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Australien: 14 Monate Melbs
November 2012 - Januar 2014, geschrieben im April 2014
Ich hänge mit diesem Reisebericht hinterher, richtig hinterher, und zwar 5 Monate. Meine letzten Wochen in Melbourne waren stressig und ich hatte keine Zeit zu Schreiben und meine ersten drei Reisemonate...waren stressig und ich hatte keine Zeit zu Schreiben.
Jetzt erst, zurück in Asien, finde ich due Muße, und zudem den benötigten Strom und das WIFI um meinen Bericht fortzusetzen. Nur - wie fünf Monate aufholen? Nun, die Berichte liegen, zum Teil kryptisch, jedoch zumindest als Entwurf, bereits auf meinem Rechner. Nur was fehlt - eine Beschreibung meiner Melbourner Zeit. Und immer wieder bekam ich E-Mails mit den gleichen Fragen nach Melbourne geschickt: Wo bist du? Was machst du? (Wann) kommst du wieder? Auf die letzte Frage gibt es nach wie vor keine Antwort. Alle anderen "FAQs" beantworte ich mit diesem Kapitel; bevor es dann mit dem eigentlichen REISEbericht weiter geht.
Was arbeitest Du eigentlich?
In den ersten Kapiteln meines Berichtes klang es ja an: Es war nicht einfach für mich überhaupt irgendeine Arbeit in Melbourne zu finden. Nach drei Monaten, etwa 150 schriftlichen Bewerbungen, diversen "cold calls", sowie einer Anzeige auf einer in Australien bekannten Webseite, dass ich Sprachunterricht- und Kinderbetreuung anbiete, haben sich meine Bemühungen jedoch schlussendlich ausgezahlt - ich hatte eine Deutsschülerin, einen kleinen Jungen, auf den ich einmal die Woche aufpasste und bekam die Zusage einer Schule dort zweimal die Woche Deutsch zu unterrichten. Zudem zog ich einen Backpackerjob an Land und verkaufte mein erstes Eis bei einer Melbourner Mövenpick Filiale. Die darauf folgende Woche wurde ich zudem zum Vorstellungsgespräch bei einer sozialen Organisation eingeladen, die "Disability Support Worker" suchte.
Das Vorstellungsgespräch, zu dem ich, mit klebrigen Eishänden und gedanklich mit den ersten Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt hetze, entpuppt sich als Gruppeninterview, drei der fünf Mitbewerber an meinem Tisch als Iren. Dementsprechend verstehe ich von der "Diskussion" nur zwei Fünftel, verstehe auch nicht alle Fragen des Fragebogens, den wir nach der Diskussion ausfüllen sollen. Nun gut, was bleibt mir übrig, ich probiere dies so gut wie möglich zu überspielen, rede halt ein bisschen; meine Beiträge passen wahrscheinlich nicht besonders zum Thema, aber ich versuche halt ein paar Schlagworte einzuwerfen, "Empowerment", "Support", blabla und gehe mit gesenktem Kopf und der Gewissheit nach Hause, dass dies wohl keine Früchte davon tragen wird.
Ein paar Tage später jedoch die große Überraschung - zwei meiner Referenzpersonen (bei Bewerbungen in Australien müssen statt Zeugnissen Referenzpersonen angegeben werden, die etwas über einen aussagen können, wie z.B. ehemalige Arbeitgeber) melden sich bei mir - sie wurden per E-Mail angeschrieben und um weitere Informationen über mich gebeten. Und diese müssen wohl gut gewesen sein, denn ein paar Tage später werde ich angerufen und mir wird eine Stelle angeboten.
Um diese antreten zu können muss ich nun einen Erste-Hilfe-Kurs belegen, einen "Working with children check" (vergleichbar mit dem deutschen erweiterten Führungszeugnis) vorlegen und zudem ein einwöchiges (bezahltes) Training bei der sozialen Organisation selber absolvieren.
