Arctic Circle Trail (ACT) - West-Grönland
Dritte Etappe
Wir haben uns gestern Abend doch nicht mehr gewaschen und entsprechend großzügig Männerduft in den Schlafsäcken verteilt. Es war einfach zu spät, zu kühl, zu windig. Die heutige Etappe umfasst planmäßig 19 km bis zur Nerumaq Hütte. Diese Hütte liegt an dem Fluss, der letztlich in den kleinen See hier an der Landbrücke zum Fjord mündet. Angesichts der Erfahrung der beiden ersten Tage zweifle ich daran, das zu packen. Trotzdem gibt der Start nach dem gestrigen Trip Anlass zum Optimismus. Das Wetter ist gut – es herrscht blauer Himmel nachdem es die ganze Nacht geregnet hat.
Irgendwann bei hochstehender Sonne geht es weiter. Jetzt, Ende August, ist die Zeit der Mitternachtssonne am Polarkreis bereits vorüber, aber es gibt immer noch reichlich Tageslicht bis etwa 22 h. Das heißt, wir könnten heute immer noch 10 Stunden marschieren – theoretisch.
Leider gilt es nach wie vor, großangelegte Feuchtgebiete durchqueren zu müssen. Immer wieder versuchen wir, die extrem breitgelatschten, sumpfigen Passagen weiträumig zu umgehen. Aber manchmal wäre der Umweg so riesig, dass das kleinere Übel der direkte Durchmarsch ist. Es ist kein entspanntes Gehen und sehr kräftezehrend.
Es wird sonniger und immer wärmer. Wir halten in spitzem Winkel auf die Landbrücke zu und werden den namenlosen See später an seinem westlichsten Zipfel erreichen. Angesichts der Wetterentwicklung beschließen wir schon jetzt, dort ein erfrischendes Bad zu nehmen. Wegen der dauernden Umwege gelingt es uns, erfolgreich den Pfad zu verlieren. Das führt dazu, dass wir die letzte Strecke bis zum See, die endlich mal bergab führt, durch dichtes Weidengebüsch zurücklegen müssen. Überflüssig, zu erwähnen, dass witterungsbedingt Millionen Mücken zeitgleich mit uns hierorts unterwegs sind. Für die sind wir ein gefundenes Fressen.
Am Ufer des Sees treffen wir auf eine 4-köpfige Gruppe, die aus der Gegenrichtung kommt und auf die Landbrücke will. Es sind wohl Engländer, wobei die einzige Frau in dem Quartett eine grönländische Physiognomie besitzt. Alle stöhnen unter der unerwarteten Hitze. Nach ein wenig Smalltalk zwischen Wanderern geht schließlich jeder seines Weges.
Nach nur wenigen Metern passieren wir eine kleine Stufe bewachsenen Erdreichs direkt am Ufer, an der wir uns niederlassen. Die Rucksäcke werden abgestreift, die Füße von ihren ledernen Gefängnissen befreit und die schwitzenden, darbenden Körper in die pralle Sonne gelegt. Erstmal verschnaufen, bevor wir uns der kalten Umarmung der Fluten hingeben. Wir werden es eine Zeit lang hier aushalten.
Der See ist in Ufernähe ziemlich flach, der Grund mit Kieseln belegt. Man muss schon ein paar Meter hineinwaten, bis eine ernstzunehmende Wassertiefe zum Untertauchen erreicht ist. Erstaunlicherweise ist das Wasser gar nicht mal so kalt. Die Flüsse und Seen in Lappland waren deutlich kälter. Das Bad tut gut. Wohlig erfrischt lümmeln wir uns wieder in die spärliche Botanik. Es ist total still. Noch nicht mal die zahlreichen Kriebelmücken hört man. Mangels Wind plätschern auch keine Wellen ans Ufer. Hörbare Stille umfängt uns. So dösen wir in der warmen Sonne dahin.
Ein paar Meter müssen wir heute aber noch machen. Ob ich die ursprünglich angedachten 19 km hinbekomme – ich weiß es nicht. Aber zunächst geht es für etwa 2 km in einer langgezogenen Kurve – quasi mit dem linken Fuß im Wasser - direkt am Südufer des Sees entlang bis zu dessen östlichem Ende. Der Boden ist meistenteils fest und grasbewachsen – also angenehm zu begehen. Dann zwingt uns das Gelände in Form der westlichen Steilwand des Qaarajuttoq scharf nach Norden abzubiegen. Und schon sind wir wieder für weitere 2 km im Sumpfland. Hört das denn nie auf?
Der Weg wird für kurze Zeit weniger sumpfig. Dann, hinter einer vorspringenden Felsnase abermals nass. Wir umrunden nun die Nordflanke des Qaarajuttoq, wo der Boden endlich dauerhaft etwas fester wird. Mir reicht es für heute. An dieser NordWest-Ecke des Qaarajuttoq haben wir eine Wegausbeute von 11 km geschafft. Hier gibt es auch annehmbare Lagerplätze, von denen wir ohne große Präferenz einfach den nächstbesten auswählen.
Wir lagern am Fuß einer relativ steilen Flanke des Qaarajuttoq, die den Pfad noch auf weitere 8 km begleiten wird. Der abgeflachte Brocken bildet oben auf ca. 800 m eine Hochebene aus. Momentan befinden wir uns am südlichen Ende eines etwa 8 km langen und 4 km breiten Tals, das von Südwest nach Nordost verläuft. Zwei Seen mit 1 und 2 km Länge bestimmen das Gelände in diesem Tal. Diese beiden Seen sind miteinander und auch mit unserem Badesee verbunden. Und dieser wiederum mit dem Fjord, in den letztlich alles Wasser fließt.
Die Etappenende-Routine setzt ein. Das Zelt ist zügig errichtet. Jetzt noch etwas „Schöner Wohnen“ und die Innenausstattung mit Isomatten, Schlafsäcken und dem ganzen anderen Plunder dekorieren und dann lassen wir uns von dem überraschen, was Keller und Küche zu bieten haben. Das wird erfahrungsgemäß nicht viel sein. Wegen der allgegenwärtigen Mücken, kochen und essen wir im Zelt. Wie erwartet fällt der Abendschmaus wieder verbesserungswürdig aus. Ein Topf voll Kartoffelpü, liebevoll garniert mit einem Dutzend Markklößchen und durchsetzt mit filigran gewürfelter Salami – davon setzt man kein Fett an.
Das Wetter war heute herrlich; aber teilweise auch schon zu warm. Die schwerbödigen Sumpfpassagen machen es mir nicht leicht, den gewichtigen Rucksack mit der erforderlichen Leichtigkeit durchs Gelände zu expedieren. Wenn der rinnende Schweiß dann auch noch die Mücken anlockt, ist es auch nicht so prickelnd. Bislang hatten wir die Kriebelmücken mehr oder minder ignoriert, aber heute ging es ohne Mückennetz über dem Kopf tatsächlich nicht mehr. Die Übermacht war einfach zu groß. Schau‘n wir mal, was die nächsten Tage bringen werden.
Aufbruch: | 17.08.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 09.09.2018 |