OUT OF THE OFFICE - ON TOUR IN SOUTH AMERICA
BUENOS AIRES
Montag, 19. Februar 2007 Buenos Aires, Palermo Soho 15:56
Mit den Reiseberichten ist das ja so eine Sache - wie sie entstehen meine ich. Meistens sitze ich irgendwo, sei es in einem Bus, auf einem Boot, irgendwo in der Natur, am Pool, am Meer oder wie jetzt in unserer Wohnung in Buenos Aires. Klar, im Stehen wäre es auch irgendwie ungemütlich... Dann überlege ich mir, was wir seit den letzten niedergeschriebenen Gedanken alles so erlebt haben. Irgendein Detail fällt mir ein und dann geht's einfach los. Was dabei rauskommt oder was die Moral einer jeden Geschichte ist, ist mir weder zu Anfang noch zu Ende der "kreativen Phase" bewusst. Eigentlich ist mir das auch egal, ich muss es ja nicht lesen
Wobei das natürlich nicht stimmt. Schließlich schreibe ich das hier alles auch, damit ich später einmal graumeliert wie George Clooney oder mit Furchen im Gesicht wie Klaus Augenthaler meinen Kids von einer der aufregendsten Zeiten meines Lebens vorlesen kann...
Was mir jedenfalls heute wieder aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass so ein Reisebericht auch immer von der aktuellen Stimmung des Moments abhängt. So sitze ich also gerade auf einer himmelblauen Ledercouch im 2ten Stock unserer Wohnung in Palermo Soho, dem Schwabing von Buenos Aires, die Füße liegen auf dem Tisch, der Laptop auf dem Schoß und mein Blick schweift abwechselnd zwischen meinem Display und der verglasten Balkontür hin und her... Nebenbei läuft U2 und gerade der Song "New York" aus dem Album "All you can leave behind"...
Nueva York wie die Argentinier sagen. Die U.S. Metropole kenne ich nur aus dem Fernsehen. Und das wird auch so bleiben, bis dort ein zurechnungsfähiger Präsident das Sagen hat. Nach Buenos Aires muss ich wohl eh nicht so schnell in eine andere Megacity. Wenn man über die 12spurige Avenida Santa Fé "rennt", damit man noch bei grün die Straße überqueren kann, ist es kaum möglich, sich noch etwas Größeres vorzustellen. Ähnlich geht es einem, wenn man als Fußgänger über die Avenida 9 de Julio muß. Rennen nützt hier nicht, unter 2-3 Ampelschaltungen geht es sowieso nicht. Um an Beispielen nicht müde zu werden sollte ich noch erwähnen wie es ist, in der Shoppingmeile "Florida" über eine der Querstraßen zu gehen. Nicht dass diese allzu breit wären. Das Interessante ist, wie sich die jeweils gegenüberliegenden Menschenmassen aufeinander zu bewegen, sich wie auf einem Schlachtfeld in der Mitte der Straße treffen und doch ungeschoren auf der anderen Seite ankommen.
"All you can leave behind"... Wenn ich mir überlege, was ich seit über 4 Monaten hinter mir gelassen und dafür erlebt habe, dann kann einen eigentlich rein gar nichts von einer nahezu vollkommenen Zufriedenheit abbringen. Klar, ohne Einschränkung kann man das natürlich auch nicht sagen. Und um den roten Faden wieder aufzugreifen, ein Reisebericht der direkt nach dem Besuch der Iguazu Wasserfälle geschrieben wurde, liest sich anders als einer der verfasst wurde, nachdem man erschöpft aus dem Großstadtdschungel in seine 4 Wände zurückgekehrt ist... Erschöpfend kann so etwas eben sein, wenn man z.B. um 09:00 Uhr in der Sprachschule sein soll, um 08:15 am Bahngleis der "Subte" (U-Bahn) steht, aber am Ende erst nach 10:00 Uhr am Zielort eintrifft.
Wenn die Argentinier Lederhosen und Dirndl getragen hätten, dann wäre mir auch klar gewesen, warum einfach kein Platz mehr für uns in der U-Bahn gewesen ist Statt Oktoberfest herrscht hier aber ganz alltägliche Verstopfung. Ein ordentlicher "Durchfall" würde dem ganzen System also mal gut tun. Schade, dass ich keinen mehr mit dem Küstenvirus anstecken kann Es gibt sie also diese Tage... Auch hier, klar! Fast erinnert mich der heutige Tag an jenen in Brasilien, als ich in Sao Lourenco mit meinen Flip-Flops innerhalb einer Stunde zunächst in frischen Hundekot stieg, um das Ganze anschließend noch mit einem Kaugummi zu fixieren
Im Giesing von Buenos Aires, stehen im Stadtteil La Boca die bunten Häuser der ehemaligen Hafenarbeiter. Heute treiben sich hier aber eher Touristen herum, als hart schuftende Kerle...
