Heilige Kühe und GoGo-Girls
die letzten tage in indien: delhi bis kalkutta
auf der zugfahrt nach varanasi: es gibt tee, baby!
das zugticket habe ich schon vor zwei monaten besorgt. das war sicher eine gute idee, denn der zug ist rappelvoll. ich war so frei und habe dieses mal ein klimatisiertes abteil gewählt. seeehr angenehm, mit der zeit fast schon kühl.
den rucksack kette ich unter dem sitz an, kaufe noch proviant und schaue mir meine mitreisenden an. ein altes mütterchen, eine junge familie mit kleinkind und ein auf den ersten blick unangenehm wirkender wichtigtuer (der ich-brüll-jetzt-mal-ins-handy-typ), also die ganz normale indische mittelklasse. irgendwann werden die "brote" bzw. currys ausgepackt (inder sind da sehr verwöhnt und bevorzugen fast immer ihr eigenes essen)und es entwickelt sich sogar sowas wie eine unterhaltung. der wichtigtuer stellt sich als durchaus nicht unsympathischer reiseleiter heraus, der - man höre und staune - deutsch kann. nicht der erste, den ich kennenlerne, aber doch immer wieder was besonderes. da es schon dunkel ist, kommt das gespräch bald zum erliegen und das abendessen wird serviert. jaaa, das hätte ich auch nicht geglaubt. es gibt abendessen und danach decke, polster und leintuch zum schlafen. zwischendurch laufen immer wieder leute durch die gänge, die essen und trinken anbieten. echt prima. ich ziehe mich in das oberste der drei betten zurück und überlasse der familie mit kind mein gebuchtes unterstes bett. wenn ich so sehe wie die ihr kind herzen, ist mir um die zukunft indiens nicht bange. das ist wirklich rührend.
in der nacht wache ich dann schweißgebadet auf, um festzustellen, dass die indische eisenbahn beschlossen hat, geld zu sparen, indem sie die kühlung abstellt. keine gute idee, wie nicht nur ich finde. nach vielstimmigen beschwerden (auch das kleinkind brüllt mit) wird sie wieder angeschaltet. in aller frühe komme ich in varanasi an, auch benares genannt, die heilige stadt am ganges.
an den ghats (treppenstufen) in varansi
es kommt wie's kommen muss: die rikschafahrer stürzen sich auf mich. natürlich nicht wirklich, aber die selbsternannten helfer erkenne ich mittlerweile sofort. sie haben scheinbar nichts zu tun, können aber passabel englisch sprechen und lungern halt so zuuuufällig am bahnhof rum. "der ausgang ist da vorne links." (ach wirklich, gleich unter dem riesigen exit-schild?!) "suchen sie zimmer?" (nö, ich schlafe im straßengraben mit meinem rucksack als unterlage!) "ich bringe hin ganz billig!" (wie selbstlos, es gibt noch gute menschen .. schnieef.) "das hotel du willst hin ist ok aber ich besseres!" (ach neee, sag bloß!) "hier super hotel, superbillig!" (grausame zimmer, grausame atmosphäre, hoher preis weil provision - geeenau) "ok ich anderes hotel wissen." (grummel, grrr)
aber ich bin des streitens unwillig und möchte einfach nur ein passables zimmer. das vierte hotel ist dann in der kategorie es-geht-abwärts-aber-man-kann's-überleben. als ich dem "hilfreichen" rikschafahrer und seinem helfer (brüder?) 50 rupies gebe, kommen ihm fast die tränen (mir auch fast, oh nein, das ist schweiß). vermutlich hat er das dreifache erwartet.
leider ist stromausfall und nicht mal der ventilator geht. es ist furchtbar schwül und ich bereue es, nicht mehr für ein klimatisiertes zimmer ausgegeben zu haben. geiz am falschen ort. das muss ich noch ändern.
