Heilige Kühe und GoGo-Girls

Reisezeit: Januar - Juli 2004  |  von Ralf Knochner

die letzten tage in indien: am rande erzählt

naggar - fahrt des grauens

eine schöne ausflugsfahrt führt mich an das hochgelegene ende einer geteerten straße, wo auch ein hübsches, noch ursprüngliches dorf steht. am vielleicht einzigen chaishop dieses ortes lungert die männliche jugend und einige erwachsene herum. ein ungeteerter weg führt ein wenig weiter und ich frage die umstehenden mit händen und füßen wohin. das ist gar nicht nötig, denn einer der männer spricht ein wenig englisch. er bietet sich auch gleich an, mitzukommen und mir seine gemüsefelder zu zeigen. da er sympathisch aussieht, deute ich auf den rücksitz und los gehts. es ist holprig, aber ok. nach 15 minuten will ich aber nicht mehr und wir halten an einer art aussichtspunkt, einem überhängenden felsen. von dort kann man auf das dorf hinabschauen und in das schöne tal. kein schlechter platz. wir unterhalten uns und ich erfahre, dass er physik- und kunstlehrer an einer privaten grundschule ist. er wohnt in dem dorf, hat ein paar felder und viele geschwister. weil die sympathie offenbar auf gegenseitigkeit beruht, verabreden wir uns für den nächsten tag, da will er mir auch sein haus zeigen.
pünktlich bin ich zur stelle und als erstes füllt er mir den rucksack mit äpfeln aus dem obstgarten der familie. dann geht es richtung haus, um noch einen tee zu trinken. auf dem weg dahin begegnen uns noch eine schwester und ein bruder. die schwester war gerade 18 geworden und haut mich gleich vom hocker. nicht weil ich auf so junge frauen stehe, sondern wegen ihrer sehr natürlichen schönheit. und dann war da noch dieses lustige glitzern in den augen, ganz zu schweigen von den grübchen beim lachen ..... natürlich lasse ich mir nichts anmerken, ich mein, wer tut das schon? ich bin ja nun nicht mehr der jüngste und damit automatisch realist. meine hormone hingegen wollen das noch nicht so richtig wahrhaben und als unser aller gesprächsstoff langsam zur neige geht, höre ich mich zu meiner überraschung sagen, dass ich ihr, falls sie noch wegfahren müsse, gerne den rücksitz meines motorrades anbieten würde. sie hatte erwähnt, noch in das andere haus weiter unten gehen zu müssen und sah deshalb ein wenig verwundert, nicht unwillig, aber indisch-damenhaft und schüchtern zu boden.

gestehen wir uns das ein männer: wenn sie aussehen würde wie ich, dann würde ich das nie anbieten und ihr charakter spielt hier wirklich keinerlei rolle.
sie ziert sich noch, aber der bruder spricht ihr mut zu (ja, gut so mann, überzeuge sie!!!). ha, sie ist einverstanden (super!!!), ob auch für drei leute platz wäre (was, wieso???), ob ich ihn auch mitnehmen könnte (och nee, du heimtückischer schwesternschützer!!!). hätte mir eigentlich gleich klar sein können, dass ein inder niemals seine schwester mit einem westler unbewacht davonfahren lässt, alleine schon um ihren ruf zu schützen. gesagt, getan, wir fahren zu dritt los. nicht lange danach biegen wir von der geteerten straße ab und die hölle beginnt.
immer am abgrund entlang führt eine zwei meter breite straße voller steine und löcher. das motorrad ist eindeutig überladen, die stoßdämpfer ächzen und ich komme ins schwitzen. männlicher stolz hilft, mir die leichten panickattacken zu überwinden als wir knapp neben dem abgrund über die steine springen. viel habe ich auf dieser reise schon gesehen und überlebt, aber das hier ist echt übel, besonders weil wir zu dritt sind. es kommt mir wie eine ewigkeit vor, aber es sind nur 15 minuten. einmal müssen die beiden sogar absteigen, weil eine steigung zu gewaltig ist. offenkundig vertrauen mir die beiden und ahnen nichts von meinen selbstzweifeln und ängsten. beide bester laune, nur ich am ende, kommen wir am haus an. die dämmerung setzt ein und die schwester bittet mich schon fast flehentlich, in das haus zu kommen und noch einen tee zu trinken. liebend gern (wenn dein bruder nicht dabei wäre), aber leider wird es bald dunkel und der weg ist sooo schlecht, da möchte ich noch bei licht fahren. "ohhh, bitte, nur einen tee, bitte, bitte!" tut mir leid (und du bist echt so wahnsinnig hübsch), ich kann nicht. so geht das etwa 20 (!) minuten. in gedanken habe ich schon zwei kinder mit ihr und gehe dem rentenalter entgegen. als ich endlich loskomme, ist es natürlich schon dunkel und es ist wie befürchtet noch schlimmer als auf der hinfahrt. einmal fahre ich sogar einen falschen abzweig nach unten, merke es aber gleich. das nützt mir nur herzlich wenig, denn der weg ist jetzt nur noch so breit wie mein motorrad und sehr steil. ich male mir schon aus, wie ich mein motorrad einfach irgendwo stehenlasse und zu fuß zum hotel gehe. ich entschließe mich, es doch noch zu probieren und an der nächsten ein wenig breiteren stelle drehe ich um. es dauert eine geschlagene halbe stunde und ich bin total am ende. danach muss ich den steilen, schmalen weg mit vollgas wieder rauf fahren, es ist zum kotzen.
als ich endlich die hauptstraße erreiche, zittere ich noch leicht und das nicht nur weil es kalt ist. hormone .... wohin habt ihr mich gebracht?!

der gastgeber und schwesternschuetzer

der gastgeber und schwesternschuetzer

ein freundlicher versuch

da stehe ich nun. die ghats von varanasi. ort der spiritualität, der sinnsuche, der puren freude am leben, aber auch der letzten ruhe. und während ich gerade den leichen beim brennen zusehe, tritt ein mann an mich heran. gewinnendes lächeln, gutes englisch - es ist klar, er will mich bescheißen! innerlich bereits grinsend warte ich ab womit ich diesmal abgezockt werden soll.
"wissen sie etwas über die leichenverbrennungen?"
"ich habe ein wenig darüber gelesen!"
ungefragt beginnt er:
"hier werden alle hindus verbrannt, die von ihren angehörigen hergebracht werden. pro leiche 300 kg holz. nicht alle müssen verbrannt werden. heilige männer, leprakranke, kinder unter neun jahren (sorry leute, den rest hab ich vergessen) sind bereits rein und werden nur in den ganges geworfen .... bla .... bla .... blubb .... reiseführer ...."
er deutet um sich auf die leichen:
"hier werden die reichen verbrannt, dort die armen. wenn sich die armen familien das holz nicht leisten können, dann kaufen sie eben soviel wie möglich, den rest spenden die reicheren leute. wollen sie mal wissen wo das holz gelagert wird?"
"ach nö, so (achtung wortwitz) brennend interessiert mich das nicht..."
"kommen sie ruhig mit, das kostet nichts."
"wenn sie es gerade erwähnen, was kostet denn was?"
"na ja, wenn sie mich natürlich danach fragen: sie können ein wenig geld für das holz der armen spenden!"
ahhh, endlich, wir nähern uns dem voraussehbaren ende. nach nur 10 minuten, aber immerhin. auch diese abzocke mal wieder eine gelungene symbiose altindischer abgreif-riten mit neuzeitlichen absahntechniken. na ja, fast gelungen.

ich lehne dankend ab, er versucht es nochmal mit der "ich-gehöre-zur-ausgenutzten-minderheit-in-indien-und-verdiene-deshalb-vertrauen-masche" - erfolglos, die kenne ich auch schon in mehreren varianten. immerhin bleibt er freundlich und dreht ab, während ich meinen weg fortsetze. als ich mich kurz umdrehe kommen gerade neue touristen die stufen herunter, der mann bereits in position. neues spiel, neues glück.

