die Tiefe blickt. "Ort der Leichen", bedeutet es in der Sprache der Massai, gemeint ist der Ausgang einer blutigen Schlacht zwischen zwei Massai-Gruppen gegen Ende des 19. Jahrhunderts.
Es gibt einige kleine Shops hier oben in denen Souvenirs vertickt werden. Ein schöner Elefant aus weißem Speckstein hat es mir angetan, das merkt auch der, der ihn verkaufen will und verlangt 1300,- KSh dafür. Nach zähen Verhandlungen gebe ich im 500,- KSh und nehme das Tier mit.
Peter fährt uns nach Nakuru zurück. Neben den Akamba-Bussen verkehren hier auch solche der jüngeren Easy Coach Flotte und da deren Busbahnhof auf dem Weg liegt, schauen wir dort mal nach dem Rechten. Wir haben Glück: Ein Bus nach Kampala via Kisumu ist zufällig gerade eingetroffen und hat noch freie Plätze. Schnell kaufen wir die Tickets, lassen unser Gepäck verladen und steigen ein.
Wir nehmen unsere Sitzplätze ein und schlafen bald darauf ein. Doch nach kurzer Zeit ist es aus mit der Ruhe. Als ich begriffen habe, wovon ich gerade aufgewacht bin, pralle ich mit dem Kopf an die Decke. Unter dem Bus: ein Meer aus Schlaglöchern auf einer staubigen vom Schwerlastverkehr dominierten Sandpiste. Doch der Mann am Steuer schert sich nicht drum und bügelt mit Vollgas von einem Schlagloch zum nächsten, als wäre der Teufel hinter ihm her. Über die teilweise katastrophalen Zustände der kenianischen Straßen habe ich schon oft gelesen, doch das hier übertrifft all meine Erwartungen und neidisch blicke ich auf die Fußgänger und Radfahrer, die sich die benachbarte scheinbar fertige aber noch nicht freigegebene Asphaltpiste zu Eigen gemacht haben.
Als wir Kericho, das Zentrum des bedeutendsten Teeanbaugebiets Kenias erreichen, haben wir glücklicherweise wieder festen Boden unter den Füßen. Vorbei an riesigen Teeplantagen, die Erntehelfer in ein buntes Bild verwandeln, erreichen wir etwa 80 Kilometer weiter die Ortseinfahrt von Kisumu. Die Haltestelle der Easy Coach Busse befindet sich auf dem Gelände der United Shopping Mall im Herzen der Stadt. Der überwiegende Teil des Einkaufszentrums wird von einem Tuskys Supermarkt eingenommen. Tuskys ist nach Nakumatt die zweitgrößte Supermarktkette des Landes.
Wir werden bereits von Cynthia erwartet. Und natürlich ist auch Kimmy mitgekommen. Freudig aber ein wenig verwirrt realisiert sie, dass Mama und Papa nun wieder da sind. Wir müssen nach Mamboleo, einem kleinen Ort, unmittelbar vor den Toren der Stadt. Hier wohnt Carols Mutter im gerade fertig gestellten Familienhäuschen und auf dem Weg dorthin lerne ich ein weiteres landestypisches Verkehrsmittel kennen: Das Tuk-Tuk. Diese auch aus dem asiatischen Raum bekannten dreirädrigen Mototaxen, meist Piaggio Ape mit lärmenden Zweitaktmotoren, haben einen Platz für den Fahrer und eine schlecht oder gar nicht gepolsterte Bank für maximal drei Passagiere im Fond. Sie sind deutlich günstiger als normale Taxis aber auch deutlich unkomfortabler. Für kurze Strecken mit viel Gepäck aber durchaus zu gebrauchen. Auf längeren Strecken will man sie lieber nicht ausprobieren, diese Aussage aus dem Lonely Planet kann ich gern bestätigen.
Kisumu, nach Nairobi und Mombasa drittgrößte Stadt Kenias, ist mit rund 300.000 Einwohnern eher überschaubar. An die einstige Bedeutung der Hafenstadt Kisumu als Handels- und Umschlagplatz erinnert immer noch der stark frequentierte Kibuye Markt, den wir mit unserem Tuk-Tuk passieren. Auf dem, Gerüchten zufolge, größten Markt Ostafrikas geht auch Carols Mutter ihren Geschäften nach. Was wir auch passieren, sind zahlreiche abgebrannte Häuser, wie zum Beispiel einen ehemals gemütlichen Pub am Rande der Kisumu-Vihiga Road. Es war ein supercooler Platz zum chillen, schwärmt Carol geschockt. Aber allein die Tatsache, dass sie von einem Kikuyu betrieben wurde, bewegte eine aufgebrachte Meute Anfang 2008 dazu, ihm die Bude abzufackeln.
Die Präsidentschaftswahlen im Dezember 2007 und die darauf folgenden Ausschreitungen haben hier deutliche Spuren hinterlassen. Zu Erinnerung: Oppositionsführer Odinga lag bei den Prognosen deutlich vorn, trotzdem gewann der führende Präsident Kibaki die Wahlen und ließ sich überraschend schnell vereidigen. Eine Manipulation des Wahlergebnisses wurde nicht nur von der Opposition sondern auch von internationalen Wahlbeobachtern für wahrscheinlich gehalten. Kibaki gehört Kenias größten Bevölkerungsgruppe der Kikuyu an, welche im Hochland westlich und südlich des Mount Kenya, mittlerweile aber auch in und um Nairobi angesiedelt sind. Odinga ist ein Luo und gehört damit zur bedeutendsten Bevölkerungsgruppe rund um den Victoriasee mit Zentrum in Kisumu. Die Ausschreitungen zwischen Luo und Kikuyu haben damals landesweit mehr als 1500 Todesopfer gefordert. Noch nach dem durch Kofi Annan vermittelten Friedensplan im Februar 2008 gab es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die hiesige Region.
Heute, zwei Jahre später, ist hier noch ein ganz anderer Sohn der Luo allgegenwärtig: Der gleichnamige Vater des US-Amerikanischen Präsidenten Barack Obama wurde nämlich in Kisumu geboren, worauf man hier mächtig stolz ist. Eigentlich stammt er aus Nyang'oma Kogelo, einem Dorf zirka 60 Kilometer westlich von Kisumu, aber so genau nimmt man das hier nicht. Und so verwundert es nicht, wenn man an der Obama Driving School oder am Obama Gate, dem Haupteingang eines Krankenhauses, vorbei fährt oder das Portrait des mächtigsten Mannes der Welt hier das ein oder andere Matatu ziert.
Zum Haus meiner Schwiegermutter führt eine steinige und staubige Straße. "Da müsst ihr mir aber noch 'n bisschen was drauflegen", stöhnt der Tuk-Tuk-Fahrer, bevor wir wenig später in der Einfahrt des Hauses stehen.
Ich werde herzlich begrüßt und natürlich wird auch Kimmy sofort wieder "verhaftet". Da es traditionell unüblich ist, bei seinen Schwiegereltern im Haus zu nächtigen, wurde beim Bau des Hauses ein kleiner Anbau mit separaten Eingang und Nasszelle eingeplant. Die letzten Bauarbeiten werden gerade noch ausgeführt, bevor wir unser Quartier beziehen.
Aufbruch: | 08.01.2010 |
Dauer: | 4 Wochen |
Heimkehr: | 06.02.2010 |