Asien 2005: Der Weg BLEIBT das Ziel
NEPAL: Erde, Wasser, Feuer
09. Juni, Kathmandu, Nepal
[Die nackten Fakten: Fahrrad-Rikscha vom Guest House in Kathmandu zur Busabfahrtstelle, Bus von Kathmandu nach Pokhara (bis vors Guest House), Taxi vom Guest House in Pokhara nach Naya Pul (Beginn Trekking), zu Fuss von Naya Pul ueber Ulleri, Deurali, Tatopani, Ghasa, Tukuche, Kagbeni nach Muktinath und zurueck ueber Kagbeni nach Jomsom (Ende Trekking), Flug von Jomsom nach Pokhara, Taxi ins Hotel.]
Der Weg ist das Ziel. Motto unserer gesamten Reise. Auf Nichts trifft es mehr zu als auf Trekking. Aber dennoch: sollen wir uns das antun? Zu Fuss nach Muktinath, einem Pilgerort fuer Hindus und Buddhisten, weit im Norden von Nepal, bereits hinter der Hauptkette des Himalaya im sogenannten Transhimalaya? Dorthin fuehrt die seit fast 30 Jahren populaerste Trekking-Route Nepals, vom Autor bereits einmal 1982 beschritten. Dagegen spricht, dass jetzt nicht optimale Trekking-Zeit (Oktober/November) ist, es ist heiss und haeufig bewoelkt, die Gipfel des Himalaya nur sporadisch sichtbar. Dagegen spricht die Schinderei, die Trekking nun einmal ist. Dafuer spricht, dass ob der unklaren Sicherheitslage in Nepal sehr wenig Touristen im Lande sind, zumal nun Ende Mai/Anfang Juni. Der sonst uebliche Massenauflauf entlang der Trekking-Route wird wohl entfallen. Dafuer spricht vor allem aber eins: die Szenerie entlang des Weges ist (fast) jede Anstrengung wert.
Trekking ist Schinderei! Zum Beweis sei angefuehrt: Wir -mit fast 20 kg Gepaeck- muessten ca. 180 km zu Fuss gehen und dabei ueber 8.000 Hoehenmeter ueberwinden. Von 1.000 Meter rauf auf 3.200 und wieder runter auf 1.200 und wieder rauf auf 3.800 und wieder runter auf 2.800 Meter, dazwischen gelaendebedingt weiteres Auf und Ab. Die Wege zumeist nicht eben, haeufig grobe Steinstufen, Geroell, Fels, Flussbett aus Kies. In Gedanken versunkenes entspanntes Dahinschreiten: ist nicht! Fast staendig ist Achtsamkeit erforderlich, die Schritte wollen wohlgesetzt sein. Die Unterkuenfte entlang des Weges sind urig, mitunter spartanisch, das Sanitaere nichts fuer Mimosen und Hypochonder. Entlang des Weges eventuell Begegnungen mit maoistischen Rebellen, die freundlich aber unabweisbar um "Donation" , also Wegezoll, bitten. Und doch: wir machen's! Das Abenteuer: here we come again!
Ein grosser und ein ganz kleiner Rucksack muessen reichen, den Rest lassen wir im Guest House in Kathmandu zurueck und hoppeln westwaerts mit dem Bus nach Pokhara, dem Ausgangsort mehrerer Trekkingrouten. Hier leihen wir Schlafsaecke, besorgen Trekking-Permits und reduzieren nochmals geringfuegig das Gepaeck. Ein Taxi bringt uns nach Naya Pul (in ca. 1.000 Meter Hoehe), dem Startpunkt unseres Treks. Dort Schluss mit lustig, ab hier heisst's wandern. Euphorisch nehmen wir die erste Haengebruecke, Erinnerungen an 1982 werden wach, die ersten Kilometer sind einfach. Nach einem entspannten Fruehstueck in Birethanti (1.080) marschieren wir entlang eines Flusslaufes kontinuierlich aufwaerts weiter und kommen durch einige blitzblanke Orte aus schoenen traditionellen Steinhaeusern. Zwar gibt es nun wesentlich mehr Lodges als vor 23 Jahren, aber alles fuegt sich zu einem harmonischen Gesamtbild. Wir kommen schneller voran als gedacht und erreichen schon gegen Mittag Tirkhedhunga (1.540), geplanter Endpunkt unseres ersten Trekkingtages. Wir machen ausgiebig Rast und beschliessen mutig weiterzugehen. Vor uns nun aber die erste schwere Pruefung: 540 Hoehenmeter (das ist der Aufstieg in unsere Dachgeschosswohnung ... ueber 25 Mal hintereinander ... ) sind an einem steilen Hang ueber eine ununterbrochene unendliche Abfolge von Steinstufen zu ueberwinden. Wir brauchen knapp zwei Stunden und haetten nie gedacht, wie sehr Menschen schwitzen koennen. Aber stolz wie Oskar kommen wir oben in Ulleri (2.080) an und fallen in die allererste Lodge des Ortes. Wir sind die einzigen Gaeste, werden freundlichst empfangen, duschen heiss (!), essen gut und trinken Bier. Wann war das je so wohlverdient?!
