Asien 2005: Der Weg BLEIBT das Ziel
INDIEN: Wo einst ein Stueck Gondwanaland aufprallte
16. Mai, Janakpur, Nepal
[Die nackten Fakten: Zug von Kalkutta nach New Jaipalguri, Fahrrad-Rikscha von New Jaipalguri nach Siliguri, "Toy-Train" von Siliguri nach Darjeeling, Taxi ins Hotel in Darjeeling, zu Fuss vom Hotel zum Jeep-Sammelplatz in Darjeeling, Jeep von Darjeeling nach Gangtok/Sikkim, zu Fuss (schwerer Fehler!) ins Hotel in Gangtok, Jeep von Gangtok ins Yumthang-Tal und zurueck, Taxi zum Jeep-Sammelplatz in Gangtok, Jeep nach Kakarvitta/nepalesische Grenze]
Reiseberichtelang haben wir ueber die unertraegliche Hitze zur Zeit in Teilen Asiens lamentiert. Schluss damit. Nun wird ueber Regen und Kaelte genoergelt. Aber der Reihe nach. Noch haben wir den Bahnhof Howrah in Kalkutta nicht verlassen, den wir (in deutlicher milderer Form!) so erlebt haben wie ihn der Erwachte traeumte (-> "Ich lebe: Gib mir!"). Nachdem wir uns also zu unseren reservierten Plaetzen im "Darjeeling Mail" durchgekaempft haben, sind wir sofort mittendrin in einer rollenden Endlos-Verkaufsveranstaltung. Angeboten wird Naheliegendes wie Reiseproviant (Tee, Kaffe, Wasser, Knabberzeug, Suessigkeiten in aufwendigen Pappschachteln, ...) und Toilettenartikel (Kaemme, Nagelzwicker, ...), aber auch fuer Zugreisen so Unerlaessliches wie Videospiele, Gewuerze, Stoffhunde, Fotoapparat-Attrappen aus Plastik (die Profi-Variante: fette Spiegelreflex-Kamera mit Riesenobjektiv und seitlich angeflanschtem Blitzlicht), zusammenfaltbare Brettspiele, bunt flackernde Schluesselanhaenger, Saris (traditionelle indische Frauenbekleidung) und Stofftaschentuecher. Am besten gefallen uns "Quietschehaemmer" aus Plastik, Kinderspielzeug, das quietscht, wenn man haemmert. Mindestens drei werden in unserem Waggon gekauft und die Kinder kloppen drauf los, was das Zeug haelt. Wir haben Oropax. Wir schlafen gut.
Am naechsten Morgen Ankunft in New Jaipalguri am Fusse der "West Bengal Hills". Mindestens 180 kg (wir und unser Gepaeck) zwaengen sich auf eine Fahrrad-Rikscha, um die 5 km nach Siliguri zu bewaeltigen. Mann, der Rikschafahrer hat echt schwer zu strampeln, bei der allergeringsten Steigung muss er sein Gefaehrt mit uns obenauf schieben, beim Wiederanfahren erfordert es sein gesamtes Koerpergewicht die ersten Pedalumdrehungen so eben zu erzwingen. Unser schlechtes Gewissen laesst uns ihm mehr geben als vereinbart (ca. 1$). Wir nehmen Quartier in der "Siliguri Lodge", einer skurillen, heftig patinierten Herberge. Im Bad sind wir in Wohngemeinschaft mit beaengstigend grossen Kakerlaken. Zaehe Biester, das. Selbst ein mit aller Kraft ausgefuehrter Volltreffer mit der Badelatsche toetet sie nur halb. Dafuer ist die Temperatur das erste Mal seit Muenchen wieder ertraeglich ... aber es regnet.
