In 6 Monaten um Südamerika...

Reisezeit: August 2012 - Januar 2013  |  von Oliver Heeb

Ecuador (Allgemein): Cotopaxi vs. Olsen

Montagnacht, 15. Oktober 2012, 23.30 Uhr. Ich komme zurück von Cuyabeno nach Quito. Ich bin schweinemüde und möchte nur noch ins Bett. Mein Schlaf ist tief und fest und wache schlaftrunken wieder auf. Diese Woche ist die letzte Chance zur Besteigung des Cotopaxi. Ich nehme mein iPhone und gebe im Wetter-App Cotopaxi ein. Es sieht nicht allzu gut aus. Einzig am Freitag ist Besserung in Sicht. Das könnte klappen. Der Aufstieg zum Krater dauert zwei Tage. Man geht am ersten Tag zur Schutzhütte hoch und übernachtet dort. Obwohl Übernachtung etwas übertrieben erscheint, da man um ca. 1 Uhr in der Nacht mit dem Aufstieg beginnt. Ich kämpfe mich aus den Federn, ich muss zu Juan Carlos, meinem Reiseagent. Die Tour mit der ganzen Ausrüstung kostet 200 Dollar. Falls der Aufstieg durch das Wetter verunmöglicht sein sollte, sind die 200 Bugs weg. Auf dem Weg zu Juan Carlos bin ich immer noch unsicher. Ich frage mich, ob ich genug Kondition habe. Auch meine Vorbereitung war nicht die beste, was die dünne Höhenluft angeht. Ich rede mit Juan Carlos. Er meint, das Wetter kommt gut. Kein Wunder, der möchte auch Geld verdienen. Was solls, die Chance kommt so schnell nicht wieder. Ich mache es, und buche die Tour Donnerstag, Freitag. Ich gehe zurück ins Hotel, ich habe einiges zu erledigen. Dan und Sam laufen mir über den Weg. Die sind also immer noch hier. Die verdammten Kalifornier verfolgen mich. Ich treffe auch einige andere bekannte Gesichter. Wir reden Smalltalk. Auch mein Cotopaxi-Trip ist immer wieder mal Thema. Ich glaube, bald werden Wetten abgeschlossen, ob ichs zum Krater schaffe oder nicht. Verdammt, schon wieder 17.00 Uhr. Ich wollte doch meinen nächsten Reisebericht verfassen. Stattdessen schreibe ich der süssen Frankokanadierin, die ich in Cuyabeno kennengelernt habe, dass ich nun wieder in Quito bin, und es schade finde, dass sie genau heute abreist. Sie schreibt mir, dass sie erst um 21.30 Uhr losmuss, und sie somit noch Zeit hat, mit mir was essen oder trinken zu gehen. Natürlich bin ich dabei. Wir treffen uns beim Plaza Foch. Wir gehen in eine Pizzeria. Ich möchte ihr ein Glas Wein offerieren, aber sie möchte nicht. Sie ist ziemlich stur, aber wir unterhalten uns prächtig. Wir essen Spaghetti Bolognese wie bei Susi & Strolch. Nach der Pizzeria gehen wir noch in eine Bar auf ein Bier. Verdammte Scheisse, da steht Leberwurst auf der Karte. Wir bleiben beim Bier. Schon wieder 21.00 Uhr. Sie muss bald los. Ich begleite sie nach Hause. Der Zeitpunkt des Abschieds ist gekommen. Wir umarmen uns und wünschen uns alles Gute. Ich möchte sie küssen, aber ich weiss nicht recht. Sie sagt: "I really would like to kiss you...". Ich sage: "What the hell are we waiting for?!". Ich ziehe sie an mich. Wir küssen uns leidenschaftlich. Sie riecht gut und küsst noch besser. Ich frage mich, ob ich wohl nach Zigarettenrauch und Bier stinke. Egal, es scheint ihr zu gefallen. Verdammte scheisse, ihr Taxi ist da. Sie muss los. Ich küsse sie zum letzten Mal und wünsche ihr alles Gute. Ich gehe zurück zum Hostel und hätte nicht übel Lust mich heute Nacht zu betrinken. Im Hostel treffe ich wieder Dan und Sam. Die sind gerade aufm Sprung zum McCools, einer Pub gleich in der Nähe unserers Hostels. Ich schliesse mich ihnen an. Im Pub treffen wir den Hostel-Betreiber, Santiago, und noch ein paar andere. Es ist ein verdammt lustiger Abend. Der günstigste Shot, der Dick Lick, kostet einen Dollar. Ist nicht wirklich gut, aber macht auch betrunken. Wir machen Armdrücken. Ich besiege Dan mit rechts. Hopp Schwiiz! Er möchte Revanche mit links. Ich verliere. Scheiss Kalifornier! Wir kommen um 3.30 Uhr zurück zum Hostel...