Tag zwei. Weitere knapp 800 Hoehenmeter sind angesagt, allerdings weniger steil durch einen Zauberwald aus Rhododendron-Baeumen fuehrend. Die Vegetation erinnert stark an das Yumthang-Tal in Sikkim (-> "Wo einst ein Stueck Gondwanaland aufprallte"), leider stehen die Baeume hier jetzt nicht in Bluete -das muss atemberaubend schoen sein!- dennoch ist die Szenerie hoechst eindrucksvoll. Wieder bereits gegen Mittag erreichen wir Ghorapani (2.750) und kurz darauf Deurali (ca. 2.800). 1982 gab es hier nur eine Lodge, jetzt ueberall lieblos und eilig zusammengeschusterte Sperrholzschuppen, mit blauem (!) Blech winddicht gemacht. Der Trekkingtourismus zeigt sein haessliches Gesicht, gluecklicherweise eigentlich aber nur hier waehrend des gesamten Weges. Der Bau-Boom ist einem beruehmten Aussichtspunkt in der Naehe geschuldet, Poon Hill (3.210). Von dort bietet sich bei klarem Wetter ein grandioses Himalayapanorama und viele weniger kernige Trekker gehen nur bis hier. Wir machen Rast, bestellen -unbekannterweise- "Mustang-Coffee" und muessen erkennen, dass dies wohl eine Art nepalesischer "Jaga-Tee" ist. Arg angeschlagen beschliessen wir zu bleiben und am naechsten Tag Poon Hill zu besiegen.
Tag drei. Heute geben wir uns die Kante. Nach dem Aufstehen 400 Meter rauf zum Poon Hill. Aussicht leider nicht wolkenlos, aber nichtsdestotrotz den Aufstieg wert. Dann runter und fruehstuecken und weiter. Vor uns die schwerste Etappe des gesamten Treks, nach dem Abstieg von Poon Hill weitere 1.600 Meter hinunter nach Tatopani (1.190). Respekt all denen, die dieses Stueck bergan gehen, denn schon der Abstieg ist markerschuetternd. Steile Stufen, Geroell, bei fast jedem Schritt muss das gesamte Koerpergewicht (plus Gepaeck) abgebremst werden, die Knie schmerzen. Zweifellos zwar entschaedigen Landschaft und die Doerfer entlang des Weges fuer die Pein, aber wir erreichen Tatopani tief unten im Tal des Kali Gandaki auf dem Zahnfleisch. Trekken macht Spass. Aber wer kann schon Spass verstehen.
Tag vier. Null Hoehenmeter heute, da Ruhetag in Tatopani (haben wir verdient, verdammt noch mal). Tato = heiss und Pani = Wasser, der Name ist Programm, hier gibt es heisse Quellen. Der Wettergott ist uns wohlgesonnen, er schickt den einzigen Vormittagsregen des gesamten Treks genau jetzt, wo wir in sicherer Behausung sind. Laesst aber den Regen auch pausieren, so dass wir ausgiebigst unsere geschundenen Koerper im Heisswasser-Pool direkt am Kali Gandaki laben koennen. Ansonsten Waesche waschen und ausruhen.
Tag fuenf. Entlang des Kali Gandaki sind knapp 900 Hoehenmeter nach Ghasa (2.120) geplant. In nur 38 km Entfernung voneinander stehen sich hier zwei Achttausender, Dhaulagiri und Annapurna, gegenueber. Dazwischen hindurch fliesst mit gewaltiger Kraft der Kali Gandaki durch ein Tal, das infolgedessen als tiefster Durchbruch der Erde gilt. Zweimal muessen wir den Fluss ueber Haengebruecken queren, die trotz ihrer sehr soliden Konstruktion nichts fuer schwache Nerven oder gar Hoehengeaengstigte sind. Die Taltopographie zwingt uns staendiges Auf- und Absteigen auf, der Hoehengewinn erfolgt somit alles andere als linear. Wir sind froh, dass uns in Ghasa der einsetzende Nachmittagsregen ueberredet unser Tagesziel nicht zu ueberschreiten.
