30.000km - 4 Monate - 1 Paar Schuhe

Reisezeit: November 2012 - März 2013  |  von Marcus W.

Wladiwostok - SuiFenHe

Ich wollte mich eigentlich das naechste mal aus Peking melden, aber jetzt stecke ich gerade in SuiFenHe fest und muss hier einige Stunden, auf den Zug wartend, verbringen. Ich habe heute also Russland verlassen und bin jetzt in China. In Wladiwostok habe ich zwei Tage bei Jevgeni verbracht, einem freiberuflichen Kameramann und Editor. Er hat mir geholfen eine umstaendliche (aber guenstige) Verbindung nach Harbin in China zu finden. Der Plan war, den Bus Nr. 23 zum Fernbusbahnhof von Wladiwostok zu nehmen. Von dort faehrt einmal am Tag um 8:50 Uhr ein Bus nach Pogranischnui fuer 363 Rubel. Dort angekommen, nimmt man einen Bus nach SuiFenHe, der die russisch-chinesische Grenze ueberquert. Von SuiFenHe wechselt man vom Bus in den Zug und kommt nach ca. 10h Fahrt in Harbin an. In Harbin wollte ich dann ohne Uebernachtung direkt in den Nachtzug nach Peking umsteigen. Aber es ist alles ganz anders gekommen.

Den Bus Nr. 23 habe ich gefunden. Darueber hatte ich mich erstmal sehr gefreut; nachdem ich um 7 Uhr frueh von Jevgenis Wohnung zur Haltestelle durch einen blizzardartigen Schneesturm gestapft bin. Die BILD Zeitung haette vermutlich etwas wie "Wladiwostok versinkt im Schneechaos!!!" geschrieben. Der Bus ist aber gefahren. Allerdings nur bis ein anderer Bus uns den Weg versperrt hat. Unser Fahrer hat dann wuetend um sich gebruellt, einige Leute haben darauf den Bus verlassen. Kurze Zeit spaeter steigt auch der Rest aus, weil wir im Schnee feststeckten und weder vorwaerts noch rueckwaerts weiter kamen. Ich folge also den anderen Leuten und hoffe, dass es bis zum Fernbusbahnhof nicht mehr allzu weit ist. Unser Bus stand auf einer abschuessigen Strasse, wir gehen die Strasse hinunter und auf einmal weiss man, was das eigentliche Problem ist. Die Strasse ist spiegelglatt und etwas weiter unten sind drei Autos ineinander gefahren. Neben mir geht eine Frau die Strasse entlang. Ploetzlich kommt von hinten ein Auto den Hang hinunter gerutscht, verfehlt sie nur knapp und schlittert in die anderen Autos - es kracht fuerchterlich. Nun versucht jeder, sich irgendwie in Sicherheit zu bringen. Den Schock noch nicht verdaut, kracht es schon wieder: das naechste Auto. Ueberall stehen Leute herum, kreischen und rufen den Leuten auf der Strasse zu. Ein Auto nach dem anderen kommt den Hang hinunter geschlittert. Ich bleibe eine Weile dort stehen, es wird zum Glueck niemand verletzt, und gehe dann weiter.

Am Busbahnhof angekommen, erfahre ich erstmal, dass mein Bus nach Pogranischnui wegen des Schnees nicht faehrt. Ich finde einen anderen Bus, der direkt nach SuiFenHe faehrt, aber fast fuenf mal so teuer ist... Egal, die 1900 Rubel muss ich wohl blechen, wenn ich weiter kommen moechte. Ich schaue also in mein kleines norwegisches Portemonnaie, und siehe da, ich habe noch exakt 1900 Rubel uebrig. Nach ein paar Stunden ueber die verschneite Autobahn und durch das Niemandsland im russisch-chinesischen Grenzgebiet, passieren wir ohne Probleme die russische Grenze. Bei der Passkontrolle an der chinesischen Grenze kommen auch alle schnell durch; bis auf den einzigen Deutschen. Ich stehe umringt von chinesischen Grenzbeamten, die alle sehr freundlich zu mir sind, mir meinen Pass aber erst nach einer halben Stunde warten wieder in die Hand geben. Ich gehe hinaus zum Busparkplatz und finde meinen Bus nicht. Er ist ohne mich abgefahren und hat mich mitten an der Grenze stehen lassen. Danke Russland, fuer diesen tollen Abschied!

