Thailand - Malaysia - Singapur - Indonesien. Ein Reisebericht von 1989
Padangbai/Tag 27: Kiss me deadly
Die Feier, bei der die Seelen ihre Freiheit zurückgewinnen sollen, zunächst das Ausgraben der Knochen, im Weiteren ihre Verbrennung und die anschließende Prozession, bei der man diese Seelen schwindelig macht, damit sie nicht mehr den Weg zurück zu den Körpern finden, ist ein aufregendes Unternehmen.
Die balinesische Seele ist auf die Mithilfe der Lebenden angewiesen. Ein Begräbnis ist vorausgegangen, aber das Grab ist nur ein Zwischenlager, meist eines für die armen Seelen, denn ihre Hinterbliebenen müssen zuerst die Mittel für das Fest aufbringen, für die Priester, die Musiker, das Holz zur Verbrennung und die Weihgaben. Gewöhnlich schließen sich mehrere Familien zu diesem Zweck zusammen, ihre verstorbenen Angehörigen liegen dann schon unterschiedlich lange in ihren Gräbern.
Etwas verspätet kommen wir zur Begräbniswiese in der Nähe des Strandes und erleben mit, wie gerade der letzte von fünf Toten ausgegraben wird. Es sind natürlich emotionsgeladene Momente, wenn die Knochen, wenn vor allem der Schädel wieder zum Vorschein kommen. Einer jungen Mutter ist von ihrem verstorbenen Kind nichts weiter geblieben als ein kleiner Metallstab, ein Hinweis lediglich noch auf die Grabstelle; die Augen der Frau sind feucht. Eine weißhaarige alte Frau begegnet ihrem Mann wieder. Sie hält seinen Schädel in der Hand, küsst ihn.
Die Frauen waschen und schmücken die Gebeine, legen sie auf weiße Tücher und begießen diese mit bestimmten Essenzen. Ein Priester stimmt Gesänge an und jede seiner Handlungen wird von den Gamelanmusikern, die sich unweit von ihm niedergelassen haben, lautstark untermalt. Die nun in den Tüchern kunstvoll gebündelten Knochen werden in Bambusschiffchen gepackt und eines nach dem anderen auf den bereits am Vorabend errichteten Altar gelegt. Er ist von einem Baldachin überzogen und zugleich ist er der Scheiterhaufen.
Die Zeremonie wird von Gebetstänzen begleitet, die Opfergaben, meist Obst und Gemüse, werden in die Luft geworfen, hernach machen sich die Straßenköter darüber her. Dann legen die Angehörigen das Feuer.
Ist ein trauriges oder, wie oft beschrieben, ein heiteres Fest? Weder - noch, würde ich sagen. Die Farbenpracht passt sicher nicht zu einem heulenden Elend. Andererseits sieht man selten ein Lächeln und anfänglich wird auch kaum einmal laut gesprochen.
Gegenüber dem brennenden Holzstoß sitzt auf einem kleinen Hochsitz ein zweiter Priester, der mit Gebeten beschäftigt ist. Er fällt durch seine hohe rote Kappe auf. Das Gros der Leute hockt auf der Erde, man starrt ins Feuer und unterhält sich. Von einer neugierigen Kinderschar umlagert, säubert jemand Geldmünzen, es sind ausgebuddelte Grabbeigaben, die vielleicht demnächst wieder demselben Zweck dienen werden.
Zwei oder drei Stunden vergehen. Was ich der Einfachheit halber den Aschethron nennen möchte, ist inzwischen von einer Prozession herbeigetragen worden. Dieser Thron ähnelt in der Form einem islamischen Predigerstuhl und ist mit bestickten Tüchern, Pflanzengestecken und kleinen Spiegeln verziert. Darauf legt man die aufgesammelte Asche. Aber nun erhebt sich doch noch ein Geschrei, wiederum werden Früchte, wird Gemüse in die Luft geworfen, auch einige wenige Fleischbrocken sind dabei und Blumen, alles was auf einem Tisch gesammelt war, den man ebenfalls herbeigebracht hat. Eine größere Zahl von Jungen ergreift den auf zwei Stangen befestigten Thron, sie laufen damit um die Reste des Aschehaufens. Das Herumlaufen soll die Seelen verwirren, diese sollen daran gehindert werden noch einmal zurückzukehren.
Etwas komisch mutet es an, dass nicht nur die Asche, sondern mit ihr zwei Männer mit durch die Gegend getragen werden; sie halten alles fest, was herunterfallen könnte (und müssen sich selbst gut festhalten). Ein älterer Mann tanzt in schlangenförmigen Bewegungen dem Zug voraus. Endlich bewegt man sich von der Begräbniswiese weg und zieht die Dorfstraße hinunter. Jede kleine Kreuzung ist eine willkommene Gelegenheit den Seelen die Orientierung zu nehmen, immer geht man, um sie zu verwirren, dort im Kreis.
Dann gelangt man zur Hafenmole. Dort wird der Aschethron abgesetzt und die meisten der Prozessionsteilnehmer zerstreuen sich wieder. Nur für die engsten Angehörigen wird an einem kleinen Straßenaltar von einem weiß gewandeten Priester eine Gebetszeremonie abgehalten. Wir stehen in der grellen Sonne des frühen Nachmittags und sehen zu, wie der Aschethron nun umständlich auf einen Einbaum geladen wird. Als das Boot die Anlegestelle verlässt und aufs Wasser hinausfährt, winken ihm, ihren Toten, die Mütter, Väter, Witwen hinterher. Noch in guter Sichtweite vom Ufer entfernt, wird die Asche den Fluten übergeben. Die Seele hat ihre Freiheit wieder.
An dieser Stelle - es ist der 13.August 1989 - bricht das Tagebuch ab. Padangbai, von wo aus wir weitere Ausflüge unternehmen, bleibt der östlichste Punkt der Reise. Wir fahren über Surabaya auf Java, wo wir die Gelegenheit haben kurz ein DDR-Schiff zu besteigen, die "Leipzig", nach Jakarta und auf dem Luftweg nach Singapur zurück. Dort verpassen wir den Flieger nach Bangkok und bleiben deshalb einen Tag länger, als gewollt. Von Bangkok aus fliegen wir schließlich wieder nach Berlin zurück (weil nun für Birma keine Zeit mehr bleibt), legen aber noch einen zweitägigen Zwischenaufenthalt in Prag ein. Die Reise ist zu Teilen auch durch Fotos dokumentiert, leider jedoch hat mein Apparat einige Filme nicht transportiert, so dass es beispielsweise keine Aufnahmen vom Langhaus in Sarawak gibt (allerdings habe ich zum damaligen Zeitpunkt noch nichts davon geahnt).
Ein Scheiterhaufen für die Toten.
Witwe mit dem Totenschädel ihre Mannes.
Aufbruch: | Juli 1989 |
Dauer: | circa 5 Wochen |
Heimkehr: | August 1989 |
Malaysia
Singapur
Indonesien