Tag sechs. Heute wollen wir bei Lete (2.430) einen Abschnitt des Kali Gandaki-Tals erreichen, der eine ueber etliche Kilometer nur leicht ansteigende Hochebene bildet und daher etwas muehefreieres Gehen verspricht. Der Kali Gandaki fliesst hier gemaechlich durch ein stellenweise mehrere Kilometer breites Flussbett, das er nur einmal im Jahr mit den Monsunniederschlaegen in Gaenze ausfuellt. Ueber weite Strecken fuehrt die Route durch das Flussbett und erfordert die eine und andere improvisierte Flussquerung. An mehreren Stellen sehen wir Menschen in muehevollster Handarbeit mit Haemmern, Meisseln und Stangen gegen die felsigen Haenge ankaempfen und muessen bald vermuten, dass hier eine Strassentrasse entsteht. Auf Nachfrage bestaetigt uns ein Einheimischer mit erwartungsvoll leuchtenden Augen, dass tatsaechlich eine Strasse von Ghasa bis zur nepalesisch/chinesischen Grenze weit im Norden geplant ist und bald erste Busse und Autos aus China erwartet werden. Das obere Kali Gandaki-Tal wird dann eine Art Kleinwalsertal sein, nur von China aus mit Fahrzeugen zugaenglich. Im weiteren Verlauf unseres Treks nordwaerts stellt sich zwar heraus, dass diese Strasse ein Unterfangen ist, das noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird. Aber eines Tages wird es sie geben, und sie wird diese einmalige Kulturlandschaft fuer immer zerstoeren. Dann wird es endlich coole Britney Spears-T-Shirts, Ray Ban-Sonnenbrillen und Baseball-Kappen fuer alle geben und den Einheimischen hier oben wird endlich Lebensqualitaet geschenkt sein. Wir sehen bereits jetzt einige Traktoren und Motorraeder und einen Bagger und erreichen irgendwie traurig Tukuche (2.590), eine ehemalige Karawanserei entlang der Salzroute von Tibet nach Nepal und Indien, bereits deutlich tibetisch gepraegt. Ein ausgedehnter Erkundungsgang durch diesen noch heute praechtigen Ort lenkt uns ab von der Begegnung mit dem nach Zersetzung stinkenden Fortschrittgott.
Tag sieben. Tagesziel heute ein Ort, der dem Autor seit 1982 nie aus Kopf ging. Aber eins nach dem anderen. Wir treten nun allmaehlich ein in den Transhimalaya, eine im Regenschatten der Himalaya-Kette liegende, fast wuestenartige karge Landschaft von bedrueckender Schoenheit. Wir kommen durch Marpha, wo wir eher zufaellig das Dach einer Gompa besteigen und uns an der Draufsicht auf den Ort nicht satt sehen koennen. Weiter geht es durch immer spaerlichere Vegetation nach Jomsom, das zwar ueber einen Flughafen, nicht aber ueber besondere Reize verfuegt und in einigen Tagen der Endpunkt unseres Treks sein wird. Hinter Jomsom fuehrt unser Weg durch das nun wieder kilometerweite Flussbett des Kali Gandaki, beidseitig umgrenzt von steilen Felshaengen, die Zeugnis ablegen von ihrer geologischen Entstehung und den seit Abermillionen Jahren wirkenden Erosionskraeften. Als winzige Gestalten werden wir von einem starken Rueckenwind durch diese Ehrfurcht gebietende Kulisse getrieben und erkennen irgendwann am Horizont endlich eine gruene Zunge, die sich dramatisch schoen (dramatisch schoen!) in das ansonsten lebenslose Kiesbett des Kali Gandaki schiebt. Und oben drauf eine Trotzburg: Kagbeni (2.810), suedlichster Ort des ehemaligen Koenigreiches Mustang, das sich von hier wie eine Bucht nordwaerts nach Tibet hineinschiebt. Bis heute haben dank restriktiv (und teuer!) vergebener Permits nur von wenigen Fremde Upper Mustang bereist, das zu den geheimnisvollsten Gebieten dieser Erde gehoert. Bitte, Kagbeni, sei noch heute wie damals, mit offenem Mund zu bestaunen, ein Ort nicht von dieser Welt. Als wir ankommen zunaechst und deprimierend Ernuechterung. Vor der Burg ist eine Art Vorstadt entstanden mit vielen Lodges von sehr zweifelhafter Gestalt. Dann aber treten wir ein in die Burg und ... ja, noch da, diese berauschende Fremdartigkeit, das Gefuehl, in einer anderen Zeit gelandet zu sein.
