Nepal, Indien und andere Abenteuer - von fantastico bis ungeheuer

Reisezeit: Februar - Juli 2008  |  von Christian L.

Bei meiner Solo-Anschlussreise an Thailand und Laos (siehe http://www.umdiewelt.de/Asien/Suedostasien/Thailand/Reisebericht-3264/Kapitel-0.html - gemeinsam mit Freundin Gertraud) hab ich mir vorgenommen, vor allem Bergluft zu schnuppern. Grober Plan daher Zwischenstation Kolkata, Nepal 2 Monate, wieder Indien, und evtl. je nach Lust und Laune weitere asiatische Länder. Also, mal sehen was rauskommt dabei :-)

_ _ _

Indien I - Kolkata (Calcutta)

Nachdem etwa auf dem halben Weg zwischen Bangkok und Kathmandu (der Hauptstadt von Nepal) die Megacity Kolkata (ehemals Calcutta) liegt, und zwei getrennte Fluege sogar guenstiger als ein Direktflug Bangkok -> Kathmandu waren, plante ich einen wenigtaegigen Abhuepfer ueber der Millionenstadt. Daher hatte ich bereits von zuhause Flugtickets fuer Bangkok - Kolkata fuer EUR 210 bei Jet Airways (indische Fluglinie) gebucht. Ebenso von zuhause brachte ich ein Visum fuer Indien mit. Dieses kostet EUR 60, gilt fuer 6 Monate, und zwar im Gegensatz zu anderen Visa ab Ausstellungsdatum.

Die Verabschiedung am Flughafen Bangkok von meiner langjaehrigen Freundin Gertraud, mit der ich vorher bereits voller Leidenschaft Thailand und Laos durchstreift hatte (siehe voriger Reisebericht), war wahrlich nicht leicht. Aber ein Mann muss tun, was er tun muss, oder?

Ich hatte mir Kolkata schlimm vorgestellt, aber es kam alles ganz anders: ordentliche Muellentsorgung, saubere Luft, keine armen Leute auf der Strasse, ueberall blumige Gruenflaechen....

Nun ber Scherz beiseite. Ich habe mir Kolkata schlimm vorgestellt, und es ist in der Tat ziemlich uebel.

Bei der Fahrt vom Flughafen in Kolkata (-> das Flugzeug ist also nicht abgestuerzt) nach Chowringhee, dem Stadtteil mit den meisten Sehenswuerdigkeiten, war ich wegen leichter Muedigkeit etwas geistig abwesend. Als sich dann bei einer roten Ampel, bei der wir ca. 2 Minuten standen, beim offenen Taxifenster ein Armstumpf (ein ca. ab der Mitte des Unterarms abwaerts amputierter Arm) auf mich zubewegte, wurde ich jedoch schlagartig in die Realitaet zurueckgeholt. Ich merkte dann auch noch, dass vom zweiten Arm des jungen, halbnackten Mannes nur mehr ein kleiner Oberarmansatz uebrig war. Es dauerte einige Sekunden bis ich verstand, dass der offensichtlich auch sprachbehinderte Jugendliche das neben mir liegende, noch verpackte Rosinenbrot haben wollte. Unbeholfen steckte ich ihm dieses in die Armkehle, und die Ampeln schalteten auf gruen.

Apropos Verkehr: Dieser ist schlimmer, als ich ihn je zuvor in einer asiatischen Grossstadt erlebt habe. Der Smog bringt dich zum Husten, Grobstaub brennt in den Augen. Es vergeht kein Augenblick, in dem nicht irgend ein Verkehrsteilnehmer lautstark hupt, manchmal auch voellig grundlos. Die Automassen schieben sich hektisch ineinander. An 'richtigen' roten Ampeln (rot bedeutet nicht ueberall rot) durchkaemmen Kautabakverkauefer und ein paar wenige Bettler die stehenden Automassen. Die Temperatur lag zu meiner Zeit bei satten 33 Grad Celsius, was aber das kleinste Problem darstellte (in der Hitze- und Regenzeit wirds dann wirklich schlimm...). Als Fussgaenger muss man sich beinhart seinen Weg durch die Blechlawinen - vorwiegend gelbe Taxis, und zwar alle vom gleichen Typ - bahnen. Und man muss dabei hoellisch aufpassen, dass man kein Teil indischer Asphaltgeschichte wird! Manchmal kann man beobachten, dass ein Fussgaenger einen "Schuppser" abbekommt. Richtige Unfalle gibt es aber erstaunlich wenige.