Der Erste-Hilfe-Kurs ist in einem Tag und mit $100 erledigt, der Working with children check aufrgund meiner Tätigkeit in der Schule sowieso schon beantragt und so finde ich mich plötzlich in einem schönen Melbourner Seminarraum wieder, darf an einem - weitgehend - interessanten Training teilnehmen und werde jeden Tag in der Mittagspause auch noch mit Tee und Kuchen gefüttert. Meine Vorgesetzten sind super professionell, meine zukünftigen Kollegen zum Großteil angenehm und dank der Anwesenheit der Iren (zwei von ihnen haben den Bewerbungsprozess auch überstanden) bin auch nicht ich diejenige, die den meisten Spötteleien über den jeweiligen Akzent ausgesetzt ist. Allerding merke ich - dieser Job wird eine Herausforderung, und das nicht nur aufgrund der Sprache - als Disability Support Worker bekommt man hier ganz schön viel Verantwortung - von Einzelbetreuung von Personen mit schweren geistigen und/ oder körperlichen Behinderungen, Medikamentenvergabe, "Füttern" durch die Magensonde ist alles dabei. Dementsprechend werden wir medizinisch geschult (und ich muss erstmal meinen Wortschatz an medizinischem Vokabular erweitern), mit pädagogischem Grundwissen ausgestattet (gut, da ist wirklich nicht viel Neues für mich dabei) und - wir haben einen eintägigen Selbstverteidigungskurs (Würgversuche sind künftig bei mir zwecklos).
Und dann - werden wir ins kalte Wasser geschmissen. Ich habe einen Vertrag als "casual" - was bedeutet, ich habe keine festen Stunden, sondern werde, je nach Bedarf, in den verschiedenen Einrichtungen der Organisation eingesetzt. Und von diesen gibt es viele: Wohneinrichtungen für Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren, Tagesbetreuung, Freizeit- und Ferienprogramm für alle Altersgruppen; die verschiedenen Einrichtungen werden jeweils bewohnt oder besucht von Menschen mit zum Teil leichten, zum Teil schwerwiegende körperlichen und / oder geistigen Behinderungen. Wo man eingesetzt wird, hängt auch davon ab, ob die Einrichtung, bei der man schon einmal war, einen wiederhaben möchte und natürlich von den eigenen Vorlieben.
Mein Start ist ganz schön hart - die zwei Einrichtungen, denen ich zunächst zugeteilt werde, sind eine für schwer eingeschränkte Kinder, die einige Tage die Woche dort verbringen um ihren Eltern die Gelegenheit zu geben eine Pause von der 24/7 nötigen Betreuung zu geben (und dementsprechend ist der Einsatz hier 24/7 - ohne Verschnaufpause während der achtstündigen Schichten) sowie eine Wohneinrichtung für Senioren mit leichten Behinderungen, die eine einfache Einsatzstelle sein könnte, müsste man nicht immer einer Bewohnerin ausweichen, die so gar nicht froh über die eigene Anwesenheit ist und einen im ca. fünfminütigen Abstand angreifen will (und den Rest der Zeit wüst beschimpft).
Um es kurz zu halten: Manchmal wundere ich mich wieviel Verantwortung man mir überträgt; ich erlebe viel: Medizinische Notfälle, für die ich nicht ausgebildet bin (epileptische Anfälle, Zuckerschock...), Nächte, in denen ich alleine mit den Bewohnern bin (nicht nur einmal wird ein angedachter "sleep over" zur "active night" und ich muss einen meiner Vorgesetzten anrufen und über die Gabe von Beruhigungsmitteln beraten), ich hole Bewohner von ihrer "Arbeit" (=Tagesbetreuung) ab und fahre riesige Busse, in denen hinten zwei Rollstuhlfahrer sitzen durch irgendwelche Vororte Melbournes, in denen ich noch nie war, sprich: mich nicht auskenne. Ja, es ist eine echte Herausforderung für mich, aber wollte ich die nicht haben als ich den sicheren Hafen "zu Hause" verlassen habe? Und meine Arbeit macht mir Spaß, aber: Sie ist auch hartes Brot und ich bin froh, dass ich diese nur zeitlich befristet mache.
Mit dem Monaten und zunehmender Erfahrung kristallisiert sich ein Platz heraus, an den ich immer wieder gerne zurückkomme; mein Lieblingseinsatzort. Hier werden Erwachsene untergebracht, die aus verschiedenen Gründen eine Hirnschädigung erlitten haben. Da diese seitdem hoch pflegebedürftig sind, werden sie in Australien normalerweise in Altenpflegeheimen untergebracht, aber man hat erkannt, dass sie dort eigentlich nicht optimal gepflegt werden, da zum Beispiel entsprechende Fördermaßnahmen nicht vorhanden sind und - mit viel finanziellem Aufwand und entsprechend der Hilfe diverser Sponsoren - diese Modelleinrichtung ins Leben gerufen. Und hier wird wirklich viel gefördert und es macht Spaß hier zu arbeiten - man hat ausreichend Zeit für die Bewohner; für Gespräche, Spiele oder auch mal einen Ausflug ins Pub. Einen kleinen Einblick gibt es hier https://www.youtube.com/watch?v=YKju0xya9oo
Nun, und dann arbeite ich ja auch noch zweimal die Woche in der Schule - und muss mich erstmal einlesen, wie es denn funktioniert "Fremdsprachlern" Deutsch beizubringen, verkaufe Eis (dies nur noch am Wochenende), passe einmal die Woche auf den kleinen Max auf und habe meine private Deutschschülerin. Ja, Melbourne hält mich beschäftigt!
