historisches Weserbergland - Spuren der Zeit
Hameln
Für unseren ausführlichen historischen Stadtrundgang folgen wir wieder einem städtischen Flyer, nachdem wir westlich der Weser einen Parkplatz mit ganz versteckter Zufahrt ohne zeitliche Beschränkung gefunden haben.
Nach Überquerung der Weserbrücke beginnen wir am Rattenkrug in der Bäckerstr. 16.
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Haus des Patriziers Johann Rike. Erbaut 1568—1569 von Cord Tönnis, dem Baumeister, der die entscheidenden Impulse für die Hochblüte der Baukunst der Weserrenaissance gegeben hat (vgl. Detmold, Rinteln, Schwöbber, Hameln/Osterstraße 9 und Stadthagen/Rathaus). Sein Steinmetzzeichen befindet u.a. in der Bogenspitze des Portals.
Der Umbau des alten gotischen Steinhauses erfolgte schon seit 1556, wobei vor allem die Innenaufteilung „modernisiert" wurde. Das neue Haus stellte für die damalige Zeit ein Novum dar und machte Schule. Neu war schon die Geschoßgliederung: Über der Einfahrt wurde ein Zwischengeschoß mit zwei Wohnräumen eingeschoben, hinter dem sich jedoch noch ein hoher Dielenraum befand. Abwendung vom Großraumwohnen des Mittelalters (noch erhaltenes Musterbeispiel hierfür Haus Papenmarkt 2 in Minden von 1547), Hinwendung zum Stubenwohnen.
Cord Tönnis schuf eine ganz neue, strenge Fassade mit steilem Stufengiebel und damals neuartigen Voluten (s-förmige Volutenbänder mit ruhiger Kontur), welche die welschen Giebel (Halbkreisaufsätze Jörg Unkairs) ablösten. Die Steile des gotischen Giebels wird durch das scheinbare Sockelgeschoß — gleichsam als Attika — mit angedeuteter Ädikula an jeder Ecke und durch Gesimse, vor allem durch das Hauptgesims mit großer Antiqua-Inschrift (niederdeutscher Bibeltext) gemildert.
Eine weitere Neuerung im Bürgerhausbau war die hohe schmale, zweigeschossige Auslucht, die, links vor das Haus gerückt, die Gesamtfassade im kleinen noch einmal wiederholt. Die Auslucht wird erst möglich durch das neue Wohnbedürfnis, speziell durch Verlagerung der Stube von einem „Saal"-Anbau am hinteren Ende des Hauses nach vorn, an die Straßenfront. Die nach allen Seiten durchfensterte Auslucht gab der Stube helles Licht und den Bewohnern volle Straßenübersicht sowie ständigen Kontakt mit dem Gemeindeleben.
Die Auslucht des Hauses Bäckerstraße 16 ist eines der frühesten Beispiele ihrer Art im Weserraum, und Cord Tönnis hat damit eines der Merkmale der Weserrenaissance geschaffen.
Die Bäckerstr. führt direkt zum Markt, an dem das Hochzeitshaus liegt.
Es handelt sich um einen Festsaalbau, den die städtische Selbstverwaltung 1610 bis 1617 für die Bürgerschaft errichtete. Es ist ein rechteckiger Bau mit einer 43 m langen Straßenfront (15 m tief, 11 m hoch bis zum Dachansatz.) An den Stirnseiten befinden sich hohe Volutengiebel. Im Dachaufbau der südlichen Traufenseite drei stattliche Zwerchhäuser, die offensichtlich denen der Hämelschenburg nachgeahmt sind. Auch an den mächtigen Stirngiebeln wiederholen sich wie dort Doppelvoluten.
Im Erdgeschoß befanden sich einst die Ratswaage, eine Apotheke und die Weinschenke. Entsprechende Inschriften und Enbleme über den markanten Portalen der Südfront ( Rundbogenportal, die kleineren, zugesetzten von Säulen flankiert). Im Hauptgeschoß darüber ein riesiger Festsaal und im dritten Geschoß die Rüstkammer des städtischen Wehrwesens.
Die architektonische Gestaltung betont Massigkeit und Gewicht des gewaltigen dreistöckigen Baublocks und vor allem die Horizontale. Die Fenster sind schmucklos in die Wand eingeschnitten. Der Eindruck des Einheitlichen wird noch dadurch verstärkt, daß in den Rauhbändern lediglich ein Bossensteinmuster verwendet wird, das nur geringfügig in sich variiert. Es handelt sich um das gleiche Muster, mit dem auch die Wände des Südflügels der Hämelschenburg gestaltet sind.
Praktisch daneben liegt das Stiftsherrenhaus (etwas zurückversetzt) in Osterstr.