Donnerstagmorgen, 18. Oktober 2012, 7.00 Uhr. Bladimir, mein Reiseführer für den Cotopaxi-Trip, steht pünktlich mit seinem Pick-up vor dem Hostel. Zuerst gehen wir zu ihm, um meine Ausrüstung abzuholen. Zum Schluss drückt er mir Steigeisen und Eispickel in die Hand. Verdammte, auf was hab ich mich da eingelassen. Wir gehen weiter zum Parkplatz am Fusse des Cotopaxi. Unterwegs kaufen wir Verpflegung für die Schutzhütte ein. Wir gehen noch etwas essen. Bladimir erzählt mir, dass mein Guide 87-jährig sei, und ich allgemein einiges von ihm lernen könne. Ach was, ich kaufe im kein scheiss Wort ab, und wette mit ihm um ein Bier. Wir fahren los. Das Wetter könnte übler nicht sein. Es pisst aus allen Rohren. Wir treffen meinen Guide Jaime auf dem Parkplatz. Er ist 22-jährig. Bladimir schuldet mir ein Bier. Wir gehen los zur Schutzhütte, von rund 4'600m.ü.M. auf 4'810m.ü.M. Wie schon beim Aufstieg auf den Rucu Pichincha rast mein Herz mit Puls 180. Trotzdem kommen wir ziemlich gut voran. In der Schutzhütte treffen wir einen Kanadier, eine Dänin und ihren peruanischen Freund, die mit anderen Guides unterwegs sind. Verdammt, wo sind die Kalifornier, frage ich mich. Der Kanadier heisst Luke, die Dänin Maya, ihr Freund Javier. Bald essen wir zu Abend, schliesslich müssen wir ja in der Nacht um ein Uhr schon los. Es gibt Spaghetti Napoli mit einer Unmenge Zwiebeln. Es schmeckt erstaunlich gut und das ohne Parmesan. Nach dem Essen geh ich schon bald ins Bett. Auch die anderen legen sich früh hin. Es ist schweinekalt. Die Hütte ist nicht geheizt. War ja klar. Bis meine Füsse auftauen ist eine Stunde vergangen. Kaum ist etwas Wärme in mein Schlafsack eingekehrt, muss ich dringend pissen. Das verdammte Scheisshaus ist draussen. Ich bin echt zu faul wieder in die Kälte rauszugehen. Ich versuche den Drang zu unterdrücken. Es funktioniert nicht. Ich quäle mich aus dem Schlafsack, ziehe meine Klamotten sowie Schuhe an und torkle in die Kälte. Zurück in meinem Schlafsack fühle ich endlich wie der Schlaf mich zu übermannen scheint. Plötzlich Schlafsackgerassel, schnelle Schritte. Der würgt aber ganz schön, aber immerhin hat ers noch bis zum Eimer geschafft. Javier spürt unmerklich die Höhe. Scheisse, die Müdigkeit ist wieder wie weggeblasen. Ich liege hellwach im Schlafsack. Ich denke an meine Familie, an meine Freunde. Ich vermisse sie. Ich denke an die süsse Frankokanadierin. Ich verfluche den Umstand, das Kanada nicht Deutschland ist. Ich könnte sie ja nach meiner Reise mal besuchen gehen. Dämlicher naiver alter Romantiker, Fernbeziehungen funktionieren nie. Javier würgt noch zwei-, dreimal. Der arme Kerl erinnert mich an "Broken Mike". Es ist 24.00 Uhr. Tagwache... oder doch Nachtwache? Auf jeden Fall heisst das für uns aufzustehen. Nach einem nährhaften Frühstück gehts um ca. 1.00 Uhr los. Die Steigeisen bleiben zuerst im Rucksack. Javier bleibt in der Schutzhütte. Maya, seine Freundin, geht als erste mit ihrem Guide los. Luke, sein Guide, Jaime und ich starten zusammen. Wir schlagen ein ziemlich hohes Tempo an. Es ist stockdunkel. Schon zum zweiten Mal erweist sich die Stirnband-Lampe, die meine Schwestern und ihre Freunde mir geschenkt hatten, als ausserordentlich nützlich. Luke und sein Guide gehen voraus, gefolgt von Jaime und mir. Ihr Rhythmus ist etwas schneller als unserer, aber wir holen sie bei ihren