Der beruehmte "Batasia-Loop" kurz vor Darjeeling (dahinter, wenn ohne Wolken, der Gipfel des Khangchengdzonga)
Nicht so am Morgen des naechsten Tages, gluecklicherweise. Wir besteigen den "Toy-Train", eine drollige Kuriositaet und als Weltkulturerbe anerkannt, nach Darjeeling. Diese Schmalspur-Diesellok mit vier winzigen Waggons schleppt sich auf 80 km 2100 Meter in die Hoehe, in neun Stunden! Parallel beidseitig zur Strasse nach Darjeeling gefuehrt, quert sie diese unzaehlige Male unbeschrankt (immer Vorfahrt vor den Autos geniessend). An besonders kniffligen Stellen gewinnt sie Hoehe durch eisenbahntechnische Kunstgriffe wie "Rolltreppe" (Zug rollt vorwaerts bergan in eine Sackgasse, Weiche wird umgestellt, Zug rollt rueckwaerts steil bergan wieder bis in eine Sackgasse, Weiche wird umgestellt, Zug rollt wieder steil bergan bis in eine Sackgasse, usw.) und "Loop" (Zug faehrt unter einer Schienenbruecke hindurch, vollzieht eine 270 Grad Kurve und rollt ueber die soeben unterfahrene Schienenbruecke). Auf diese Weise schleichen wir die Berge hinauf und naehern uns den Wolken. Kurz vor Darjeeling erreichen wir sie ... und in den Wolken ... regnet es.
Darjeeling. Teeplantagen. "Hill-Station" (Sommerfrische) seit den Zeiten der britischen Kolonialherren. Grandios gelegen auf 2134 Metern an einem nach Westen gerichteten steilen Berghang. Bizarre Mischung aus Indien und Schweizer Bergidyll. Die staendige Bevoelkerung rekrutiert sich zumeist aus Menschen nepalesischen, tibetischen und sikkimesischen Ursprungs. Ethnische Inder sind als Bewohner in der Minderheit, aber sehr zahlreich als wohlhabende Touristen vertreten, die es sich leisten koennen der Gluthitze der indischen Ebenen zu entfliehen. Auslaendische Touristen dagegen sind um diese Jahreszeit wegen der nun haeufig durch Wolken versperrten Sicht auf die Gipfel des Himalaya kaum vertreten. Riesig ist unser Zimmer, ebenso die Fenster, riesig ist der Blick auf Darjeeling, die umliegenden Berge und fuer wenige glueckliche Momente auf den Khangchengdzonga, mit 8598 Metern hoechster Berg Indiens und dritthoechster der Erde. Riesig ist aber auch die Kaelte, denn die Unterkuenfte in Darjeeling sind zumeist unbeheizt. Wir frieren uns den Allerwertesten ab und hadern zunaechst mit den haeufigen, urploetzlich hereinbrechenden Regenguessen und Nebelschwaden. Aber gefallen tut es uns doch, und zwar arg. Es gibt bekanntlich kein schlechtes Wetter sondern nur unangemessene ... bla bla. Jedenfalls besuchen wir fast alle Gompas (tibetische Kloester) in Darjeeling und Umgebung, sind faszinierd und von der Staerke des tibetischen Einflusses ueberrascht. Darjeeling: Gutt!
Naechste Station Sikkim, Koenigreich in und ueber den Wolken. Diese Enklave im Himalaya, eingekesselt zwischen Nepal, Tibet, Bhutan und Indien, war es bis 1975 ein (pseudo-)selbstaendiges Koenigreich. Dann entschloss man sich selbstbestimmt per Volksentscheid zum Anschluss an Indien. Sikkim gehoerte einst (wie auch die Gegend um Darjeeling) zum ehemals unabhaengigen Tibet und ist bis heute Teil der tibetischen Welt. Mehr noch wird es wohl das verbleibende Rueckzugsgebiet dieser ueberwaeltigenden Kultur sein, die manchen als die letzte existierende antike Hochkultur gilt und seit der Annektion durch China 1959 einer unvorstellbar barbarischen und wirksamen Ausloeschung ausgesetzt ist. Per Jeep erreichen wir die Hauptstadt Gangtok, auf knapp 1700 Metern topografisch aehnlich gelegen wie Darjeeling, aber an einem noch steileren Hang. Da wir zur Haelfte aus Flachlandtirolern bestehen, unterschaetzen wir die Herausforderung des Weges bis zum Hotel kolossal. Im leichten Regen stiefeln wir mit all unserer Baggage los, der Regen wird heftiger, der Weg steiler ... und steiler ...und steiler. Von Regen und Schweiss voellig durchnaesst erreichen wir das Hotel unserer Wahl: alles belegt. Warum wir kein Taxi genommen haben? Warum wir nicht vorher angerufen haben? Verdammt gute Fragen! Weitere zehn Minuten bergan bringen uns dann aber doch in eine sehr nette Unterkunft. Was nicht toetet, haertet ab.
