Arctic Circle Trail (ACT) - West-Grönland
Elfte Etappe
Die Schottin ist schon sehr früh aufgebrochen und weg. Also frühstücken wir gemeinsam mit den drei Amis – Jimmy ist ja in der Nacht von seinem Ausflug zurückgekehrt. Die Drei lümmeln sich auf der Schlafplattform dekadent in ihren Schlafsäcken und wir hocken auf der windschiefen Holzbank, direkt neben uns der überladene kleine Tisch mit Bergen von amerikanischen Fressalien: weiche Brote (so wie die holländischen), Erdnussbutter, Marshmallows, Travel-Lunch-Tüten en masse und vieles mehr. Deutschland serviert althergebrachtes Müsli, Amerika zaubert scrambled eggs aus dem Travel-Lunch-Bag. Tüte auf, kochendes Wasser reinkippen, Tüte zu und 8 Minuten warten.
Wir haben es nicht eilig bei dem schönen Wetter. Heute weht leichter Ostwind – günstig für Paddler in Richtung Kanucenter. Wir empfehlen Jimmy und seinen Frauen, das Kanu zu benutzen und so den verlorenen Tag wieder aufzuholen. Sie wählen tatsächlich das Kanu und wir schauen ihnen noch eine kleine Weile zu wie sie sich mehr und mehr vom Ufer entfernen. Scheint auch bei denen ganz gut zu funktionieren, die Paddelei.
Dann wollen wir ein gutes Werk tun. In der Kangerluarsuk Tulleq Hütte hatten wir erstmals den DIN A-4-formatigen Aufruf „Hikers Maintaining the Trail“ des Vereins „Polar-Routen e.V.“ gesehen. Darin wird darauf hingewiesen, dass die Gemeinde (hier: die Kommune Qeqqata) zwar ein Unternehmen beauftragt hat, die Hütten entlang des ACT mehrmals im Jahr zu reinigen, dieses aber für einen unvermüllten Trail längst nicht ausreicht. Leider gibt es immer noch zu viele Leute, die sich für nichts verantwortlich fühlen und meist aus stinkender Faulheit ihren Müll achtlos überall liegen lassen anstatt ihn wieder (bis in die Zivilisation) mitzunehmen. Bereits in 2011 ist diese Initiative ins Leben gerufen worden, die die Wanderer motivieren will, zur Erhaltung dieses schönen Wanderweges beizutragen. Einfach, indem man unterwegs gefundenen Müll wenigstens bis zur nächsten Hütte oder besser noch: bis zum Ende der Tour mitnimmt und dort entsorgt.
Nachdem unser Zeug gepackt ist, machen wir uns ans Werk. Die große Baustelle ist das Durcheinander im Inneren der Hütte. Kochecke, Tisch und Holzbank sind überfrachtet mit Hinterlassenschaften mannigfaltigster Art. Allein der 10-Liter-Kunststoffeimer, der als Mülleimer fungiert, ist sehenswert. Die Kunstfertigkeit, mit der unterschiedlichster Müll weit über die Oberkante des Eimers gestapelt wurde, ist beispiellos – und traurig zugleich. Noch einmal: Warum kann man seine leergefressenen Verpackungen nicht wieder mitnehmen?
Im Zuge der Aufräumaktion fördern wir zutage: 3 kurze Hosen, 1 Pulli, 1 Paar Socken, 1 Mütze, 1 Drei-Liter-Trinksack (neu), 1 TeleskopWanderstab, 1 simple Plastik-Teleskop-Angelrute (ca 40 cm Packmaß), 1 schönen Wasserkessel und 1 größeren Alu-Topf. Wassersack, Wanderstab und Angel werden requiriert, der Rest fein säuberlich zusammengelegt und sortiert auf der Ablage unter dem Küchenbrett untergebracht. Abschließend wird die Hütte nochmal ausgefegt und als letzte Maßnahme ein Stolperloch nur wenige Meter vor der Hütte mit einem dicken Stein vom Seeufer entschärft. Aller loser Müll wird in eine Plastiktüte gestopft, die, an Niklas Rucksack befestigt, in Kangerlussuaq entsorgt werden wird.
