Arctic Circle Trail (ACT) - West-Grönland
Sechste Etappe
Die Nacht war eher grauenvoll denn erholsam. 10 Menschen à 37° Körpertemperatur im Verein mit geschlossenen Fenstern, haben das Raumklima langsam, aber stetig zu einer quasi schnittfesten Atmosphäre verdichtet. Ich döse mehr vor mich hin als dass ich schlafe. Kurz nach Tagesanbruch hätte ich gute Chancen gehabt, doch noch einzuschlafen, wenn zu diesem Zeitpunkt – verdammt, 5:50 Uhr, kurz nach Mitternacht – nicht der erste von fünf sukzessiv alarmierenden Handy-Weckern angeschlagen hätte. Nebenan, im Ess- und Kochraum, laufen die Jet-Turbinen wieder warm. Heute Morgen klingt der Gaskocher-Chor noch intensiver als gestern Abend.
Wir lassen die Truppe gewähren bis schließlich alle am Start sind. Wir gehen es gemütlich an und gönnen uns zum Abschluss des Müsli-Frühstücks einen verdienten, heißen Tee. Dazu laden wir Franziska ein, die in dem kleinen Ein-Frau-Zelt im Bereich der Hütte übernachtet hat. In der Zwischenzeit ist ihr Zelt vom Morgentau abgetrocknet. Sie macht sich gelassen daran, ihre Ausrüstung zusammenzupacken und stiefelt dann los in Richtung Sisimiut.
Nicht lange danach sind wir dann auch soweit und lenken unsere Schritte zunächst auch zum Fluss. Allerdings überqueren wir ihn heute nicht, sondern wollen ihn gleich wieder gerade in Richtung Osten verlassen. Nach etwa zwei Kilometern werden wir einen Zipfel des Nerumaq-Bergmassivs umrunden, um wieder in sumpfigen Gefilden einsinken zu dürfen. Aber bis zur Bergnase ist der Weg ausnahmsweise nicht nur trocken, sondern erfreulich gut zu begehen. Erst dahinter wird es erwartungsgemäß wieder teuflisch nass bis wir eine weitere Bergnase, die der nordöstlichste Zipfel des Taseqqat Saqqaa-Massivs ist, erfolgreich umrundet haben werden. Doch bis dahin bleibt der Pfad kräftezehrend und mit Weidenbüschen gespickt. Die Taseqqat-Nase zwingt uns, um ca. 50 Höhenmeter auf ein Niveau von 300 Höhenmeter hoch zu gehen. Das ist wahrhaftig keine große Sache, aber dieser auslaugende Matsch geht wieder an die Substanz. Ich hätte nicht übel Lust, schon jetzt das Zelt aufbauen, aber der Nachkomme treibt mich gnadenlos an. Keuchend erreiche ich die 300-m-Linie, auf der wir für den Rest des Tages bleiben und quasi mit einem Bein in einem wie üblich namenlosen See wandern werden.
Die gewonnene Höhe mindert leider weder Matsch noch Weiden. Das Südende des Sees endet in einer Art Landbrücke zwischen diesem und mehreren weiteren kleineren Seen. Der südlichste dieses Seenkonglomerats besitzt ein kleines Landzüngelchen, dem die Karte ein rotes Dreieck zuweist: das Symbol für „schöner Zeltplatz“. Darauf halten wir zu; in freudiger Erwartung eines ebenen Zeltgrundes mit famoser Aussicht auf den See.
Alles Lüge! Die kleine Landzunge entpuppt sich als knubbeliger Monolith, das schmale sandige Seeufer ist zu feucht und eben zu schmal, das Gelände zwischen See und dem etwa 100 m abseits verlaufenden Pfad besteht weithin ausnahmslos aus waden- bis kniehohen, wacholderbewachsenen Erdbuckeln, durchzogen mit fußbreiten Rinnen. Jenseits des Pfades erheben sich die Ausläufer des Taseqqat Saqqaa-Massivs.
Nach einer halben Stunde wählen wir aus allen Übeln das kleinste und errichten unseren Polyesterdom einen halben Meter neben dem Pfad. Auf dem einzigen halbwegs glatten Stückchen Bodens weit und breit. Der Zeltaufbau findet in geübter Routine statt. Beim Einräumen erwähnt Niklas, dass er in den ersten Nächten in seinem Schlafsack doch etwas gefroren habe. Obwohl er genau diesen auch in Lappland ohne Probleme benutzt hatte, scheint das Ding mittlerweile nicht mehr dienstfähig zu sein. Ich schlage ihm vor, regelmäßig die Schlafsäcke zu tauschen und will heute damit beginnen.
Nach einer herzhaften Portion Schinkennudeln, verfeinert mit fein gewürfelter Billig-Salami, ist dann auch Zapfenstreich. Die Nacht ist sternenklar und folglich kühlt es sich merklich ab. Es wird immer kälter und ungemütlicher in dem getauschten Schlafsack. Ich ziehe mir eine Pelle nach der anderen über, was aber nur bedingt Abhilfe schafft. Richtiger Schlaf kommt da nicht auf.
Der einzige Lichtblick(!) ist der Vollmond, der prall und unübersehbar am Nachthimmel prangt. Aber leider gibt es auch heute – wie in den Nächten zuvor – kein Nordlicht zu bewundern.
Aufbruch: | 17.08.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 09.09.2018 |