Indian Summer in den Neuengland Staaten der USA

Reisezeit: September / Oktober 2008  |  von Franzi S.

Erster Regentag - es geht nordwärts

Der erste Tag in den Ferien! Auch hier ändern sich gewisse Dinge nie: Erstes Erwachen zu unchristlicher Zeit, feststellen, dass sich im Kopf sieben Zwerge mit einem Stuhl befinden, wobei jeder gerne sitzen möchte, dem sofort mittels Chemie abhelfen und wieder weiterschlafen.

Um halb fünf sind wir beide hellwach und meinem Kopf geht es etwas besser. Eine schöne Tradition ist die Kaffeemaschine, die in jedem besseren Hotel auf dem Zimmer zu finden ist. So sitzen wir schon bald gemütlich mit einer heißen Tasse Kaffee im Zimmer und zappen uns durch das morgendliche Programm des TV's. Natürlich interessiert uns brennend, wo sich Kyle befindet. Nun, der düst munter weiterhin der Atlantikküste hoch. Die Wetterexperten vermuten, dass er irgendwo zwischen dem Norden Maines und Nova Scotia auf die Küste prallen wird. Für heute Abend gibt es an der Küste Maines schwere Flutwarnungen. Da können wir uns ja auf was' gefasst machen!

Draußen ist es noch stockdunkel. Erst um sieben beehrt uns langsam eine erste Helligkeit und zeigt uns eine trostlose graue Suppe. Genau vor unserem Hotel befindet sich eine Startpiste, welche geisterhaft in einer grauen Wand verschwindet wie eine Strasse in eine andere Dimension.

Wow... der Flughafen sieht trostlos aus!

Wow... der Flughafen sieht trostlos aus!

Wir sind hungrig! Das erste American Breakfast ist immer ein Erlebnis. Vor allem wenn man in einem First Class Hotel mit Buffet ist. Wir erhalten einen schönen Tisch am Fenster. Man hätte sicher einen tollen Ausblick auf die Skyline Boston's. Hätte man... Auch hier verdecken dicke Nebelschwaden jede Aussicht. Einzig, dass wir von Wasser umgeben sind, kann man erkennen. Also geniessen wir die vielen Leckereien, die für uns parat stehen. Und plötzlich kommt in die graue Wand Bewegung. Die Umrisse der ersten Wolkenkratzer schälen sich mystisch aus dem Nebel. Bei jedem Augenschein bietet sich uns ein anderes Bild. Die graue Wand kämpft gegen seine Verdrängung!

Zurück im Zimmer holen wir unsere Dokumente für den Mietwagen und begeben uns hinunter zum Hotelbus. Der nette Chauffeur bringt uns ohne Umwege gleich selber zu National, was wir sehr schätzen!

Wir sind zu früh! Gemäss unserem Voucher könnten wir ab neun Uhr das Auto abholen und es ist erst acht. Entsprechend ist im Office nichts los. Ein freundlicher Herr schaut sich unseren Gutschein an. Aha, ein Premium. Kurz mal Funk fassen und die in der Garage anfragen, ob denn ein Premium schon parat sei. Ja! Ein KIA. Hääää??? Ich schaue Jürg an, Jürg schaut mich an... mit einem KIA durch die USA? Nööö... Eine energische Dame betritt den Raum und bringt den Autoschlüssel. So mache ich mal einen auf nörgelnden Kunden und erkläre, wir möchten keinen KIA. Wir seien schließlich in den USA und wollen nicht mit einer "Reisschüssel" die Ferien verbringen. Der gute Mann am Schalter sagt der mürrischen Arbeitskollegin, ein KIA sei sowieso kein Premium. Doch diese ist ganz anderer Meinung. Schlussendlich ist man einer Meinung, nämlich dass wir keinen KIA wollen und kein anderer Premium da ist. Super! Plötzlich fragt sie uns: "do you want a SUV?" (für alle Nicht-Autokenner: das heisst Sport-Utility-Vehicle - ein Auto, das a) riesig ist b) Allrad-Antrieb hat und c) ne Menge Geld kostet). Ich erkundige mich mal nach dem Aufpreis. Doch wir kriegen ihn zum selben Preis. Das ist ja klasse! Draussen würden 10 solcher Fahrzeuge stehen, wir sollen uns einen auswählen und basta.