Pausen immer wieder ein. Luke atmet sehr schwer, noch schwerer als ich. Bis zum Rand des Gletschers verläuft alles gut. Dort angekommen ziehen wir uns die Steigbügel über. Jetzt wirds lustig. Am Anfang kommen wir alle gut voran, immer noch in der gleichen Reihenfolge. Wir passieren die ersten Gletscherspalten. Jaime geht bei jeder voran, und ich muss warten bis er mir das Ok gibt. Zur Sicherung im Falle eines Durchbruchs. Nach der Passage mit den Gletscherspalten folgt eine kleine Kletterpartie. Ohne Eispickel ein unmögliches Unterfangen. Auch beim normalen Gehen erweist sich dieser als dankbare Hilfe. Wir holen Luke und seinen Guide wieder ein. Er scheint ein Problem mit der Verdauung zu haben. Jaime und ich gehen weiter. Wir sind auf ca. 5'200 m.üM. Es beginnt leicht zu schneien. Mir geht es immer noch ziemlich gut. Ich habe weder Kopfschmerzen, noch spüre ich Schwindel oder Übelkeit. Ich drehe mich immer wieder mal um, um nach Luke und seinem Guide Ausschau zu halten. Mal sehe ich die Lichter näher, mal sind sie weiter entfernt. Nach ca. 4.5 Stunden fühle ich mich das erste Mal etwas schwach. Wir machen eine kleine Pause, und ich haue mir eine Banane rein. Ich halte nach Luke Ausschau, aber ich kann keine Lichter mehr erkennen. Er musste wohl aufgeben. Wir gehen weiter. Ich habe wieder mehr Kraft. Scheisse, die Sache mit den Bananen funktioniert ja wirklich. Es kommt ein ziemlich steiles Stück. Jaime sagt mir, dass wir ein langsameren Rhythmus einschlagen sollten. Kein Problem Jaime, du bist hier der Boss. Das Stück scheint sich ewig hinzuziehen. Ich bin langsam richtig auf der Fresse. Ich kann nicht mal mehr richtig denken. Cotopaxi oder ich, du oder ich, du oder ich, ich, ich, ich, ich ist mittlerweile das einzige was ich zu denken im Stande bin. In der Zwischenzeit ist es etwas heller geworden. Der Sonnenaufgang ist schon vorbei, da es aber immer noch schneit, haben wir davon wenig mitbekommen. Erneut brauche ich eine kurze Pause und frage Jaime wie weit es noch ist. Ich habe Angst vor der Antwort. Eine Stunde sagt er. Er fragt mich, ob ich umkehren will. Nein, das pack ich. Wir nehmen nochmals einen Gang raus und marschieren weiter. Nach einer weiteren halben Stunde bin ich vollends erschöpft. Ich spüre die ersten Schwindelgefühle. Ich frage Jaime nochmals wie weit es noch ist. Eine halbe Stunde sagt er. Wir sind also immer noch in der Zeit. Wir gehen weiter. Maya und ihr Guide kommen uns entgegen. Ich gratuliere ihr. Sie sagt mir, dass es nur noch eine Viertelstunde ist, und ich es auch schaffen werde. "Yeah, I won't give up!", sage ich. Wir gehen weiter. Tatsächlich, da vorne ist der Kraterrand. Ich kann nicht mehr. Ich falle rückwärts in den Schnee. Sorry Cotopaxi, 1:0 für mich. Ich fühle mich unheimlich erschöpft, aber auch stolz, dass ich das gepackt habe. Ich stehe wieder auf. Ich merke, dass das Wetter zwar nicht so gut ist, aber dass man trotzdem hinab in das Tal sieht. Wow, sind wir weit oben. Das ist so was von atemberaubend. Natürlich gönne ich mir jetzt eine Kippe. Ach, hätte ich doch einen guten Grappa oder Williams dabei. Ich kann mich an der Aussicht und dem Kraterrand kaum sattsehen. Wir essen und trinken etwas kleines. Jaime sagt, dass wir langsam losmüssen. Ich frage ihn wie lange der Abstieg geht. Ca. zwei Stunden antwortet er. Ha, kein Problem! Läppische zwei Stunden...