ein kuehlendes bad im ganges
dem ersten spaziergang zu den ghats folgt die ernüchterung: es mag sich manches in indien geändert haben, aber dreck bleibt dreck. ich betrete die ghats vorsichtig und sehe mich um. 20 m von mir wird gerade eine leiche verbrannt, daneben lodern noch andere feuer. da bin ich ja gerade richtig. interessanterweise macht mir das gar nichts aus und ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass ich das bereits vor 10 jahren gesehen habe. tot ist tot in meinem verständnis, und das verbrennen einer leiche ist ja so besonders nicht, nur wird das in unseren breitengraden vor uns versteckt. auch sonst versuchen wir alles, was mit tod, leid, schmerzen oder alter zu tun hat, möglichst dahin zu stecken, wo wir es nicht sehen müssen. das erinnert mich an das kinderspiel bei dem sich kleine kinder die augen zuhalten und meinen, sie würden jetzt auch nicht mehr gesehen werden. ja, so sind sie, die "zivilisierten" gesellschaften. in indien wird das alles noch im alltag gelebt. das ist nicht immer schön anzusehen, aber es gehört zum leben dazu und die meisten von uns sollten schon mal anfangen, sich darauf vorzubereiten, denn vermutlich wird ihnen nichts von alledem erspart bleiben.
als ich so an den ghats entlanggehe (sie sind alle miteinander verbunden) braut sich langsam ein wetterchen zusammen und eigentlich bin ich schon neugierig darauf. indien im monsoon habe ich ja noch nicht erlebt. ich raste in einem restaurant nachdem ich viele bilder gemacht und zig attacken auf den geldbeutel abgewehrt habe. dann beginnt der regen. was da in minuten runterkommt, dazu braucht es bei uns einen verregneten monat.
nach dem ersten regen
das wasser läuft die stufen hinunter in den ganges und transportiert so manche dinge mit sich, die nicht unbedingt dahingehören. die händler räumen die straßenstände und ich nutze die zeit, um meine mutter anzurufen. muss auch mal sein.
der regen dauert nicht lang, die nachwirkungen dagegen schon. langsam mache ich mich durch feuchten dreck auf den weg zurück zum zimmer. leider hat man machmal allerdings das gefühl, durch die exkremente vergangener generationen zu waten. scheiße kann schon furchtbar stinken. immerhin, die feuer brennen noch.
am abend mache ich mit meinem hotelmanager einen kleinen bootstrip zu dem seit einigen jahren täglich stattfindenden zeremonienspektakel am ganges. zehn priester schwingen schalen mit heiligem feuer, es gibt religiösen gesang zu hören und hunderte touristen feuern ihre fotoblitze in die szenerie. mitten im höhepunkt ... stromausfall ... auch nicht schlecht, schaut jetzt sogar besser aus das ganze.
danach gehe ich mit meinem begleiter essen, aber die unterhaltung verdient leider keinen stern, das essen schon. die nacht wird schlimmer als gedacht, denn ein weiterer stromausfall knipst meinen ventilator aus. über eine stunde liege ich schwitzend im bett und hoffe auf besserung. lesen geht ja auch nicht ... kein licht, aber wenigstens mein discman funktioniert noch.
der zweite tag in varanasi läuft unter dem motto "zeit und fliegen totschlagen", wobei ich noch versuchen muss, dem regen zu entkommen. das endet normalerweise in einem typischen internettag, so auch diesmal. das ist aber eigentlich auch schade, denn varanasi ist eine interessante stadt voller leben, und wenn jemand nur ein wenig zeit für indien hat, dann würde ich ihm varanasi empfehlen. hier ist vieles von dem, was indien ausmacht - das gute und das schlechte - an einem ort konzentriert.
trotzdem fällt es mir leicht, die stadt zu verlassen.
der vater ist verstorben und der aelteste sohn laesst sich alle haare rasieren
der für mich relevante bahnhof liegt weit außerhalb der stadt und die fahrt dahin ist eine tortur. angekommen verbringe ich ein wenig zeit im warteraum, um dann - nachdem der zug endlich da ist - drei mal das eisenross von vorn nach hinten abzulaufen, bis mir jemand erklärt, dass mein wagen erst drangehängt wird. es geht doch nichts über zeitgerechte informationen. verschwitzt finde ich meinen platz und warte auf den wasserverkäufer ... leider kommt keiner. ohh scheiße ... na gut, dann eben an der nächsten station .... es gibt keine mehr vor kalkutta am nächsten morgen ... schluck da dieser wagen gerade angehängt wurde, gibt es keine verbindung zu den anderen wagen, also auch keine verkäufer ... nix, gar nichts. meine mitreisenden bieten mir wasser an, dass ist nett. sie machen mich aber auch darauf aufmerksam, dass es normales leitungswasser ist und nicht gefiltert. och leute, nach so langer zeit in indien und so durstig wie ich bin - das risiko gehe ich ein.