Jürg strahlt wie ein Maikäfer und düst im Eilzugstempo nach draussen um diese Karren zu besichtigen. Ein grosser Dodge Durango findet sein Wohlwollen, doch der hat hinten am Licht schon einen Schaden. Da wir uns nicht noch mit Schadenformularen herumkämpfen wollen, schauen wir uns die andern an und entscheiden uns schlussendlich für einen schönen dunkelvioletten GMX Envoy, ein Riesending! Und den können wir nun einfach nehmen? Ich traue dem noch nicht ganz. Also Spurt zurück ins Büro und nochmals nachfragen. Ja, wir können! Also nichts wie weg. Schnell noch den Vertrag scannen beim Ausgang, dann sitzen wir beide auf dem Hochsitz, schauen mitleidig auf die kleinen Autos neben uns und freuen uns wie beschenkte Kinder an Weihnachten über den Wagen. Da verlieren die Flutwarnungen doch schon ein wenig von ihrem Schrecken, wenn man in solch einem Vehikel unterwegs ist...

Zurück im Hotel packen wir unsere sieben Sachen zusammen, checken aus und machen uns auf die grosse Fahrt. Die beginnt schon mit einem bewundernswerten Verpassen der richtigen Ausfahrt und einer ausgedehnten Rundfahrt um Boston herum bis wir wieder auf dem richtigen Freeway nordwärts sind. Gute Arbeit Fränzchen!

Es regnet nicht, aber der Nebel hängt tief über der vierspurigen Autobahn und lässt alles grau und kalt aussehen. Einziger Farbtupfer sind die Bäume, die den Freeway säumen. Obwohl im Internet berichtet wurde, dass der Indian Summer Boston noch nicht erreicht habe, erblicken wir einmalig schöne Bäume, die rot, gelb oder orange leuchten. Was für ein Anblick!

44 Meilen später erreichen wir Kittery. Es nieselt grässlich aus dem Nebel. Bei schönem Wetter hätten wir die Hexenstadt Salem besucht. Doch jetzt wenden wir uns dem Schlechtwetterprogramm zu: Shopping! In Kittery gibt es eine riesige Factory Outlet Mall, wo viele berühmte Designer ihre preisgünstigen Läden haben. Lechz...

Wir verlassen den Freeway und fahren auf die Hauptstrasse, welche gleich zu Beginn von Kittery von riesigen Gebäuden gesäumt wird. Als wir die Schilder entdecken, klopfen unsere Herzen höher: Ralph Lauren, Calvin Klein, Swarovski, Barbour, Eddie Bauer, Adidas, Nike, Nautica, Burberry und so weiter und so fort! Ich sage nur: Paradies erreicht! Die Geschäfte säumen eine Strecke von sicher einer Meile und mehr, so dass man immer mit dem Auto zum nächsten Shop fährt. Wir sind halt in den USA...

Unsere Shoppingexzesse beginnen bei Swarovski. Der Schmuck ist tatsächlich 30 - 50 % billiger als bei uns. Ich kann das als Fachfrau beurteilen, waren wir doch vor 3 Monate in Wattens in der Fabrik. Aber ich kann mich auch zurückhalten, denn ich hatte mich eben schon vor 3 Monaten mit Schmuck eingedeckt. Ich bin halt ein charakterstarkes Kerlchen...

Bei Ralf Lauren fängt aber das finanzielle Chaos an. Schliesslich wartet Jürg schon seit Jahren (!) darauf, dass er sich in den USA wieder mal bei seinem Lieblingsdesigner austoben kann. Und dann gibt es noch eine Aktion, dass man bei einem Kauf über 250 Dollar einen einmaligen Rabatt von 50 Dollar erhält. Na das bringen wir doch sicher hin... Die schönen Polo-Shirts sind zu einem Schnäppchenpreis erhältlich vergleicht man es mit der Schweiz! Und ich finde auch noch zwei schöne Blusen, so dass wir diesen Betrag gemeinsam erreichen und den Rabatt erfolgreich einsacken können. Strahlend - mit einer riesigen Ralf Lauren-Tasche versehen - verlassen wir den Laden. Jürg kann es kaum fassen, dass er sich schon am ersten Tag eindecken konnte (immerhin gab es für diesen Preis vier Polo-Shirts, einen Pullover und zwei Blusen - in der Schweiz hätte grad mal zwei Polo-Shirts gekriegt...).

