Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

bharatpur - insel des glücks: der könig der löwen

ein grund für mein bleiben in bharatpur ist die familie singh:
herr singh ist mein gastgeber, herbergsvater und/oder hotelmanager, aber trotz des namens kein sikh. aber wie die sikh gehört auch er der kriegerkaste an und sein name bedeutet wie bei allen mit diesem nachnamen "löwe".
herr singh ist natürlich verheiratet und hat kinder (zwei grundlegende stützpfeiler der indischen kultur): vier töchter und einen sohn, alle auf guten schulen, die ältesten beiden töchter sind bereits verheiratet.
ein kleines zimmer hat er an zwei studenten vom dorf vermietet und außer ihm, seiner frau und einer nichte lebt noch ein etwa 15-jähriger junge aus nepal hier. letzterer ist sowas wie der hausbursche; er macht quasi die ganze arbeit und schläft nachts auf der veranda. am tag vor meiner abreise ist er entweder rausgeflogen oder gegangen - genaueres war nicht zu erfahren.
die beiden jüngeren töchter leben noch hier und die ältere, shimla, wird auch bald heiraten. in den vergangenen acht tagen bin ich schon fast adopiert worden und durfte deshalb auch am heiklen prozess des hochzeitsarrangements teilnehmen.

tochter deeraj, mutter, tochter shimla, vater und nichte.

tochter deeraj, mutter, tochter shimla, vater und nichte.

in indien bestimmen nach wie vor die eltern den lebenspartner ihrer kinder und die meisten jungen erwachsenen akzeptieren das auch ohne murren. für shimla wurde per zeitungsannonce ein partner gesucht. Er muss der gleichen hauptkaste entstammen, die finanzen sind wichtig und natürlich auch die gesunde optik, aber insbesondere die familie. nach der sichtung der vielen bewerber kommt es dann zur endgültigen verhandlung.
hier war es nun soweit, die vorauswahl war getroffen und die familie des potentiellen bräutigams wurde erwartet: der vater mit dem sohne und zwei weitere männliche verwandte. den ganzen tag habe ich mitgewartet und mein bestes paar kleider angezogen.
am frühen nachmittag trafen sie ein und ich wurde mit dem ganzen tross ins wohnzimmer verfrachtet. die atmosphäre war verständlicherweise ein wenig gespannt, denn außer den vätern hatte sich noch kein beteiligter vorher gesehen, auch shimla und ihr möglicher bräutigam nicht. nach diesem treffen würden sich die eltern des jungen entscheiden und nach ein paar tagen telefonisch bescheid geben. ich versuchte also mein bestes im bereich des unverfänglichen small talks.
der junge, krishna, war ein 1,90 m großer schlacks und sehr schüchtern (da wird er bei der westlich orientierten und selbstsicheren shimla nicht viel zu lachen haben). sein vater, ehemaliger armeepilot und jetziger bankmanager hingegen war sehr selbstsicher. das passte irgendwie gar nicht zu diesem einarmigen, stotternden, schlecht englisch-sprechenden und recht hässlichen mann, aber er ist ja reich und hochkastig, das macht in indien fast alles wett. einer der verwandten war eher der ländliche typ, durchaus symphatisch, der andere ein absolut übelst-protziger mitdreißiger im business-outfit (ich dachte schon, es fällt ihm gold aus dem mund, wenn er spricht... er ist ein "landlord", also großgrundbesitzer).

als alle außer krishna den raum verließen, ging ich natürlich auch, denn jetzt kam shimla. nicht, dass dies die entscheidung der väter groß beeinflusst hätte, aber immerhin. shimla war ausnahmsweise traditionell gekleidet und insgesamt 5 minuten mit krishna alleine - das muss reichen. das gesamte spektakel hat eine stunde gedauert und es sieht so aus, als würde alles glatt laufen.

zur vermutlichen hochzeit bin ich eingeladen und falls es mir irgendwie möglich ist, werde ich daran teilnehmen. irgendwann mitte mai wird es vermutlich soweit sein. sie werden mich per e-mail darüber informieren.

eine mitgift gibt es "natürlich" auch, offiziell ist das verboten. in diesem fall wird herr singh 1.000.000 rs (ca. 17.300 euro) zahlen und die hochzeitsfeier ausrichten. von dieser summe wird ein auto gekauft, alle küchengeräte und was sich das brautpaar bzw. die eltern des bräutigams sonst noch wünschen. umso besser der ausbildungsstand des bräutigams, umso höher ist die mitgift.
herr singh hat da also viel zu löhnen bei 4 töchtern und nur einem sohn, aber er sagt, er habe das geld bereits auf der hohen kante. auch sonst weiß herr singh, wo geld zu verdienen ist. er betreibt noch ein restaurant an der schnellstrasse und besitzt ein wenig ackerland. alles in allem (also auch mit dem kleinen hotel), kann er im jahr um die 300 000 rs verdienen.
er ist selbstverständlich auch der absolute chef im kreis der familie. wenn er den raum betritt, verstummen die gespräche, damit er eins anfangen kann, ein stuhl wird geräumt oder herbeigeholt und natürlich trifft er entscheidungen hauptsächlich alleine.
seine frau, die für alle kocht und den haushalt schmeißt, kann weder lesen noch schreiben. für sie ist er seiner aussage nach "gottgleich". dafür muss sie sich auch über nichts den kopf zerbrechen, das ist seine aufgabe. gut, dass er nicht weiß, dass die jüngste tochter einen freund hat, das gäbe eine gewaltige tracht prügel.
er ist sehr interessiert am leben in deutschland, ist sehr hilfsbereit, auskunftsfreudig und auch politisch-religiös eher tolerant eingestellt und - was in indien eher selten ist - humorvoll. insgesamt also eine erfreuliche bekanntschaft, aber kulturell bedingt bleibt ein gewisses gegenseitiges unverständnis.

nachtrag:
die hochzeit ist geplatzt, dementsprechend war die stimmung für kurze zeit nicht sonderlich gut. die offizielle begründung kann man sich aber schon mal reinziehen: shimlas haut wäre zu dunkel! herr singh hat aber gleich gesagt, es gäbe wohl noch andere gründe, aber die werden ihm halt nicht gesagt. vielleicht wollte die familie krishnas mehr geld oder irgendwas mit shimlas ausbildung hat ihnen nicht gepasst. möglichkeiten gibt es viele.

nun ja, damit geht die suche von vorne los und somit wird es mit der hochzeit mitte mai vermutlich nichts werden. erfahrungsgemäß dauert es laut herrn singh ungefähr 2 bis 3 monate um einen neuen bräutigam zu finden.

© Ralf Knochner, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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