Ein Hotel hat sich in Chowringhee schnell gefunden (Marble Palace Guest House - Preis 750 indische Rupien pro Tag = recht teure ca. EUR 14). Allerdings stellte sich das ca. 3,5 m hohe Hotelzimmer inkl. Air Condition, unbrauchbarem TV (Lautstaerkte huepfte staendig von laut auf leise und zurueck) und gottseidank starken Fenstergittern trotz Lage abseits der Strasse als suboptimal heraus. Der Verkehrslaerm war auch dort bis spaet in die Nacht hinein nicht zu ueberhoeren. Dazu mischten sich laute TV-Gerausche, islamische Gebete, Gesang und laute Nachbarn. Auch Oropax helfen in so einem Fall nicht mehr weiter. Als beste Loesung stellte sich heraus, die Ohrstoepsel meines mp3-Players tief in meine Ohrmuscheln zu druecken, um mich mit lauter, aber chilliger Musik (zB von Air) in den Schlaf zu wiegen (Alternative waeren 10 Bier vor dem Schlafen gehen gewesen, aber das kann man halt auch nicht jeden Tag machen...).

Angesehen habe ich mir in Kolkata einiges, wie zB:

- das Victoria-Memorial (recht beindruckend und wohl jedem ein Begriff)
- die nahe liegende St. Pauls Cathedral (war leider gerade geschlossen)
- die Hoara-Bridge (auch Howrah-Bridge genannt, wichtigste Bruecke ueber den Fluss Hogli, ueber die auch zu Fuss (getragen auf dem Kopf) reger Warenverkehr erfolgt)
- das Motherhouse (Wohn- und Grabesstaette von Mutter Teresa, die ja mit ihren Schwestern besonders in Kolkata wunderbare Dinge vollbracht hat und in Indien eine wahre Beruehmtheit ist)
- die Science City (ein abgespeckter Vergnuegungspark vorwiegend fuer Kinder)

Und eins hab ich mir besonders gut angesehen, und zwar das Leben der Leute auf der Strasse. Aus diesem Grund bin ich absichtlich sehr wenig mit Taxi gefahren (im uebrigen wird man von den Taxifahrern in Kolkata von vorne bis hinten gelegt) und habe weite Strecken entlang den Strassen per Fuss zurueckgelegt, wo ich uebrigens anscheinend der einzige Auslaender war (nur bei einigen der oben genannten Sehenswuerdigkeiten sind mir "Westler" untergekommen).

Und das Strassenleben hat es ziemlich in sich. Muell liegt UEBERALL. Manche Menschen durchstoebern Muellhaufen nach Essbarem. Es stinkt nach Oel, Diesel, Urin und/oder Kot, manchmal so schlimm, dass man zusehen muss, um sich nicht zu uebergeben. Hunde fressen aus Kot- und Muellhaufen. Die an Strassenlaternen oder sonstwo angebundenen Ziegen sehen durch ihre Groesse und ihre rund gewoelbte Stirn irgendwie furchterregend aus. Bettler sitzen/liegen ueberall herum. Bei manchen weiss man nicht, ob sie ueberhaupt noch leben. Familien mit kleinen Kindern leben in teils aergsten Behausungen am oft oelverschmierten Gehsteig(rand) mit einer aufgespannten Plane als Hausdach.

Jedenfalls ist es ein schoens Gefuehl, wenn man den Leuten ein bisschen helfen kann. Ich werde nie den entzueckten Gesichtsausdruck einer Bettlerin vergessen, als ich ihr spontan mein halbvolles 7up in die Hand gedrueckt habe. Oder das dankbare Handeschuetteln von zwei Maedels fuer ein paar Schluck Wasser und eine kleine Tuete Chips, oder eines Jungen fuer eine Banane.

Apropos Nahrungsaufnahme: Diese gestaltete sich fuer mich ungleich schwieriger als in Thailand. Wegen der hygienischen Bedingungen traute ich mich nichts von den Strassenstaenden anzuruehren (um Fleischteile kreisende Fliegenschwaerme finde ich nicht besonders einlandend ). Und in den Restaurants musste ich wegen mir (noch) nicht bekannter indischer Speisenamen nach der Augen-zu-und-Finger-auf-vegetarisches-Menue-zeigen-Methode vorgehen, was gluecklicherweise recht gut funktionierte. McDonalds, Starbucks oder aehnliches sucht man vergeblich.

