Arctic Circle Trail (ACT) - West-Grönland
Start und Erste Etappe
Um sicherzugehen, dass der Haushaltspiritus von Henrik auch in unserem guten, alten Trangia funktioniert, begeben wir uns mit Kocher, Sprit, Wasser und gefriergetrocknetem Kaffee (gefunden als Leftover früherer Wanderer im Küchenschrank) hinter das Haus auf ein felsiges Stück Gelände zwischen den umliegenden Häusern. Es ist kühl, leicht windig und ohne Socken an den Füßen in den Wat-Sandalen – nennen wir es: ungemütlich. Wir feuern den Ofen an – der Spiritus scheint zu funktionieren. Das Wasser braucht ein paar Minuten, bis es im Kessel kocht. Niklas meint es etwas zu gut mit dem Kaffeepulver und so verdichtet sich das vormals klare Wasser in den Berghaferln zu einer ziemlich dunklen und stark riechenden Brühe. Bitter wäre ein Urteil, ungenießbar das korrekte. Da der Test vornehmlich darauf ausgelegt war, die Kocherfunktion zu überprüfen, ist es erlaubt, nach festgestellter zufriedenstellender Temperatur des Heißgetränks die letzten Zentiliter mit grimassenhaft verzogener Miene weiträumig auf Fels und Gras der Umgebung zu verteilen.
Es wartet nun noch das 20-kg-Paket auf dem Postamt auf uns. Ich habe von zuhause aus per E-Mail mit Vivi vom Postamt Sisimiut korrespondiert, um die Modalitäten für die Versendung eines Proviant-Pakets herauszubekommen. Dann braucht man sich zum einen während der Anreise damit nicht abzuschleppen und zum anderen gibt es keine Gewichtsprobleme beim Einchecken in den Flieger.
Das Paket wird in Empfang genommen und draußen vor dem Post-Gebäude breiten wir unseren gesamten Hausstand auf einem überdachten Gang aus: Ungefähr 4-5 laufende Meter Ausrüstung, plus der Inhalt eines bis zur Oberkante gefüllten Bananenkartons, warten darauf, in lächerliche zwei Rucksäcke gestopft zu werden. Da die Vorarbeiten schon zuhause erledigt wurden, lehnen die Gepäckcontainer schon nach einer Stunde lässig an der Wand und warten darauf, geschultert zu werden.
Etwas möchten wir gerne noch in Augenschein nehmen: Qimatulivik. Die Vokabel Qimatulivik bedeutet soviel wie Lager und hier ist damit die örtliche Fischhalle gemeint. Da es gestern durch die Fenster zwar nichts zu sehen gab, die Abbildungen auf der Fassade aber erahnen ließen, worum es hier geht, wollen wir es heute genauer wissen. Schon während man eintritt, schlägt die olfaktorische Keule erbarmungslos zu. In dem schmucklosen gekachelten Raum stehen Reihen von mobilen Klapptischen, dicht mit Plastikwannen bestückt. Darin jeweils blutige Massen geschredderten Irgendwas: Ren, Robbe, Wal, Fisch – alles, was einem Jäger so vor die Flinte laufen, schwimmen oder fliegen kann. Glücklicherweise ist unser Proviant schon komplett. Darum kommen wir gar nicht erst in Versuchung, einen gehäuteten Robbenkopf zum Auskochen zu erwerben.
Tja, und dann geht es tatsächlich los. Die ersten hundert Meter mit vollem Marschgepäck sind immer schwierig und müssen auch mental überwunden werden. Ein dutzend einstündige Probeläufe mit fetten Hantelscheiben im Rucksack als Vorbereitung haben sich für mich ausgezahlt. Es lässt sich gut angehen. Niklas vertraut da mehr auf die Kraft der Jugend.
Das Wetter ist gut: bewölkt, aber trocken. Zunächst geht es die bereits bekannte Schotterpiste bis zum Fuß des Nasaasaaq entlang, wo der Arctic Circle Trail beginnt. Unvermittelt wird von der autobreiten Piste auf einen Trampelpfad gewechselt. Das Gelände unter dem bewölkten Himmel ist wellig bewachsener Boden. Kein nackter Fels. Es geht stetig leicht bergan, wobei Pfad oder zumindest diverse Spuren nicht immer klar erkennbar sind. An einer Gabelung wählen wir den linken Ast, der zum Skilift führt. Wie sich später herausstellt, wäre der rechte Ast die bessere Wahl gewesen. An diesem ersten Tag mit vollem Marschgepäck beginnt der Rucksack nach einiger Zeit doch ein wenig zu drücken.
Kurz vor Erreichen des Skilifts passieren wir ein kleines Häuschen im Telefonzellen-Format am Wegesrand (für die, die noch wissen, was eine Telefonzelle ist). Wir spekulieren etwas über den Sinn dieses Gebildes. Ich halte es für eine Mess-Station für irgendwas, aber Niklas kommt zu dem Schluss, dass es sich nur um eine Press-Station handeln kann. Der Groschen (Anm. für die Jüngeren: deutsche Münze aus DM-Zeiten; 10-Pfennig-Stück) fällt bei mir nur pfennigweise. Ich bequeme ich hinüber, um nachzuforschen. Ein kurzer Blick nach Öffnen der schmalen Tür offenbart mir ein Plumpsklo. Ich erzähle dem Abkömmling, was ich gesehen habe und ihm sprüht der Schalk aus den Augen. „Sag ich ja – ‘ne Press-Station!“ Von wem hat er das nur?
Es geht auch weiterhin stetig leicht bergan. Bald schon sehen wir den an der vorherigen Gabelung nicht gewählten, eigentlichen Pfad auf der gegen überliegenden Seite eines sanften Grabens, der schnell überwunden ist. Das Gepäck drückt mächtig; ich werde froh sein, wenn ich den Klotz endlich abwerfen kann. Das Etappenziel ist heute am Ende des weiträumigen Tals, in dem sich mittig ein mittelgroßer Felsen platziert hat: der knapp über 400 m hohe Alanngorsuaq. Der Plan ist, am Anfang des etwa 150 Höhenmeter-Anstiegs zur nachfolgenden Hochebene Qerrortusup Majoriaa das Zelt aufzubauen. Ich bin froh, wenn ich heute nicht noch weiter muss. Ein breiter, reichlich Wasser führender Bach muss noch überquert werden. Am anderen Ufer siedeln bereits ein gutes halbes Dutzend Wanderer in drei Zelten. Der Lagerplatz ist gut; relativ ebener, grasbewachsener Boden direkt am Frischwasser. Wir plauschen nur kurz mit den vermeintlichen Osteuropäern – sprachlich haben wir sie in diese Schublade gesteckt -, gehen dann aber doch noch ein Stück weiter hinauf, damit der morgige Tag nicht gleich mit der kompletten Steigung beginnt. Es gibt auch hier einen annehmbaren Zeltgrund. Die Abendroutine aus früheren Expeditionen muss sich nach der ersten Etappe erst wieder einrütteln, aber Zeltaufbau, Innenraumgestaltung und Warmgerichtfabrikation verlernt man eben nicht. So wie das Fahrradfahren.
In der Nacht wehen heftige Winde – außerhalb des Zeltes –, die beängstigend an der Zelthaut rütteln. Ist aber alles halb so wild. Und wenn man erschöpft in seinem Schlafsack versunken ist, hört man es bald nicht mehr.
Diese erste Etappe endet nach 10 km.
Aufbruch: | 17.08.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 09.09.2018 |