Ich werde dann von circa zehn Taxifahrern zugelabert, die meine Situation erkannt haben. Mit einem verhandle ich. Er will 100 Yuan, um mich zum Bahnhof zu bringen. Ich bin zwar erst seit einer Stunde in China, aber das erscheint mir etwas zuviel; ich sage 50, er 80, ich biete 60, er sagt o.k. Waehrend der Fahrt macht er einen auf freundlich. Als wir ankommen, schaue ich aufs Taxameter: 40 Yuan. Also wieso mehr bezahlen? Dann schwingt die Stimmung ganz schnell um. Er will die vereinbarten 60. Vielleicht haette ich vorher einfach nicht mit ihm handeln sollen, aber dann haette er wahrscheinlich 100 Yuan verlangt. Wir streiten eine Weile und wiederholen uns staendig. Ich zeige immer wieder aufs Taxameter und sage ihm, dass ich die Polizei anrufen will. Was macht er? Er druckt die Quittung aus, zerknuellt sie und schmeisst sie aus dem Fenster, der Wind weht sie davon. Jetzt bringt es wohl auch nichts mehr, die Polizei einzuschalten. Ich gib ihm trotzdem nur 40 Yuan, steige aus, moechte meinen Rucksack vom Ruecksitz nehmen, aber er haelt ihn fest. Ich koennte ihm den Rucksack aus der Hand reissen, aber so werde ich ihn bestimmt auch nicht los. Ich schmeisse ihm seine 20 Yuan zu und lasse die Tuer knallen, dass es ueber den gesamten Bahnhofsvorplatz schallt.

Wenigstens ist das Zugticket nach Harbin billig: 78 Yuan. Ich bin dann noch eine Weile umher gelaufen. Doch ueberall quatschen mich neue Taxifahrer an; rufen mir sogar von der anderen Strassenseite zu. Ich antworte nur noch mit einem internationalen Handzeichen, dass hoffentlich auch hier in China verstanden wird. In einem Restaurant konnte ich mich dann endlich etwas beruhigen. Ich war froh, dass ich mit Hilfe eines Fotos zeigen konnte, was ich essen moechte. Es war sogar recht lecker. Aber ich fuerchte, dass ich hier in China, meine in 26 Jahren gewonnene Selbststaendigkeit fuer die naechsten drei Wochen aufgeben muss. Ich kann nicht lesen, nicht sprechen, nicht verstehen... Fehlt eigentlich nur noch ein Schnuller zum lutschen und jemand der mich im Kinderwagen herumkutschiert. Mal schauen was mich heute bei der Zugfahrt noch so erwartet. Jetzt werde ich aber erstmal den Tian'anmen Platz googlen.

vom 04.12.2012

© Marcus W., 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Vier Monate lang werde ich den asiatischen Kontinent bereisen. Am 14. November starte ich mit dem Zug von Berlin aus Richtung Osteuropa. Die genaue Route lasse ich mir offen, fest steht nur, dass ich spätestens Mitte März wieder hier ankommen möchte. Dazwischen liegen Russland, China, Südostasien, Indien und Nepal, die ich bereisen werde. Zurück gehts über den Iran, wenn die politische Lage es zulässt. Insgesamt liegen geschätzte 30.000 km vor mir.
Details:
Aufbruch: 14.11.2012
Dauer: 4 Monate
Heimkehr: März 2013
Reiseziele: Russland / Russische Föderation
China
Singapur
Indonesien
Nepal
Indien
Vereinigte Arabische Emirate
Iran
Deutschland
Der Autor
 
Marcus W. berichtet seit 11 Jahren auf umdiewelt.