Bei Kindern war meine Kamera eine wahre Sensation, und ich hatte ziemlichen Spass mit denen. Es sind dabei auch ein paar lustige Fotos entstanden. Man muss allerdings aufpassen, dass einem die Kamera nicht aus der Hand gerissen wird.

Generell wuerde ich sagen, dass die Leute trotz der teils miserablen Lebensumstaende relativ froh und lebhaft erscheinen, und im Allgemeinen auch recht freundlich sind.

Angekommen bin ich in Kolkata am 28.2. Nachmittag, und ich war dann doch recht froh, als ich am 2.3. am fruehen Nachmittag in der Air India Maschine nach Kathmandu sass (das zweit Tage vorher bei einem "Reisebuero" erstandene Ticket kostete 4500 ind. Rupien = ca. EUR 83).

Es mag in Kolkata womoeglich auch schoenere Stadtteile geben als Chowringhee, und Kolkata ist in Indien bekannt fuer seine Kunst (klassische Musik, Gemaelde etc.). Einige Trekker, die ich in Nepal getroffen habe, fanden Kolkata gar nicht soooo schlimm - allerdings im Vergleich mit anderen indischen Grossstaedten, die sie bereist haben. Ich war im Gegensatz zu denen vom schoenen Bangkok nach Kolkata gekommen. Sogesehen war es fuer mich der erste Crash-Kurs im Unterrichtsfach Indien, und weitere Unterrichtseinheiten werden wohl folgen.

Der Flughafen in Kolkata ist uebrigens nicht viel groesser als der Linzer Flughafen, und das fuer ein Einzugsgebiet von 15 Millionen Menschen! Beim Check-In wurde dann noch mein Gepaeck 2 Minuten durchleuchtet und eine weitere Sicherheitskraft hinzugezogen. Da kann einem schon leicht bange werden, denn zumindest mein Pfefferspray haette die Beamten stoeren koennen. Im Endeffekt gab es aber kein Problem. Probleme bekam allerdings ein deutscher Aussteiger, der vor 10 Jahren eine laengere Zeit in indischen Gefaengnissen verbracht hatte, angeblich wegen 2jaehrigem Aufenenthalt in Indien mit einem 6-Monats-Visum (oder weswegen auch immer). Nach einer Stunde durfte er allerdings auch nocht rechtzeitig boarden.

Wie sich spaeter herausstellte, war es eine gute Entscheidung nach Nepal (Kathmandu) zu fliegen. Die Grenzen in Nepal waren naemlich zu meiner Ankunftszeit wieder mal dicht, und in so einem Fall kann es bei Anreise per Zug+Bus (wesentlich guenstiger als Flug, man sieht auch viel mehr, ab er es dauert fast 2 Tage und ist ziemlich anstrengend) schnell mal passieren, dass man 2 oder 3 Tage auf der Grenze warten muss...

Zusammenfassend wuerde ich niemanden wuenschen, dass sie/er versehentlich einen Badeurlaub in Calcutta bucht . Jedenfalls moechte ich die Erfahrungen, die ich bei meinem kurzen Aufenthalt dort gemacht habe, niemals missen!!!

to be continued....

=====

Nachtrag vom August 2008:

Beim Lesen dieses Berichts nach Heimkehr ist mir aufgefallen, dass ich mit Kolkata schon sehr hart ins Gericht gegangen bin. Ja, es war für mich als Indienneuling tatsächlich sehr krass! Man gewöhnt sich aber mit der Zeit an Müll, Gestank, Lärm, Menschenmassen und Armut, und dementsprechend sind die anderen Kapitel über Indien nicht so negativ ausgefallen, obwohl die Gegebenheiten oft vergleichbar waren.