So, ich habe mir gedacht, ich könnte mal von meiner normalen Erzählweise abkommen und hab ein bisschen vom Genre "Film Noir" abgeguckt. Obwohl der klassische Erzählstil eines Film Noir wohl noch etwas düsterer ist. Der Kern der Geschichte entspricht der Wahrheit, aber natürlich habe auch ich mir einige künstlerische Freiheiten genommen

Der Abstieg war übrigens kein grosses Problem mehr und nach 2 Stunden (gegenüber 6.5 Stunden Aufstieg) waren wir wieder zurück in der Schutzhütte. Bilder habe ich nicht allzu viele, aber unten hab ich doch einige eingefügt.

So, das wärs. Ich denke genug zum lesen Ich hoffe euch gehts allen gut!?

Also, hoffe von euch zu hören und machts gut!...

GLG, Oli

Auf dem Weg zur Schutzhütte

Auf dem Weg zur Schutzhütte

Erster Erfolg: die Schützhütte auf 4'810m.ü.M.

Erster Erfolg: die Schützhütte auf 4'810m.ü.M.

Man siehts zwar nicht, aber das ist verdammt steil hier Leute.

Man siehts zwar nicht, aber das ist verdammt steil hier Leute.

Für einmal gings abwärts... bringt nur nix, muss man schliesslich wieder hoch

Für einmal gings abwärts... bringt nur nix, muss man schliesslich wieder hoch

1:0 für Olsen

1:0 für Olsen

Der Krater

Der Krater

Jaime und ich, mit der wohl meist wohlverdientesten Zigarette meines Lebens

Jaime und ich, mit der wohl meist wohlverdientesten Zigarette meines Lebens

Es folgen ein paar Impressionen beim Abstieg...

Es folgen ein paar Impressionen beim Abstieg...

© Oliver Heeb, 2012
Du bist hier : Startseite Amerika Ecuador Cotopaxi vs. Olsen
Die Reise
 
Worum geht's?:
... zumindest hoffe ich das... Wer träumt nicht davon einmal im Leben alles hinter sich zu lassen um die Welt zu entdecken. Mit bald 35 Jahren darf auch ich endlich diese Erfahrung machen. Da ich noch überhaupt kein Spanisch sprechen kann, beginne ich mit einem einmonatigen Spanischkurs in Cartagena, Kolumbien. Leute, ich bin sowas von gespannt... Mit meinen Berichten und Fotos möchte ich euch an meiner Reise teilhaben lassen. Viel Spass...
Details:
Aufbruch: 04.08.2012
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 24.01.2013
Reiseziele: Kolumbien
Ecuador
Peru
Bolivien
Argentinien
Chile
Brasilien
Der Autor
 
Oliver Heeb berichtet seit 12 Jahren auf umdiewelt.