Ausflugsprogramm in Gangtok: Aussichtspunkte im Vollnebel, Sichtweite maximal 10 Meter, dahinter -phantasiert- der majestaetische Khangchengdzonga. Blumenausstellung, ungeheure Anzahl von Orchideen. Institut der Tibetologie, hoechst beeindruckende Artefakte des tibetischen Buddhismus. Und wieder Gompas, Gompas, Gompas. Auch Gangtok: Gutt!
Dann folgt Sikkim total. Drei Touris, ein Fuehrer, ein Fahrer, ein Jeep: gemeinsam mit Petra aus Österreich buchen wir eine dreitaetige Tour in den Norden Sikkims, ins Yumthang-Tal. Schon nach wenigen Kilometern sind wir restlos ueberwaeltigt. Eine Landschaft jenseits jeder Vorstellung, tropischer Urwald an steilsten Berghaengen, Schluchten, scheinbar bis zum Mittelpunkt der Erde reichend, Haenge bis in aberwitzige Hoehen zum Anbau terrassiert, reissende Gebirgsstroeme, abenteuerliche Bruecken, ueberall Gebetsfahnen. Wahnsinn! Wir folgen atemberaubenden Strassen, fahren durch Gebirgsbaeche, ueberqueren mit dem Jeep Lawinenfelder, besuchen alte Gompas. Wenn nicht wie jetzt meist durch Wolken verhangen, wuerde alles bisher Beschriebene noch gekroent von sechs-, sieben- und achttausend Metern hohen Himalayagipfeln. Jeder, der von Berglandschaften fasziniert ist, MUSS hierhin. Vor Erreichen unseres Ziels Yumthang-Tal in 4000 Metern Hoehe passieren wir bizarr bemooste Pinien und Rhododendron-Baeume, zwischen denen Yaks (behaarte Hochlandrinder, existieren in Hoehen ab 3000 Meter) grasen. Auf dem Rueckweg verlassen wir den Jeep und marschieren einige Kilometer durch diesen Zauberwald.
Abschliessend ein kurzer geologischer Exkurs. Einst, vor vielen vielen Millionen Jahren, bestand die Erde nur aus zwei Urkontinenten -Laurasia noedlich und Gondwanaland suedlich des Äquators. Von letzterem spaltete sich eine zirka dreieckige, ueberwiegend flache Landmasse ab -Indien- und driftete nach Norden, unaufhoerlich einer Kollision mit Laurasia entgegen. Irgendwann war es soweit. Hartes gondwanisches Lavagestein prallte gegen weiches laurasisches Sedimentgestein. Da die Bewegungsenergie Indiens auch nach dem Aufprall nicht aufgebraucht war (und es nicht ist bis zum heutigen Tag), schob sie das Sedimentgestein nordwaerts und faltete es dabei in einem nach menschlichem Zeitempfinden nicht fassbar langsamen Prozess auf Hoehen bis ueber 8000 Meter. So entstand der Himalaya. Noch heute hebt er sich um 8mm jaehrlich, und der Mt. Everest schiebt sich im gleichen Zeitraum um etwa 6cm nach Nordosten. Alles fliesst!
Von Gangtok aus suedlich nach Siliguri fahrend fuehrt die Strasse (wie zumeist in Sikkim) an den Haengen von Flusstaelern entlang. Doch nun werden die tangierten Berge allmaechlich flacher, bis sie nur noch gewaltige Huegel sind. Und dann, nicht weit vor Siliguri, ploetzlich und unvermittelt das Land so flach, dass man die Erdkruemmung am Horizont zu erkennen glaubt, kein Huegelchen, nichts. Die Strasse, bis hier hin eine unaufhoerliche Abfolge von Kurven, nun schnurstracks ueber zig Kilometer. Hier genau muss es passiert sein, hier muss einst ein Fitzel Gondwana angedockt haben.
Aufbruch: | 01.01.2005 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 23.06.2005 |
Bangkok
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