meine reisebekanntschaft aus kalkutta (siehe uttaranchal-kapitel) konnte ich bisher nicht erreichen, aber meine mitreisenden lassen mich sogar mit dem handy telefonieren. ich spreche mit uttam und er bittet mich, ihn am mittag des nächsten tages anzurufen, er wird den tag verplanen und mir kalkutta zeigen. super, das ist doch mal was.
die nacht verläuft ruhig und die brodelnde bahnhofshalle ist trotz der menschenmassen sauber und ruhig. ich trete nach draußen in den regen und da sind sie wieder ... meine freunde aus der fahrenden zunft. vergeblich versuchen sie, mich abzuzocken, denn ich weiß, dass es hier vorausbezahlte taxis gibt. ein solches nehme ich (für die hälfte des vorher gebotenen "super-nur-für-dich-preises")und lasse mich ins hotel chauffieren.
für meinen letzten tag in indien habe ich mir was besonderes überlegt. ich möchte das land mit einer guten erinnerung verlassen und quartiere mich deshalb im teuersten hotel meiner reise ein, incl. steuern 2650 rupien (grob gerechnet sind das knapp mehr als 50 euro). das zimmer ist natürlich nobel, aber wie immer in der preislage zahlt man nicht nur das zimmer, sondern vor allem den service. der ist gut, aber leider störend. die nächsten zwei stunden kommen sage und schreibe fünf "dienstleister" in mein zimmer, um irgendwas zu richten bzw. anzubieten. das nervt.
der mittag naht und ich rufe uttam an. er entschuldigt sich vielmals, er hat aber heute morgen einen unfall gehabt und deshalb wird es leider nichts mit einem treffen, aber er kommt morgen früh in mein hotel. schaaaade, aber na gut, dann eben wieder internet.
der blick auf cetral-kolkatta aus dem superteuren zimmer - gigantisch was?
mein hotel liegt in der touristenstraße, der sudderstreet und genau gegenüber ist das haus der heilsarmee. davor eine armada von bettlern. kindern, frauen, männern, krüppeln usw. ... es hat sich nicht so viel geändert in zehn jahren. am nachmittag sind nicht mehr soviele von ihnen da, vermutlich, weil das haus von mutter theresa jetzt woanders liegt. trotzdem ist jedes vor die türe treten ein spießrutenlauf. ich habe ja - bei dem teuren zimmer - auch allen grund für ein schlechtes gewissen. selbst wenn die leute nicht so arm sind, wie sie tun, sind sie vermutlich immer noch so arm, wie wir uns das gar nicht vorstellen können. indien kann furchtbar sein, besonders wenn man dort leben muss. und indien kann furchtbar sein, weil es einen beständig daran erinnert, was man selbst für ein gigantisch gutes leben führen darf.
der regen setzt wieder ein und ich wate in knöcheltiefem wasser zum internetcafe. die beste verbindung die ich in indien je hatte ... kaum zu fassen. um das ganze noch zu toppen, gönne ich mir im sündhaft teuren hotelrestaurant noch zwei essen hintereinander. ich habe mir vorgenommen meine rupiareserven zu vernichten. das grüne curry schmeckt gut, ist aber scharf. ich löffle noch die reste aus, als ich merke wie es sich schon durch die magenwände brennt. am letzten abend bei einem verschwenderischen mahl den magen verdorben, welch ironie des schicksals.
am nächsten morgen auch keine spur von uttam und so stehe ich nach der taxifahrt am internationalen flughafen von kalkutta, im geldbeutel meine letzten zehn rupien. die formalitäten gehen voran und als der flieger schließlich abhebt, bin ich froh indien verlassen zu können. ein halbes jahr ist genug, aber wie schon paulchen panther zu sagen pflegt: "ich komm wieder, keine frage"!
Aufbruch: | Januar 2004 |
Dauer: | 6 Monate |
Heimkehr: | 18.07.2004 |
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh