Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

uttaranchal: am rande erzählt


zimmer mit aussicht
mein erster tag hier. ich sitze gerade im wohnzimmer von herrn martolia in munsyari auf 2300 m und schaue durch das fenster auf die verschneiten gipfel der panchuli-berge. vor mir liegt das gästebuch der "martolia lodge" mit vielen einträgen von menschen aus aller welt. die meisten davon voll des lobes für herrn martolia. er ist ein gentleman, ein echter freund, ein guter trekkingführer, spricht perfekt englisch, usw. das haus ist schön, die zimmer sauber, das essen spitze und die preise der aussicht angemessen. herr martolia hat das alles prima hingekriegt und wird in den reiseführern mit namen genannt. auch die drei spanier, die zum trekken hier sind, sind wegen ihm hier abgestiegen. ja, den mann würde ich gerne kennenlernen.
er scheint auch schon in aller welt gewesen zu sein. ehemalige gäste von ihm haben ihn eingeladen. er war in japan, frankreich, spanien, belgien und wer weiß noch wo. das ist selten für einen inder. mein respekt steigt.
komisch ist nur, was in meinem deutschen reiseführer steht: "leider wird die martolia lodge von einem alten schlitzohr geführt, der versucht, aus seinen gästen möglichst viel geld herauszupressen." uppps, na das passt jetzt aber überhaupt nicht zusammen. aber jetzt erst recht, das klingt ja wirklich interessant. wo ist der mann?
tot ..... bereits seit zwei jahren!
irgendwie haben das aber noch nicht so viele mitgekriegt. die spanier nicht, und die leute, die sich im letzten monat hier eingetragen haben, anscheinend auch nicht, denn sie bedauern im gästebuch herrn martolia nicht getroffen zu haben.
ich habe allerdings auch das große glück, die tochter, mamta, kennenzulernen. sie ist aber nur noch auf besuch da, denn sie wurde vor drei monaten 100 km weit weg verheiratet. das ist der zweite große verlust für die familie. auch sie spricht gut englisch, und da ich mich gerne mit ihr unterhalte, erzählt sie mir auch vom tod ihres vaters. das ist nicht selbstverständlich, denn die familie hat ein wenig angst davor, dass niemand mehr kommt, wenn bekannt wird das herr martolia gestorben ist. das ist zwar verständlich, aber nicht unbedingt nötig. die lodge bietet immer noch das beste preis/leistungs-verhältnis hier oben.
aber zurück zu den lebenden, in diesem fall zu mamta. sie ist nicht nur so neugierig wie die meisten inder, sondern auch lern- und wissbegierig. jedes wort, das sie nicht versteht, schreibt sie sich auf. als ich ihr die uhrzeit auf englisch sage, macht sie sogar skizzen von uhren mit verschiedenen zeiten und bittet mich, ihr das auf dem papier nochmal zu erklären. was mir aber besonders gut an ihr gefällt, ist eine ganz bestimmte geste: immer wenn sie mich nicht versteht oder eine frage nicht beantworten bzw. etwas nicht organisieren kann, dann streckt sie für einen kurzen moment die zunge heraus. ich hoffe, ich sage nichts falsches, aber soweit ich weiß, ist das im asiatischen kulturkreis das zeichen für beschämtheit. dass sich menschen für solche kleinigkeiten noch schämen können, das ist beeindruckend für mich. das sie das auch noch offen zeigen, noch mehr. das ist selten.
und weil mamta so nett war, hier ein schnappschuss von ihr:

mamta martolia.

mamta martolia.

computerschule

computerschule.

computerschule.

die pflicht treibt mich an - berichte wollen geschrieben werden. einen guten pc mit einem usb-anschluss in indien zu finden, ist aber schwierig. in joshimath wage ich mich in eine computerschule und siehe da - ich habe glück. die betreiber sind sehr freundlich und als ich ihnen erkläre, dass ich selber auch schon computeranwendungen unterrichtet habe, sind sie sogar hocherfreut. sie lassen mich am besten computer arbeiten, der alles hat, was ich brauche: usb, einen brenner und sogar ein antivirusprogramm, das leider prompt fündig wird. ein usb-stick und sogar mein kameraspeicher sind verseucht. über ein paar hintertürchen rette ich die meisten daten, aber ein paar bilder sind leider verloren. die beiden haben offenkundig grenzenloses vertrauen in mich, denn sie geben mir während der folgenden tage den schlüssel zur computerschule und lassen mich in der mittagspause und abends alleine arbeiten! das sollte man sich mal in deutschland vorstellen: es kommt ein wildfremder ausländer, und nach 20 minuten gebe ich ihm den schlüssel zu meinem betriebsvermögen.
manchmal kommen schüler und logischerweise bin ich dann interessanter als der unterricht. es ist aber immer spaßig und sehr entspannt. ohne jetzt über die betreiber was schlechtes sagen zu wollen, aber sie sind, was das fachwissen betrifft absolut typisch. das was sie unterrichten sollen, das können sie, alles andere, z.b. die programme auf ihrem eigenen pc - keine ahnung. das ist in indien oft anzutreffen, besonders oft in internetcafes: einschalten und ausschalten geht klar, bei egal welchen problemen wird einfach neu gestartet und das beste gehofft. antivirenprogramme ... wozu? popup-blocker .... ach was, die verbindung ist doch eh schon so langsam! arbeitsspeicher 32 mb - wieso langt das nicht, haben sie es eilig?
aber nach dieser guten erfahrung werde ich noch öfter computerschulen aufsuchen.

die wahlen in indien
die größte demokratie der welt. hahahahahahaha wer mal ein paar der wahlplakate gesehen hat, der geht freiwillig nicht mehr zur wahl. manche der leute schauen wirklich furcherregend aus, fast wie auf fahndungsplakaten. das alleine ist schon übel genug, aber am schlimmsten waren die jeep-convois, die überall anzutreffen waren. laut hupend mit johlenden gestalten fuhren sie durch die schöne bergwelt, 10 autos hintereinander. jetzt, wo die wahl vorüber ist, kehrt wieder ruhe ein. in einem so großen land dauert die stimmauszählung natürlich ein wenig, aber das ergebnis überrascht alle. die kongresspartei und ihre allianz gewinnen gegen die so übermächtig erscheinende bjp, die nationale hinduistische partei. der präsident dankt ab und fast wird eine italienerin mit indischem pass die führerin dieses milliardenvolkes. jetzt geht das übliche geschacher los, wer mit wem und wann, denn in indien regiert nie eine partei alleine. politik ist hier wirklich noch ein absolut schmutziges geschäft.

mana - bis zum bitteren ende

rückblick auf mana während der wanderung.

rückblick auf mana während der wanderung.

vom tempel in badrinath kann man noch zum kleinen örtchen mana fahren, dann hat man das ende der straße erreicht. von dort beginnt eine 5 km lange wanderung zum vasudara-wasserfall, angeblich die quelle des alaknanda flusses. 5 km dachte ich mir, phhh, das ist ja wirklich nicht lang und soll angeblich auch nicht steil sein. stimmt ja auch alles: es ist nicht weit und steil ist es auch nicht, aber am ende ist man eben doch auf knapp 4000 m. am anfang war ich noch frohen mutes und es ging gut voran, mana verschwand langsam am horizont. mit der zeit wurde ich ein wenig langsamer und ein belgisches pärchen überholte mich. ich traf eine indische familie - kinder und frauen ließen sich in einer art korbstuhl tragen - und ging eine weile mit ihnen. meine pausen wurden aber immer länger und die abstände zwischen den pausen immer kürzer. es ging über kleine schneefelder, die aussicht war unbeschreiblich schön und ich unbeschreiblich am ende. die letzten 500 m machte ich alle 50 m eine kleine pause und als ich am wasserfall angekommen war, schlief ich fast ein. die sonne brannte und ich hatte natürlich vergessen mich einzucremen. auf dem rückweg wurde mir klar, dass die nacht schmerzhaft werden würde - ich hatte recht.

wie das paradies verlassen wurde
ein blick auf die landkarte brachte eine klare empfehlung. von musoorie aus gibt es einen weg über den ort chakrota und von dort kann man in das bundesland "himachal pradesh" fahren, mein nächstes ziel. ich folgte meinem instinkt, der straße und den schildern und war alsbald auf dem richtigen weg. ich überquerte die brücke über den großen yamuna-fluss, die steigung begann, denn chakrota liegt auf 2000 m. ich nahm zum ersten mal an diesem tag einen anhalter mit, der 15 km später wieder abstieg. die straße war einsam, kein gegenverkehr und in erstaunlich gutem zustand. die landschaft wurde immer schöner. wie große wellblechstücke wölbten sich die berge sanft um mich herum, die luft war klar, die sicht gut. es gab nur ganz kleine dörfer und wenn mich ein einheimischer sah, grüßte er freundlich. "meine güte" dachte ich mir, "ich habe ein kleines paradies entdeckt". an einem verlassenen bushäuschen sah ich eine werbung für ein hotel in chakrota. super, also gibt es auch unterkünfte. mein herz jauchzte, mein motorrad kämpfte sich die letzte steigung hoch, ein dorf lag einsam auf einem sonnenbeschienenen bergkamm. ich begann mir auszumalen, wie ich vielleicht einige tage in chakrota verbringe, die sonnenuntergänge genieße, mich auf hügeln in den warmen wind stelle ...... hmmmm huppppssss, eine schranke hier oben? der armeepolizist fragt wo ich hin will und ich erkläre ein wenig unwillig mein ziel. bis dahin wurde ich immer durchgewunken und auch hier wird doch gleich die schranke hochgehen! neeeeeeiiiin, sie ging nicht hoch. militärsperrgebiet, ich muss 42 km durch die berge zurückfahren. aber es ist doch schon 16 uhr, in etwas mehr als zwei stunden wird es dunkel. tja, das tue ihm leid, aber es gibt keine andere möglichkeit und auch keine übernachtungsmöglichkeit. hmpf, grrrrr, also wieder zurück. die landschaft ist immer noch schön, aber wenn man doppelt so schnell fährt wie bergauf, hat man nicht wirklich augen dafür.

ich komme zu einer großen straße in erbärmlichem zustand und nehme meinen zweiten anhalter mit. wie immer bedaure ich meine gutmütigkeit in dem moment, in dem die leute aufsitzen. es wird eng auf dem motorrad und die federung gibt laute der qual von sich. nach 20 km, es war schon lange dunkel, kommen wir in einer stadt an. mein beifahrer klopft mir auf die schulter und ich lasse ihn absteigen. ich frage ihn ob es hier hotels gibt. er sagt nein, dreht sich um und geht. daaaaaankeschön. unterwegs muss ich mein t-shirt verloren haben, dass ich als sonnenschutz um den hals trug. natürlich hat er kein wort darüber verloren. ich lande nach etlichen weiteren kilometern durch die dunkelheit in einem kaff namens poenta sahib. der manager eines teuren hotels schickt mich auf meinen wunsch hin zu einem billigeren und als ich dort ankomme wird mir auch klar, warum es billiger ist. vorne drin ist eine dieser düsteren bars in indien, die von reisenden und einsamen männern aufgesucht werden. eine wand meines zimmers ist unverputzt, im badezimmer spielen die kakerlaken skat, die laken hatten offensichtlich ein sexuell aufregendes leben und der hotelmanager verlangt eine vorauszahlung, die höher ist als der zimmerpreis. ich bin müde, sehr müde und schwitze jämmerlich, bleibe schließlich dort, verlasse die "herberge" aber am nächsten morgen noch bevor die stadt zum leben erwacht. das wars dann mal mit dem paradies.

buchempfehlung
rohinton mistry, "a fine balance" (heißt im deutschen "das gleichgewicht der welt"). wer ein wenig mehr über indien erfahren will, kann mit diesem buch beginnen. endlich mal keine helden, sondern normale menschen in indien in schwierigen zeiten.
isbn 0-571-21878-4

© Ralf Knochner, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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