Nun gut, ich hoffe Ihr amüsiert Euch Gleiches haben Nicole und ich gestern im "Salon Canning" getan. Ich sage nur: "Tango vom Feinsten"! Wie muss man sich des Argentiniers liebsten Tanz in einer so genannten "Milonga" vorstellen? Der riesige quadratische Raum, welcher bereits beim Öffnen der Eingangstür seine 56 Jahre auf dem Buckel nicht verheimlichen kann, ist relativ spartanisch eingerichtet. An den Wänden hängen Ölbilder mit Tanzfiguren, es gibt eine vergleichsweise kleine verspiegelte Bar und um die ebenfalls quadratische Tanzfläche sind in 3er Reihen Tische und Stühle aufgestellt. Nicole und ich betraten um kurz nach 18:00 Uhr als eine der ersten Personen die leicht verruchte Lokalität. Tango wurde eben früher auch nur von käuflichen Damen aus dem "horizontalen Gewerbe" getanzt
Unbedarft setzten wir uns an einen der unzähligen freien Tische. Keine 5 Minuten später kam ein Herr um die 70ig auf uns zu und fragt uns auf Spanisch ob wir uns denn irren würden. Häh? Wir saßen auf seinem Stammplatz... So wie er aussah, sitzt er wohl seit 1951 jeden Sonntag um 18:00 Uhr an jenem Tisch. Gut, es waren ja noch genügend andere Sitzmöglichkeiten frei. Lange sitzen blieben wir aber auch am nächsten Tisch nicht. Der Kellner wies uns darauf hin, dass hier fast alle Plätze Stammkunden hätten. Immerhin war er so freundlich uns zu einem freien Tisch zu begleiten. Eine halbe Stunde später war der Salon Canning dann schließlich gut besucht. Das Publikum: "Sie", 40 bis 50+, meist solo oder in weiblicher Begleitung unterwegs, in schicker Abendrobe - "Er", 60 bis 70+, natürlich solo unterwegs, im feinsten angestaubten Zwirn. Gemeinsam getanzt wird auf "zuzwinkern", das Signal kommt jedoch vom männlichen Geschlecht. Schließlich gibt er beim Tanzen auch den Ton an. Ein, zwei Tango Songs später trennt man sich wieder und jeder sitzt wieder allein am Tisch... Die Musik an sich erinnert mich an das blechige Geräusch des Grammofons meines Vaters und das altmodisch angehauchte Ambiente an längst vergangene Zeiten. Welch Melancholie. Diese den Argentiniern nachgesagte Eigenschaft liegt in jener Milonga geradezu in der Luft. Der optimale Ort für Schwermütigkeit... Aber auch der geeignete Ort um sich die tristen Gedanken durch ein schwingendes Tanzbein zu vertreiben
Nicole und ich waren deshalb gleich im Anschluss in einer etwas jüngeren Milonga und haben dort mit ca. 100 anderen Tanzwütigen eine offene Tangostunde besucht. Als bekennender "Tanz-Spastiker" kann ich aber hier stolz behaupten, Tango liegt mir mehr als beispielsweise Salsa. Bin ich als Bewegungs-Legastheniker bei letzterem Tanz wohl zu Hüftsteif (keine Sorge, nur beim Tanzen ), benötigt man beim Tango nur flinke Füße. Optimal für einen Fußballer
Jaja, die letzten Tage von Marc & Roli in B.A. waren nochmal ziemlich anstrengend. Sämtliche wichtigen Stadteile wurden abgeklappert. Das Centro, San Telmo, La Boca, Palermo, Puerto Madero und ein Ausflug ins Flußdelta Tigre stand auch noch auf dem Plan. Liebe Jungs, ich darf hier nochmal erwähnen, dass die Zeit mit Euch echt super lustig war Und Marc, Du meintest ja, Du hättest im letzten Reisebericht zu viele "verbale Watschn" bekommen. Zu einer gewünschten Gegendarstellung reicht es aber leider nicht. Mir geht das Bild, als Du Dir das Bikini-Oberteil für Deine Freundin an Deine Brust gehalten hast, einfach nicht aus dem Kopf
So werden wir also die nächsten 4 Wochen lernend und tanzend verbringen. Ursprünglich wollte ich hier in Buenos Aires ja bis zum Ende der Reise ein Praktikum bei einer gemeinnützigen Organisation absolvieren, um meine Sprachkenntnisse zu vertiefen. Leider bekam ich auf meine Anfrage hin nach 2 Monaten Wartezeit eine recht trockene Absage. Scheinbar schien mein "Profil" nicht auf eine unbezahlte Tätigkeit zu passen. Immerhin wünschte man mir noch alles Gute für den weiteren Lebensweg... Kurzeitig hatte ich das Gefühl mich nicht auf ein Projekt für Straßenkinder zu bemühen, sondern um einen Job als Investment-Banker
Nun ja, auf eine weitere Anfrage bei einer anderen Organisation kam schließlich gar keine Antwort. Natürlich gibt es noch ein Haufen Anbieter im Internet bei denen man gegen eine ordentliche Bezahlung mithelfen könnte. Allerdings bin ich auch nach bald 5 Monaten Arbeitslosigkeit noch nicht ganz senil
Lieber werden wir uns nach den nächsten 4 Wochen noch einmal auf den Weg machen, zu einem bis jetzt noch nicht definierten Ziel. Mal sehen was die Reisekasse nach der Zeit hier noch her gibt
Aufbruch: | 11.10.2006 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 08.04.2007 |
Peru
Chile
Argentinien
Paraguay
Brasilien
Uruguay