Tag acht. Kagbeni nach Muktinath. Noch einmal, zum letzten Mal aufsteigen. Nachdem wir bisher konstant nordwaerts marschiert sind, biegen wir nun nach Osten ab, verlassen den Kali Gandaki und folgen dem Jhong Khola. Unmittelbar hinter Kagbeni muessen wir steil bergan, bis wir mehrere hundert Meter ueber dem Jhong Kola eine weitere Hochebene erreicht haben. Aehnlich wie Kagbeni thronen burgartige Ansiedlungen ueber sattgruenen Terrassen mit Weizenfeldern, die dank kleiner Gebirgsbaeche der ansonsten voellig vegetationsfreien Fels- und Geroelllandschaft abgerungen werden. Ueber weite Strecken begegnen wir niemandem und bewegen uns wieder als winzige Menschlein durch eine uebermenschlich weite und grossartige Landschaft. Dann nochmals ein brutal steiler Anstieg (es reicht!) und wir sind dem Ziel unseres Treks nahe, nehmen Quartier in Ranipauwa (3.710), lassen unser Gepaeck in der Lodge und ueberwinden die letzten Hoehenmeter hinauf zu den Tempeln von Muktinath (ca.3.800). Dank einer Laune der Natur treten hier gleichzeitig Gas und Wasser aus der Erde, das Gas entzuendet sich und bildet eine ewige Flamme. Wegen dieser Verbindung der Elemente Erde, Wasser und Feuer ist Muktinath Buddhisten und insbesondere Hindus heilig. Hindupilger kommen aus allen Teilen des Subkontinents hierhin, um sich mit den heiligen Wassern Muktinaths zu benetzen und Opfergaben darzubringen.
Tag neun. Beginn des Rueckwegs. Nach einem weiteren Besuch der Tempel von Muktinath am Morgen (tatsaechlich allerletzter Anstieg!) geht es heute wieder zurueck nach Kagbeni. Wir haben ausreichend Zeit, um auf dem Abstieg Station in Jharkot (3.500) zu machen. Angelockt von den geheimnisvollen Klaengen tibetischer Trommeln, Sprechgesaengen und Blasinstrumenten betreten wir ein Haus und beobachten andaechtig eine von Nonnen durchgefuehrte buddhistische Zeremonie, werden wie selbstverstaendlich zum Tee eingeladen und durchstreifen anschliessend den verlassenen Ort, da offensichtlich die meisten Bewohner ebenfalls der Zeremonie beiwohnen. Nur in der Gompa von Jharkot sind Moenche versammelt, die aber -so die Aussage eines der Anwesenden- lieber dem Alkohol als dem Buddha huldigen. Sei's drum, die Aussicht vom Dach der Gompa ist ebenfalls berauschend. Leichten Fusses bewaeltigen wir den Rest des Weges bis Kagbeni, von der Landschaft nun im Nachmittagslicht aufs Neue ueberwaeltigt.
Tag zehn. Der Weg zurueck nach Jomsom (2.713) fuehrt wieder durch das kilometerweite Flussbett des Kali Gandaki, das wir am siebten Tag aufwaerts durchschritten haben. Wir brechen fruehmorgens auf, um dem Wind, der uns nun heftig ins Gesicht blasen wuerde und ganzjaehrig verlaesslich jeden Tag (!) ab ca. 11 Uhr zu wehen beginnt, zu entgehen. Diese letzten Meter des Treks gehen nun angesicht des Endes der Schinderei leicht vom Fuss und wir erreichen innerhalb von zweieinhalb Stunden eine Lodge in Jomsom, die direkt neben der Landebahn des Flughafens liegt.
Tag elf. Schluss. Rueckflug nach Pokhara. Leider sehen wir aufgrund der Wolken (das erste Mal Bewoelkung schon am Morgen, schade) nur die Berglandschaft bis ca. 4.000 Meter Hoehe, die Sechs-, Sieben- und Achttausender bleiben verhuellt. Dennoch ein hoechst aufregender Flug in einer kleinen Propellermaschine.
War es die Schinderei wert? JA! JA! JA! Text und Bilder lassen keine andere Interpretation uebrig, oder? Neben all der allgegenwaertigen grandiosen Szenerie sind wir nebenbei um eine interessante Erkenntnis reicher: ueberall entlang des Weges gruessen sich die Menschen mit "Namaste", was uebersetzt so viel heisst wie "ich gruesse Gott in Dir" und auch fuer uns ist es das meist gebrauchte Wort waehrend des Treks. Auch in Teilen des deutschsprachigen Raumes wird dieser Gruss verwendet, allerdings verkuerzt zu "Gruess Gott". Ob es wohl eine bisher unbekannte Verbindung gibt zwischen den Bergstaemmen der Alpen und des Himalayas?
Aufbruch: | 01.01.2005 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 23.06.2005 |
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