Draussen regnet es immer stärker. Das hält uns aber nicht davon ab noch ein wenig dem primitiven Drang nach Shopping nachzugeben. Und so besuchen wir noch ein paar Läden. Bei Nike finde ich auch ein paar schöne Turnschuhe. Unser Koffer ist so gepackt, dass wir ein paar uralte Sachen bei uns haben, die hier dann auch gleich beerdigt werden. Dazu gehören auch meine alten ausgelatschten Turnschuhe.

Irgendeinmal haben wir jedoch vom Einkaufsparadies die Nase voll und so fahren wir dem Meer entlang durch idyllische Hafenstädtchen wie York Harbor, York Village oder York Beach (die Leute hatten aber grosse Phantasie für Namen...). Gegen halb zwei erreichen wir unser heutiges Tagesziel: Ogunquit.

Die Abenaki-Indianer gaben diesem Ort den Namen, was soviel wie "schöner Platz am Meer" bedeutete. Der Reiseführer meint es gebe keinen andern Strand in Maine, der so schön sei. Glauben wir gerne... nur ist im Moment wenig davon zu sehen! Schnell finden wir unser gebuchtes Hotel, das Anchorage by the sea. Ein mürrischer älterer Herr überreicht uns den Zimmerschlüssel und eine Nachricht von Monique, dass sie mit Christiane beim Lunch sei und gegen halb fünf bei uns aufkreuzen werde.

Meine liebe Freundin Monique aus Montreal ist nämlich dafür verantwortlich, dass wir nach Ogunquit kommen. Es ist ihr Lieblingsferienort an der Atlantikküste und so wie ich Bellwald seit Kindesbeinen an kenne, ist sie mit ihren Eltern immer hier hin gefahren. So habe ich mich natürlich riesig darüber gefreut als sie mir vor Monaten mitteilte, sie käme extra wegen uns nach Ogunquit. Das letzte Mal habe ich sie 2004 in New York bei Terry gesehen.

das Hotel ist wunderschön

das Hotel ist wunderschön

Das Hotel ist riesig mit mehreren Trakts. Unser liegt schön oberhalb der Strandpromenade mit Blick auf die rauen Wellen. Wir erhalten ein gemütliches Zimmer, wo wir mal unser Gepäck reinbugsieren inklusive der vielen Plastiktaschen aus unserem Kaufrausch. Es giesst in Strömen, die Ausläufer von Hurricane Kyle haben uns fest im Griff. Im Fernsehen informieren wir uns über die Position von Kyle. Dieser scheint in den nächsten Stunden Cape Cod zu streifen. In den USA gibt es Warnsysteme via TV zum Beispiel bei Flutgefahren. So ertönt immer wieder ein ziemlich durchdringender Signalton während dem laufenden Programm und auf einem Balken unten werden die umliegenden Orte aufgeführt, welche zur Zeit die meisten Regenmengen erhalten und damit in höchster Flutgefahr sind. Echt spannend... Kyle soll morgen an unserer Küste vorbeistreifen und vermutlich Nova Scotia treffen. Für den morgigen Tag melden sie weiterhin flutartige Regenfälle. Draussen regnet es Bindfäden und der Parkplatz wandelt sich langsam zu einem Swimmingpool. Von der schönen Küste ist nur wenig zu erkennen. Alles verschwindet grau in grau und das Tosen der Brandung ist zu hören.

Die Aussicht von unserem Zimmer aus. Sie wäre einmalig wenn nicht so trostlos...

Die Aussicht von unserem Zimmer aus. Sie wäre einmalig wenn nicht so trostlos...

Vor dem Zimmer haben wir eine gedeckte Veranda mit zwei Stühlen. So können wir im Trockenen die spannende Stimmung verfolgen. Da im Zimmer der TV läuft bekommen wir auch die Warnungen mit, die regelmäßig weiterhin ertönen. Wir sind beeindruckt wie das hier funktioniert! Die Regenstärke nimmt an Intensität zu. Was bei ein uns starker Gewitterregen ist, der nach 15 Minuten vorbei ist, tost es hier nun seit Stunden vom Himmel ohne grosse Aussicht auf Besserung. Da ich mich natürlich als informierter Hurricane-Fan bestens mit solchen Dingen auskenne (hüstel...), mache ich mir Gedanken wie wir wohl morgen zu Nahrung kommen sollen, wenn die Strassen überflutet sind. Wäre da ein kleiner Notvorrat nicht angebracht? Jürg findet meinen Vorschlag völlig absurd, doch ich lasse mich nicht davon abbringen.

Das Rauschen der Wellen ist gewaltig

Das Rauschen der Wellen ist gewaltig

die Flut kommt

die Flut kommt

Um halb fünf tauchen Monique und Christiane völlig durchnässt auf unserer Veranda auf. Es gibt es riesiges Hallo, und ich freue mich wirklich ganz toll, Monique wieder zu sehen. Auch ihre Freundin Christiane, die ich zum ersten Mal kennen lerne, scheint sehr nett zu sein. Die beiden wollen mal aufs Zimmer und sich in trockene Klamotten schmeissen. Wir verabreden uns für halb sechs. Da sich Monique hier bestens auskennt, sind ihr natürlich auch die besten Restaurants bekannt. Ich bitte sie noch darum, uns zuerst zu einem Shoppingcenter zu bringen. No Problem...

Um halb sechs werden wir abgeholt und gemeinsam fahren wir an die Hauptstrasse von Ogunquit, wo wir süsse kleine Lädeli vorfinden. Der Dorfkern ist wirklich höchst malerisch, und ich verstehe, warum Monique so von dem schönen Ferienort schwärmt. Im Moment dominieren ältere Leute in knallgelben Regenjacken und Schirmen das Bild. Jedenfalls lassen sich die Leute auch von einem nahenden Hurricane nicht aus der Ruhe bringen. Monique hält vor einem kleinen Foodladen. Der kurze Spurt durch den Regen durchnässt uns bereits vom Feinsten. Obwohl Jürg das ganze immer noch für eine spinnerte Idee hält, kaufe ich uns Brot, Salate, Chips, Wein und Mineralwasser ein. Zimmerpicknick - ich liebe das! Jürg ahnt, dass ich den Hurricane als Vorwand dafür brauche. Man kann ihm nichts mehr vormachen...

Mit dem Auto geht's dann südwärts weiter. Die Scheibenwischer kommen kaum mit ihrer Arbeit nach und auf der Strasse sammeln sich grosse Pfützen, die der Beachtung wirklich wert sind. Nach 30 Minuten Fahrt erreichen wir im Wald einen See mit einem einsamen Restaurant. Es hat bereits viele Autos davor und innen erwartet uns eine höchst gemütliche Ausstattung. Grosse Panoramafenster erlauben einen Blick auf den See (soweit im Moment ein Ausblick möglich ist...), gedämpftes Licht zeigt eine idyllische Einrichtung mit viel Holz und Artefakten rund um die Seefahrt. Wir erhalten einen schönen Tisch an einem dieser Fenster und bestellen natürlich Seafood. Mein Gratin mit Scampis und Hummer ist schlicht ein Gedicht. Dazu geniessen wir ein feines Glas Weisswein. Es wird ein äußerst gemütlicher Abend. Wir haben uns viel zu erzählen und da Englisch nicht unsere Muttersprache ist - Monique und Christiane sprechen französisch - gibt es halt ab und zu ein Erzählen mit Händen und Füssen. Franko-Kanadier, die Englisch sprechen, sind ziemlich amüsant! Der Wein tut das seine dazu, dass es immer lustiger wird.

Monique und Jürg

Monique und Jürg

und Christiane und ich beim gemütlichen Dinner

und Christiane und ich beim gemütlichen Dinner

Doch um neun Uhr zollt der Jetlag seinen Tribut und wir gähnen herzergreifend. Monique fährt uns vorsichtig zurück zum Hotel. Soviel Regen an einem Tag habe ich wirklich noch nie erlebt. In Strassenmulden durchfahren wir des öftern beeindruckend tiefe Seen. Monique macht das gut!

Zurück im Hotel verabreden wir uns zum gemeinsamen Frühstück. Monique und Christiane kehren morgen leider schon wieder zurück nach Montreal. 6 Stunden Hinfahrt und 6 Stunden Rückfahrt ... für uns für ein Wochenende undenkbar, hier absolut normal!

Das Rauschen wiegt uns sanft in den Schlaf. Es ist schwer zu sagen, ob es der Regen ist oder das Meer...

© Franzi S., 2009
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Alle schwärmen vom Indian Summer in den Staaten. Wir wollten es mit eigenen Augen sehen... und wurden nicht enttäuscht!
Details:
Aufbruch: 26.09.2008
Dauer: 3 Wochen
Heimkehr: 17.10.2008
Reiseziele: Vereinigte Staaten
Der Autor
 
Franzi S. berichtet seit 16 Jahren auf umdiewelt.
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