Jedenfalls soll von meinen Schilderungen kein Indienreisender von einem Besuch in Kolkata abgehalten werden, denn viel schlimmer (aber auch nicht besser) als in anderen indischen Großstädten ist es nicht. Außerdem habe ich die Dankbarkeit der Bettler für kleine Gaben positiv in Erinnerung, was nicht überall in Indien so war.

modernes Touch-Screen-Unterhaltungssystem bei Jet Airways auch in der Economy-Class

modernes Touch-Screen-Unterhaltungssystem bei Jet Airways auch in der Economy-Class

fuer Kinder in Kolkata ist eine Kamera eine Megaattraktion! (und auch Erwachsene kucken ganz erstaunt)

fuer Kinder in Kolkata ist eine Kamera eine Megaattraktion! (und auch Erwachsene kucken ganz erstaunt)

Hotelkollegen: im Bild Teil einer islamischen Familie aus Bangladesh (in Kolkata zur aerztlichen Betreuung)

Hotelkollegen: im Bild Teil einer islamischen Familie aus Bangladesh (in Kolkata zur aerztlichen Betreuung)

Victoria Memorial und viel Gruen rundherum - einer der raren erholsamen Flecken in Kolkata

Victoria Memorial und viel Gruen rundherum - einer der raren erholsamen Flecken in Kolkata

Blumengarten beim Victoria Memorial

Blumengarten beim Victoria Memorial

moderner Bus

moderner Bus

fuer Wasser dankbare Kinder

fuer Wasser dankbare Kinder

Blumenmarkt in Naehe von Hoara-Bridge 1

Blumenmarkt in Naehe von Hoara-Bridge 1

Waschsalon Hogli-Fluss

Waschsalon Hogli-Fluss

Blumenmarkt in Naehe von Hoara-Bridge 2

Blumenmarkt in Naehe von Hoara-Bridge 2

Blick auf Hogli-Fluss und Hoara-Bridge

Blick auf Hogli-Fluss und Hoara-Bridge

gepinkelt wird in Toiletten, oder wo immer es halt gerade passt...

gepinkelt wird in Toiletten, oder wo immer es halt gerade passt...

einer der vielen Busse Marke TATA (wer denkt es handelt sich um einen rechtsradikalen Bus: http://de.wikipedia.org/wiki/Hakenkreuz)

einer der vielen Busse Marke TATA (wer denkt es handelt sich um einen rechtsradikalen Bus: http://de.wikipedia.org/wiki/Hakenkreuz)

die Fuesse werden in Kolkata beim Rumlaufen nicht nur muede, sondern vor allem auch dreckig

die Fuesse werden in Kolkata beim Rumlaufen nicht nur muede, sondern vor allem auch dreckig

Waschen auf der Strasse, Muellentsorgung detto

Waschen auf der Strasse, Muellentsorgung detto

eine der vielen grossen Ziegen

eine der vielen grossen Ziegen

Ricksha-Lauefer

Ricksha-Lauefer

im Motherhouse (in den meisten Teilen des Hauses, wie zB einer interessanten Ausstellung, darf nicht fotografiert werden)

im Motherhouse (in den meisten Teilen des Hauses, wie zB einer interessanten Ausstellung, darf nicht fotografiert werden)

Grabstaette von Mutter Teresa

Grabstaette von Mutter Teresa

Koerper- und Kleiderwaesche auf der Strasse

Koerper- und Kleiderwaesche auf der Strasse

im Bild Behausungen von drei Familien

im Bild Behausungen von drei Familien

Kingfisher - das indische Nationalbier

Kingfisher - das indische Nationalbier

Gehupe, Gestank und Staub gibts in Kolkata jede Menge, und zwar umsonst!

Gehupe, Gestank und Staub gibts in Kolkata jede Menge, und zwar umsonst!

Science City - ein zweiter erholsamer Fleck mit viel Gruen

Science City - ein zweiter erholsamer Fleck mit viel Gruen

Kinder koennen etwas ausser Kontrolle geraten, wenn man nicht aufpasst

Kinder koennen etwas ausser Kontrolle geraten, wenn man nicht aufpasst

Muell ueberall...

Muell ueberall...

Bettelkinder

Bettelkinder

so ein Taxi muss doch leicht zum Kleinbus umfunktioniert werden koennen, oder?

so ein Taxi muss doch leicht zum Kleinbus umfunktioniert werden koennen, oder?

und ab gehts in das lange herbeigesehnte Nepal

und ab gehts in das lange herbeigesehnte Nepal

© Christian L., 2008
Du bist hier : Startseite Asien Indien Indien I - Kolkata (Calcutta)
Die Reise
 
Details:
Aufbruch: 02.02.2008
Dauer: 5 Monate
Heimkehr: Juli 2008
Reiseziele: Indien
Nepal
Der Autor
 
Christian L. berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors