historisches Weserbergland - Spuren der Zeit

Reisezeit: Mai 2022  |  von Herbert S.

Hessisch-Oldendorf: Fischbeck

Das Stift Fischbeck blickt auf eine Geschichte von mehr als eintausend Jahren zurück. Es wurde von der Edelfrau Helmburg zum Seelenheil ihres verstorbenen Mannes und zweier ebenfalls bereits verstorbener Söhne als Kanonissenstift im Jahr 955 gegründet.
König Otto I., der spätere Kaiser, stellte das Stift unter seinen Schutz: er händigte Helmburg die Gründungsurkunde aus und übertrug ihr 6 Hufen (ca. 180 Morgen) Land. Im berühmten Fischbecker Wandteppich (nur bei Führungen zu sehen) wird in sechs Medaillons die Gründungslegende des Stiftes Fischbeck dargestellt.
Zu Pfingsten 1559 wurde der erste evangelisch-lutherische Gottesdienst im Stift gefeiert. Fischbeck blieb auch nach der Reformation ein adeliges „Fräuleinstift“, behielt seine alten Einrichtungen und hat sich immer wieder den Schutz des Kaisers verbriefen lassen. Der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. übernahm als Landesherr und Kaiser die Schirmherrschaft und besuchte Fischbeck 1904 zur Einweihung der restaurierten Kirche, deren Renovierung er teilweise aus seinem Privatvermögen finanziert hatte.
Somit leben seit 955 bis heute ununterbrochen Frauen an diesem Ort. Sie bilden eine christliche Lebens- und Arbeitsgemeinschaft und tragen zur Erhaltung dieses besonderen Ortes bei.

Wikipedia -Foto

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Das mächtige Westwerk der Stiftskirche macht schon von weitem auf sich aufmerksam. Der Bau der Kirche in seiner jetzigen Gestalt ist datiert auf das Jahr 1254. Zeitzeugen des Jahrhunderte gelebten Glaubens finden sich heute in der gesamten Kirche wieder: ein Tympanon aus dem 12. Jahrhundert über dem Portal im Westwerk, die wunderbar schlichte Krypta als erhaltenes Zeugnis des allerersten Kirchenbaus, das Triumpkreuz aus dem 13. Jahrhundert, die Figur der Stifterin Helmburgis, deren Legende der Wandteppich von 1583 zeigt sowie viele Details der Architektur und der Ausgestaltung der Kirche.

Führungen finden sonntags um 14.00 Uhr statt - wir sind dort und beschließen zu warten. Die Dame, die nach eigenen Angabe heute die erste Führung nach der Corona-Pause macht, ist selbst begeistert und freut sich auf die (neue) Kopie des berühmten Wandteppichs, der aus Sicherheitsgründen vor der Zerstörung inzwischen anderweitig aufbewahrt wird.

aufgrund der engen Bebauung der Umgebung muß ich zwecks Überblick des Komplexes auf das Luftbild der Webseite verweisen

aufgrund der engen Bebauung der Umgebung muß ich zwecks Überblick des Komplexes auf das Luftbild der Webseite verweisen

Als dreischiffige Basilika entspricht die Kirche anderen Kirchen hochadeliger Frauenstifte jener Zeit. Sie ist geprägt durch die sächsische Architektur mit Stützenwechsel (Säule/Pfeiler/Säule usw.), Flachdecke, Vierung und Westriegel.

Orgelprospekt mit Holzdecke

Orgelprospekt mit Holzdecke

Das älteste Bauteil ist die dreischiffige Hallenkrypta aus der Zeit um 1120. Für die aus einem Stück gearbeiteten Vierlingssäulen hat man noch kein Vorbild in anderen Kirchen gefunden.

Das Taufbecken im Chor stammt von 1615. Der Fuß ist mit vier aufsteigenden Voluten verziert. Die vier geflügelten Engelsköpfe am oberen Beckenrand sollen die Taufe bezeugen.

In einem abgetrennten Raum der Stiftskirche hängt inzwischen die Kopie eines Wandteppichs aus dem Jahr 1583, der auf sechs Bildern die Gründungsgeschichte des Stifts darstellt. Dieser Teppich inspirierte den Autor Manfred Hausmann zu seinem Legendenspiel Der Fischbecker Wandteppich (1955), welches mehrfach in der Stiftskirche in Fischbeck aufgeführt wurde.

Südlich der Kirche liegt der ehemalige Klausurbezirk. Hier befanden sich um den Kreuzhof die Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Der noch bestehende Ostflügel des Kreuzhofes ist ein Gebäude aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Wohnungen für die Stiftsdamen. Der vorhandene Westflügel ist vermutlich in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet worden. Er beherbergte einst im Obergeschoss den Schlafsaal der Nonnen und im Erdgeschoss den Kapitelsaal. Im erhaltenen Südflügel waren im Erdgeschoss Feuerstätte, Küchenräume und Refektorium. Der Kreuzgang diente als Andachts- und Prozessionsraum.

Zum Abschluß der Führung geht es in den Klostergarten.
An die Westseite des Stiftes schließen sich die Gärten an. Der Abteigarten ist nach dem Vorbild historischer Gärten gestaltet worden, eine Oase der Ruhe und Entspannung. Direkt neben dem Abteigarten hinter der Fachwerkmauer
befindet sich der Kräutergarten, der ebenfalls nach historischen Vorlagen angelegt wurde.
Die Gärten können im Rahmen der Führungen, Konzerte und Veranstaltungen besichtigt werden.

Im Klostergarten begegnen wir erstmals mit Bewußtsein einer Süntel-Buche. die eine seltene Varietät der Rotbuche darstellt. Süntel-Buchen beeindrucken durch ihre verdrehten, verkrüppelten, miteinander verwachsenen Äste und ihre sehr kurzen, drehwüchsigen Stämme.

Man sieht (15.30Uhr), dass es sich um eine umfangreiche Führung handelte, die auch zu den zahlreichen (zuviele?) Motiven führte.

Man sieht (15.30Uhr), dass es sich um eine umfangreiche Führung handelte, die auch zu den zahlreichen (zuviele?) Motiven führte.

© Herbert S., 2022
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Mein 100. Reisebericht auf umdiewelt! 16 historische Städte und acht historische Stätten sind unser Zielgebiet. Ausschlaggebend für unsere Reise war eine umfangreiche Recherche zum Thema Weser-Renaissance, ein Begriff der der Erkenntnis entstammt, dass die Bauten des 16. und 17. Jahrhunderts dieser Region zwar der Renaissance zuzuordnen sind, jedoch einen außerordentlichen Reichtum an ähnlichen Dekorationen aufweisen, die den anderen Regionen abgeht.
Details:
Aufbruch: 04.05.2022
Dauer: 14 Tage
Heimkehr: 17.05.2022
Reiseziele: Deutschland
Der Autor
 
Herbert S. berichtet seit 18 Jahren auf umdiewelt.
Reiseberichte von Herbert sind von der umdiewelt-Redaktion als besonders lesenswert ausgezeichnet worden!
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