was die zukunft bringt oder "charismatisches handaufhalten"
als ich mich in varanasi gerade wieder zu tode langweile, macht der manager meines hotels den vorschlag doch mal einen astrologen aufzusuchen. die idee finde ich gar nicht mal so schlecht - als zeitvertreib. wir dackeln also zu einem "hochangesehenen" vertreter dieser zunft in der altstadt. wir setzen uns in das winzige zimmer und warten auf den meister. leider ist mal wieder stromausfall, d.h. kein licht, kein ventilator, aber schweiß gratis. schließlich trifft er ein, ein mann mit meinen ausmaßen, und auch hier sind wir uns ähnlich - einer gewissen würdevollen ausstrahlung, raumgreifend sozusagen er fängt an, von seinem guru zu erzählen, den ashrams, seiner leitenden tätigkeit in selbigen und den sozialen taten, die er und sein guru vollbringen. langsam wird mir klar, dass jemand wie der sich bestimmt nicht mit 100 oder 200 rupien abgibt. mehr will ich aber für diesen spaß nicht ausgeben. er bietet handlesen, gesichtslesen, gegenwartsbeschreibung und als zugabe noch die vergangenheit und die zukunft an. natürlich gilt der gleiche preis für alle, ausländer wie inder, und natürlich gibt es einen sonderpreis für das gesamtpacket.

er macht eine kleine pause und versinkt kurz in einen zustand tiefster selbstbereicherung.

85 dollar ist der sonderpreis! da kann man nicht meckern, du meine güte, das ist ja richtig billig , gerade in einem so hochpreisigen land wie indien. mit soviel selbstlosigkeit habe ich nicht gerechnet. ich wende mich kurz ab, um meinen gefühlsaufwallungen herr zu werden. als ich mich wieder gefasst habe, verneine ich dankend und sage ihm, was ich auszugeben gedenke. nein, dafür kann er nicht tätig werden, es tue ihm leid, dass er mir nicht helfen könne.
"na ja" sag ich "allein schon, dass ich hier war, hat mir geholfen."
"wirklich?"
"ja, ich werde nämlich einen bericht über unsere begegnung schreiben."
"oh, wie lang wird der werden?"
"hmm, in etwa so lang wie meine beiden lebenslinien zusammen, geteilt durch meinen augenabstand mal meinem geburtstag und das natürlich in cm."

was die zukunft bringt habe ich also leider nicht erfahren, aber das gibt sich .... tag für tag.

der letzte eindruck
flughafen kalkutta, abfertigungsschalter.
ich hab's geschafft, teures hotel, essen ok (den magen vergessen wir jetzt mal), taxifahrt in ordnung. jaaa, ich werde mit einem guten eindruck indien verlassen!
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neben mir am erste-klasse-schalter:
ein schalter geöffnet, ein mann steht dort und checkt ein. hinter ihm ein geschäftsmann, jung und kräftig. nach 15 minuten fragt letzterer in arrogantem ton, ob man nicht langsam mal einen zweiten schalter aufmachen könnte, er warte jetzt schon ewig. der mann vor ihm dreht sich um und meint ebenfalls ein wenig verletztend, er solle sich nicht so haben, er sei ja gleich fertig.
so geht das ganze ein wenig hin und her, immer aufgeregter im ton, alle anderen sprachlos daneben.
schließlich sagt der mann am schalter "ohh, shut up", was so viel heißt wie "schnauze". der junge geschäftsmann springt nach vorne, stellt sich zentimeter vor dessen gesicht auf und beginnt zu brüllen, wie ich es mir eigentlich nur auf einem amerikanischen kasernenhof vorstellen konnte.
das sind die gelegenheiten für die modernen helden. jetzt dazwischengehen, alle beruhigen, abgeklärt wirken, aber gleichzeitig diese mischung aus würde und macht ausstrahlen, die alle verstummen lässt. gut, wir reden hier nicht von mir. niedergedrückt vom lähmenden gewicht meines minderwertigkeitsgefühls mache ich natürlich nichts und warte - in gedanken pfeifend - auf das ende der unappetittlichen show.
es kommt bald, aber mit dem guten letzten eindruck war's wohl nichts. schade, dann eben im nächsten leben.

© Ralf Knochner, 2004
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Die Reise
 
Worum geht's?:
. := Auf einer Enfield Bullet durch den Norden Indiens := . . Den zweiten Teil der Reise findet ihr in der Rubrik Südostasien/Laos unter "Dauerlächeln und Bombenstimmung - der Fortsetzungsroman in Südostasien". Bis jetzt ist erst der Teil über Laos fertig, Kambodscha folgt noch.
Details:
Aufbruch: Januar 2004
Dauer: 6 Monate
Heimkehr: 18.07.2004
Reiseziele: Indien
Jaipur
Udaipur
Jaisalmer
Leh
Der Autor
 
Ralf Knochner berichtet seit 20 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Ralf sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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