Als meine sechs Monate als Disability Support Worker abgelaufen sind (denn mit meinem Visum darf ich nur jeweils sechs Monate bei einem Arbeitgeber arbeiten), melde ich mich bei einer Organisation zurück, die mir eine Woche nachdem ich meinen Job begonnen hatten, auch eine Stelle anboten. Hier geht es um die Betreuung von Mädchen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu Hause wohnen können und zudem schwanger sind oder bereits ein kleines Kind haben; die schreckliche Lebensgeschichten haben; Drogen, Missbrauch, Vernachlässigung usw. Ich kann sofort anfangen und freue mich nahtlos mit dem nächsten Job weitermachen zu können. Bis zur ersten Schicht, als ich eines der Mädchen mit dem Auto abhole und nach Hause fahre. Und ich bin spät dran, in ihren Augen. Grund genug total auszurasten, mich anzuschreien, ihr Handy an die Windschutzscheibe zu schmettern, mehrmals, als dieses nicht mehr funktioniert, noch wütender zu werden. Ich spiele in meinem Kopf mehrere Szenarien durch; überlege anzuhalten und auszusteigen, aber ich bin mal wieder in irgendeinem dieser Vororte unterwegs; im Nirgendwo auf einem Highway.
Irgendwie schaffe ich es sie zu Hause abzuliefern, aber ich beschließe - dies ist nichts für mich; ich kann, muss, will mich nicht derartigen Situationen bei der Arbeit aussetzen. Ich kündige - und überlege schon reisen zu gehen - meine Deutsschülerin ist mittlerweile in Deutschland, der Job in der Schule war zeitlich befristet und Eis verkaufen - muss ich auch nicht mehr ewig. Aber ich bekomme eine E-Mail von einer weiteren deutschen Schule: Ich sei empfohlen worden, ob ich bei ihnen deutsch unterrichten könne; sie bräuchten jemanden für 2 Monate Vertretung - genau der Zeitraum, den mein Visum noch gilt.
Natürlich nehme ich das Angebot an um aus meinem Visum rauszuholen, was rauszuholen ist, denn: Man verdient in Australien einfach gut. Sehr gut. Wenn man denn endlich einen Job gefunden hat und jeder Dollar ist mir für künftige Reisepläne mehr als willkommen.
Wo wohnst Du?
So wie die Jobsuche - in Melbourne ist es nicht leicht ein bezahlbares, zentrumsnahes und im Winter warmes (ja, denn der Winter ist kalt hier!) Zimmer mit netten Mitbewohnern zu finden - zumindest wenn man 6 oder 7 Tage die Woche arbeitet, denn die Zimmersuche braucht Zeit. Diese habe ich aber nicht, oder möchte sie mir nicht nehmen und zudem weiß ich ja auch nie, wie lange ich eigentlich noch da bin und kann, oder möchte, keine längerfristigen Verträge unterschreiben. Und so nehme ich eben, was ich gerade kriegen kann - und dies ist zuerst einmal ein Hostelzimmer.
Aber dann gibt es ja auch noch Jen, meine couchsurfing-Gastgeberin aus meiner Anfangszeit in Melbourne. Diese bietet mir an während ihres Urlaubs im Januar in ihrem Zimmer zu wohnen - und als sie zurückkommt, in dem Zimmer ihrer Mitbewohnerin zu wohnen, denn diese bleibt unvorhergesehen länger im Urlaub. Und als diese zurückkommt, bietet man mir an doch einfach im Wohnzimmer zu schlafen. Und so verbringe ich hier, im Norden Melbournes, fast drei Monate.
Daran anschließend - ich habe mich wieder ins Hostel zurückgezogen, schicke ich eine E-Mail über den Verteiler der Schule für die ich arbeite und frage ob jemand von einem freien Zimmer weiß - und bekomme von der Mutter einer meiner Schüler angeboten, zwei Monate in ihrer Wohnung zu wohnen, während sie sich mit ihrem Sohn für eine Zeit in Deutschland aufhält. Die Wohnung ist ein Traum, die daran gebundene Voraussetzung - ich muss mich um den Kanarienvogel kümmern - gerade noch akzeptabel . Allerdings: Es ist Winter, die Wohnung hat keine Heizung und ich friere, friere wirklich, vor allem wenn ich mal wieder mitten in der Nacht aufstehen muss um zur Frühschicht zu hetzten.
Aber auch diese Zeit geht vorbei und ich muss mich wieder auf Wohnungssuche begeben - und ziehe in eine Art Studentenwohnheim in der Innenstadt, zur Zwischenmiete, das erstbeste, was ich finden konnte. Jedoch ist es hier auch kalt, kalt, kalt und da ich einfach weder Zeit noch Energie habe nach einem passenderen Zimmer zu suchen (neben dem vielen Arbeiten bin ich in diesem Winter ständig krank; eine Erkältung jagt die andere), gehe ich den leichtesten Weg und ziehe in ein kleines Hostel, in dem Natsu wohnt, eine japanische Freundin von mir. Da Winter ist, ist im Hostel nicht viel los; die paar Leute die da sind, arbeiten hier, ansonsten gibt es gerade nicht so viele Gründe in Melbourne zu sein - es ist grau und (sagte ich das schon?) - kalt. Und so ist es wie eine große WG, jeden Tag die gleichen Gesichter und abendliche Ruhe, da fast alle morgens früh rausmüssen. Natsu und ich teilen uns ein Zimmer (mit Heizung!) und bekommen irgendwann eine weitere Mitbewohnerin - Minami. Und es ist ein bisschen wie im Landschulheim; im Mädchenzimmer. Aber es klappt gut, wir verstehen uns sehr gut und ja, ich wohne hier einige Monate.
Allerdings nehme ich auch das Angebot eines hier lebenden Freundes, Karl, während seiner Abwesenheit über Weihnachten und Silvester in seinem Zimmer zu wohnen, gerne an, vor allem, da es zu dieser Zeit im Hostel wieder voller wird. Und so ziehe ich direkt in die Innenstadt, in eine Wohnung voll ausgestattet mit allem was man sich nur wünschen kann, inklusive meinem eigenen Badezimmer und Blick aufs gegenüberliegende Casino. Und zudem bekomme ich einen Mitbewohner, Marton, der gerade Urlaub hat und permanent Besuch von irgendwelchen Freunden, die auch gerade Urlaub haben und nicht nur einmal steht das Abendessen auf dem Tisch, als ich abends von der Arbeit nach Hause komme. Glück muss man eben haben.
Hast Du eigentlich Freunde?
Ich gebe es zu - der Anfang war schwer, sehr schwer, wie es eben so ist, wenn man neu in eine Stadt kommt. Klar lernt man Leute kennen, zumal man im Hostel wohnt, aber diese ziehen ja auch meist schnell wieder weiter.
Couchsurfing war hier eine gute Idee - so lerne ich Jen kennen - und Jen war nicht nur eine perfekte erste Couchsurfing-Erfahrung, Jen ist sowieso ein Glücksgriff und wird schnell zu einer Freundin. Und dann wird es leicht - über Jen lerne ich Lena und Isa, ihr Mitbewohnerinnen kennen, mit denen ich so manches mal um die Häuser ziehe und sowieso ihren halben Freundeskreis.
Irgendwann stehen nachts, in einer Kneipe, Karl und Marton vor uns, wie genau - hm, es wird behauptet, die Erinnerungen sind schwammig - diese wohnen im gleichen Stadtteil wie ich zu dieser Zeit; es ist Winter und wenn es die Zeit irgendwie zulässt, verbringen Karl und ich so manchen kalten Winterabend in einer warmen Kneipe die zwischen unseren beiden Wohnungen liegt.
Und dann gibt es da ja noch meine zwei japanischen Mitbewohnerinnen Natsu und Minami, mit denen ich viel Zeit verbringe, vorzugsweise bei japanischem Essen. Und über die beiden lerne ich wiederum weitere Japaner kennen - da gibt es in Melbourne ein recht großes Netzwerk und man empfängt mich überall freundlich und versorgt mich immer und überall mit... Essen (mhmmmm!!!).
Zudem lerne ich irgendwann Mallory und Natacha, zwei Französinnen kennen; dank ihnen kann ich nicht nur mein verloren geglaubtes Französisch wieder aufbessern, sondern werde auch zu jedem Ausflug, jeder Party einfach mitgeschleppt. Und so lerne ich irgendwann Etienne und seinen Mitbewohner Riccardo kennen; diese beiden werden meine zuverlässigsten treffen-wir-uns-zum-Essen-Bier-Kino-Begleiter, ob am Wochenende oder unter der Woche, wann immer die Zeit es zulässt.
Und dann gibt es noch etlichere losere Kontakte über meine diversen Arbeiten - hier ein Kaffee, da ein Abendessen. Und mit all' den Arbeitsstunden, die ich so absolviere, bin ich rundum beschäftigt.
...und der darf auch nicht fehlen...Simon, der wohl am meisten auf den Tanzflächen Melbournes vertretene Bewohner dieser Stadt
Was gefällt Dir eigentlich so an Melbourne?
Melbourne, so finde ich, ist keine "schöne" Stadt in dem Sinn, dass man dort ankommt und zum Beispiel einen tollen Hafen vorfindet, wie in Sydney. In Melbourne locken eher die hinteren Ecken, aber gerade das gefällt mir; es gibt in Melbourne viel, sehr viel, zu entdecken: In verwinkelten Seitenstraßen versteckte kleine Cafés, Galerien, Geschäfte, Rooftop Bars usw. Und in Melbourne ist etwas los; zumindest vor Mitternacht: Straßenkünstler prägen das Stadtbild, in den Bars finden, oftmals wirklich gute, kleine Livekonzerte statt. Und: Man kann in Melbourne essen gehen. Asiatisch und italienisch vor allem. Gut und bezahlbar zudem.
Viele der die Stadtmitte angrenzenden Stadtteile haben ihr ganz eigenes Gesicht: Da gibt es zum Beispiel Williamstown, einen Strandvorort, in dem sich die erste Schule, in der ich unterrichte, befindet und das fast wie ein kleines beschauliches Dorf wirkt. Da ist Fitzroy - aka der Prenzlauer Berg Melbournes, sprich, ehemaliges Arbeiterviertel, aber nun durch und durch gentrifiziert, sowie Brunswick, das auf dem besten Weg dorthin ist. Docklands, das ehemalige Hafenviertel, ist vor allem Geschäftsviertel, zudem befinden sich hoer etliche luxuriöse, aber sehr sterile Wohnungen und einige Bars; dennoch ist hier ab 22 Uhr alles wie ausgestorben. St. Kilda hingegen ist ein Strandvorort mit lebhaftem Nachtleben und Albert Park, wo ich eine Weile in der "Kanarienvogelwohnung" lebe, ist der Stadtteil der gut Betuchten; auch am Strand, aber sehr viel ruhiger.
Überhaupt der Strand: Ja, es gibt ihn, aber der ist hier nicht besonders großartig, verglichen mit anderen Städten Australiens. Melbourne ist eben Stadtleben, mit allem was dazugehört. Und ich mag es!
Was ich hier auch besonders mag, sind die Menschen. Die australische Freundlichkeit und das "easy going" muss einem schon liegen; ich habe viele Europäer über die Oberflächlichkeit klagen gehört. Aber für mich ist das Zusammenleben einfach angenehm, wenn man hier und da auf den Wegen, die man im Alltag eben so zurücklegt, einen Smalltalk hat, auch wenn es oftmals nur belanglos ist.
Zudem mag ich - in Melbourne wird einfach nicht "geglotzt" - egal was der Passant auf der Straße oder das Gegenüber in der Straßenbahn eben so macht, redet, für Kleidung trägt, es wird nicht gegafft, nicht getuschelt - leben und leben lassen!
Und dann gibt es eben so meine Lieblingsecken der Stadt: Den Victoria market, auf dem es noch Marktschreier gibt und zudem gutes und (für australische Verhältnisse) günstiges Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch und nicht zuletzt - die ein oder andere Delikatesse, mein Lieblingscafé (ja, und ich habe hier tatsächlich angefangen Kaffee zu trinken - dank der Melbourner Kaffeekultur schmeckt der hier auch einfach!) in Brunswick, wo ich nach dem Spielplatzbesuch mit Max häufig sitze, mein Lieblingskino, das Nova cinema, das neben dem üblichen Kram auch mal gute "Independent"-Filme spielt und Bars, die ich immer wieder aufsuche, Restaurants, in denen ich essen gehe oder mir vor/zwischen/nach der Arbeit schnell etwas zu essen hole.
Auch am Fluß, dem Yarra River, der quer durch Melbourne fließt, halte ich mich gerne auf und, wenn das Wetter es zulässt, natürlich im botanischen Garten. Und dann gibt es in Melbourne ja noch unzählige Museen, Galerien etc.; ich habe in meinem Jahr dort nur einige aufsuchen können; mein Favorit war jedoch das "Museum of moving images" - nicht nur sehr zu empfehlen, da es keinen Eintritt kostet!
Federation Square, zentraler Platz (dort soll es auch eine besonders nette Eisverkäuferin geben, munkelt man! )
Und was magst Du nicht so?
Mit einem Wort: Öffentliche Verkehrsmittel!
Man mag sich vorstellen: Straßenbahnen, die an jeder Querstraße eine Haltestelle haben, deren Schienen zum Teil noch von Hand umgelegt werden (das mag schön-nostalgisch sein, wenn man Tourist ist, wenn man jedoch pünktlich zur Arbeit erscheinen muss....), die an jeder Kreuzung genauso lange warten wie ein Auto. Straßenbahnen und Busse, die unter der Woche bis 23.30 oder 24 Uhr (je nach Linie) fahren und am Wochenende kaum länger. Vororte, die, 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, nur in einer 1,5 Stunden langen Reise erreichbar sind.
Irgendwann fange ich an Taxi zu fahren. Zum Beispiel, wenn ich am Wochenende Frühschicht habe, die um sechs Uhr beginnt, bleibt mir gar nichts anderes übrig - kein Bus fährt, keine Bahn. Oder wenn ich mal wieder an irgendeiner Haltestelle stehe, an der ein Bus kommen sollte, der aber nicht kommt. Oder wenn ich - meine Zeit wird kostbar in Melbourne - am Wochenende in einem anderen Stadtteil verabredet bin, als in dem, in dem ich gerade wohne. Immerhin - Taxifahren ist in Melbourne erschwinglich. Und ich kenne nach einer Weile die Strecken und Schleichwege - zum Leid der Taxifahrer, wenn ich sie um Staus herumdirigiere und sie nicht ein paar Dollar extra machen können.
Aber der Australier lobhudelt den Öffentlichen Nahverkehr in Melbourne - ja, wir (Deutschen, und Freiburger insbesondere) sind erstens verwöhnt und zweitens - sollte ich jemals in eine andere australische Stadt ziehen - ich werde mir ein Auto kaufen!
Und die Verkehrsführung für Autofahrer...auch so eine denkwürdige Sache in meiner Lieblingsstadt der Südhalbkugel!
Und sonst so?
Und sonst, kurz gefasst, habe ich in Melbourne, nach den beschriebenen Anfangsschwierigkeiten, eine verdammt anstrengende, aber auch aufregende, spannende, lehrreiche und gute Zeit. Und, obwohl ich einen Job, den ich wirklich mochte zurückgelassen habe in Deutschland sowie sowieso ein gutes und angenehmes Leben - ich bereue es nicht.
Irgendwann steht mal zur Debatte, dass ich vielleicht ganz hierbleibe - man bietet mir ein Sponsorshipvisum an. Und ich befasse mich wirklich mit dem Gedanken, aber mein Arbeitgeber ist mir zu unorganisiert, seine Versprechungen zu schwammig und zudem packt mich auch wieder die Reiselust. Und ich beschließe - erstmal nicht, Aber es bleibt eine Option.
Kommst Du denn wieder?
Na, in Melbourne bin ich ja schon nicht mehr, sondern weile mittlerweile auf den Philippinen. Viel ist seit meinem Weggang dort passiert - vor allem bin ich wieder auf Reisemodus umprogrammiert. Geplant ist bislang nichts - weder eine Rückkehr, noch das Niederlassen an einem anderen Ort. Bleibt' Euch also nichts, als vorliegenden Reisebbericht weiter zu lesen; die Frage wird sich irgendwann beantworten - so, oder so.
Bis dahin, viele Grüße, Alex
Aufbruch: | 01.11.2012 |
Dauer: | 28 Monate |
Heimkehr: | 28.02.2015 |
Malaysia
Australien
Samoa
Vanuatu
Neuseeland