Das Wetter ist noch immer stabil und schön. Nach wenigen Metern führt uns der Pfad auch gleich relativ steil über 100 Höhenmeter für die nächsten 4 km auf das nächste Level von etwa 230 m. Danach geht es kurzfristig noch etwas höher bis auf ca. 350 m und auch gleich wieder runter auf 250 m. Dabei lassen wir den See Qarlissuit links liegen, genießen aber die herrliche Aussicht auf ihn. Nach 8-9 km erreichen wir den Rand des Plateaus und schauen auf die nur wenige Meter breite Landbrücke zwischen dem Qarlissuit und einem winzigen Anhängsel von ihm, die beide durch ein schmales Rinnsal miteinander verbunden sind. Ein sehr sonniger Himmel wölbt sich über uns und lässt die Seen in einem tiefen Blau erstrahlen.
Die Wegbeschaffenheit ist durchweg trocken und gut. Wer hätte das gedacht, dass es hier so etwas gibt. Wir beschließen, so weit zu gehen wie wir Lust dazu haben und den Rest eben morgen zu erledigen. Es gibt hier viele wunderschöne Panoramen, die dazu einladen, zu verweilen und einfach nur zu schauen.
Es geht ein kühler Wind und wir stellen fest, dass der Gasball am blauen Himmel ein trügerisches Gefühl von Wärme vermittelt. Solange man im Sonnenschein läuft, ist es tatsächlich sehr angenehm. Doch sobald man in ein Schattenfeld eintaucht, wird es gleich um mehrere Grad und deutlich spürbar kälter.
Auf der anderen Seite der Landbrücke führt der Pfad über einen niedrigen Grat wieder bis auf etwa 300 m hoch. Das Erreichen dieser Anhöhe wird mit einem atemberaubenden Blick zurück auf den Qarlissuit belohnt. Der See liegt wie kunstvoll eingearbeitet in dieser Landschaft und präsentiert auf diesem sichtbaren Teilstück eine idyllische, kleine Insel. Eine niedrige Hügelkette im Hintergrund lässt den entfernten Amitsorsuaq hervorlugen.
Wir bleiben für die nächsten 6 km auf dem 300-m-Level. Ein See löst hier den anderen ab. Die meisten sind nicht groß, viele auch nur größere Teiche – und ihre Zahl ist Legion. Vermutlich ist das auch der Grund für ihre Anonymität. Die wenigsten sind getauft worden. Nach weiteren 4 km schlängeln wir uns zwischen Limnæasø und Brayasø hindurch und touchieren im Anschluss fast das Südende des Hundesø. Hier befindet sich sehr nah am Seeufer dieser zur Wandererhütte umgewidmete, verrostete, ziemlich abgewrackte Wohnwagen mit diversen Metallanbauten. Es kursieren mehr oder minder schaurige Geschichten über diese Unterkunft – und insbesondere die Innenausstattung. Wir wollen dort nicht übernachten und passieren den Wohnwagen in Sichtweite. Urplötzlich macht der Pfad einen markanten Rechtsknick und wir befinden uns auf einem breiten Weg. Eigentlich schon ein landwirtschaftlicher Nutzungsweg, holperig, grasbewachsen und mit Reifenspuren.
Nun bin ich doch ziemlich erschöpft nach gut 20 km. Von Kelly Ville wissen wir nur, dass es dort außer dem einen oder anderen Forschungsgebäude nichts gibt und man ab dort einer Schotterstraße bis zur asphaltierten Straße folgen muss, die letztlich nach Kangerlussuaq führt. Es sind noch gut 2 km bis Kelly Ville. Wir beschließen, den Tag in der Tundra ausklingen zu lassen und das Zelt ein letztes Mal aufzuschlagen.
Im goldenen Licht der untergehenden Sonne wird das Zelt errichtet. Mit weiter sinkendem Sonnenball wird es merklich kälter. Ich lasse den heutigen Tag Revue passieren. Die Strecke war zwar lang, aber es hat einfach alles gestimmt: Herrliches Wetter, guter Weg und phantastische Aussichten. Und keine Mücken! Das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Seit vier oder fünf Tagen, seit wir einen Pass überquert hatten, gab es plötzlich kein Mückenproblem mehr. Seltsam? Aber so steht es geschrieben! Vielleicht haben wir einfach nur zu sehr gestunken.
Der bei der letzten nächtlichen Blasenentleerung in den freien Himmel geworfene Blick beschert leider wieder kein Nordlicht. In dieser Beziehung hatten wir bisher kein Glück. Aber wir haben ja noch ein paar Tage. Ich krabbele wieder in den kaum wärmenden Schlafsack und gebe mich erneut der schwachen Hoffnung auf Morpheus innige Umarmung hin.
Aufbruch: | 17.08.2018 |
Dauer: | 3 Wochen |
Heimkehr: | 09.09.2018 |