Der Name entstand durch irrtümliche Deutung der Bildwerke an der Hauptfront als katholische Heilige und weil man einem Laien solche Häufung derartiger Bildmotive nicht zutraute, sondern eben Stiftsherren. Vermutlich erbaut von dem Ratsherrn Friedrich Poppendieck 1556—1558. Das Fachwerk-Traufenhaus besaß ursprünglich vier Stockwerke, im übrigen scheint die Fassade in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Parallele: Knochenhauer-Amtshaus von 1529 in Hildesheim. Die Schnitzereien, die sich an den schrägen Konsolen, den sogenannten Knaggen, befinden, bilden das Kernstück des Bildschmuckes (Gottvater, Christus, Apostel, David, Simson, Kain und Abel und antike Planetengottheiten) und kennzeichnen das Baudenkmal auch von der Wahl der Motive her als ein Werk der Renaissance, ein Zeugnis für das Eindringen humanistischen Ideengutes. Die jetzige Anordnung entspricht wahrscheinlich nicht der ursprünglichen Bildfolge. 1969 wurde die farbige Fassung, insbesondere des Bildschmuckes, sorgfältig erneuert.
Das Nachbarhaus ist das Leisthaus, heute Museum, Osterstraße 9
Haus des Kaufmanns Gerd Leist. Erbaut 1585—1589. Baumeister Cord Tönnis, am Kamin der „Lucht" sein Meisterzeichen sowie seine Initialen. Bruchsteinbau mit Sandsteingliederungen und verputzten Wandflächen. 1973 farbig neu gefaßt. Über schlichtem Speichergeschoß bizarr ausgezackter Volutengiebel. In den Staffeln bewegte Komposition von Voluten, Facetten, Knäufen, Roll- und Beschlagwerk sowie hohe Obelisken, mit denen die Säulengliederung der Giebelfläche ausklingt.
Die Halbsäulen stehen — der antikischen Ordnung zuwiderlaufend — zwischen den Gebälkstreifen auf Luke (ebenso am Hexenbürgermeisterhaus in Lemgo). Die Gesimse bzw. Gebälke zwischen den Stockwerken haben an der Unterkante Zahnschnittornament. Die Angelpunkte darunter werden durch Löwenköpfe und Bartmannsmasken betont. Unter der Giebelkrönung ragt aus einer runden Öffnung des Beschlagwerkes ein vollplastischer Neidkopf hervor (uns begegnete ein solcher bereits am unteren Toreingang der Schaumburg). Die breite, zweigeschossige Auslucht gliedert sich durch die Gesimse der übrigen Fassade ein.
Wir folgen der Rattenspur mittels in Bronze gegossenen Kacheln im Straßenboden und laufen so den Ratten 'hinterher', denn am Ende der Osterstr. steht das Rattenfängerhaus. (heute Gaststätte)
Erst in neuerer Zeit wegen einer Inschrift vom Kinderauszug „Rattenfängerhaus" genannt. Erbaut 1602/03 für den Ratsherrn Hermann Arendes. Baumeister unbekannt. Dreigeschossiges Bürgerhaus mit fast quadratischem Grundriß. Die innere Aufteilung, u. a. 5 X 8 m großer Saal, deutet auf bewußte Repräsentation hin, desgleichen die Schmuckfülle der Fassade. Die gesamte Front wird von der Fülle kleinteiliger Zierformen des Spätstils der Weserrenaissance überwuchert, worunter die eigentliche Gliederung der Fassade fast verschwindet. Durchlaufende Bänder mit kerbschnittartigen Bossenquaderverzierungen wechseln sich mit glatten Schichten ab, während die Vertikale durch eine Pilastergliederung, die sich jedoch nicht bis in die Giebelfläche fortsetzt, betont wird. Über den Pilasterkapitellen, die in jedem Stockwerk einer anderen Ordnung angehören, ragen jeweils Bartmannsbüsten hervor, welche denen der Hämelschenburg genau gleichen. Man beachte, wie überlegt bei aller Asymmetrie die Lisenen angeordnet sind, links die Auslucht umrahmend, rechts eine Art Risalit bildend. Von dem klassizistischen Einschlag des Cord Tönnis ist vor allem in dem Volutengiebel nichts mehr zu spüren. Der Giebelumriß ähnelt dem Giebeltyp von Schloß Bevern.
Auf dem Rückweg zum Markt sehen wir uns noch das Rieke-Haus in der Osterstr. an. Der Bau wurde für den Ratsherren Jost Rike 1576 erbaut, der aus einer der ältesten Patrizierfamilien Hamelns stammt.
Dreigeschossiger, giebelständiger Massivbau. Besonderheit ist das Vorhandensein von zwei Ausluchten. Die Giebelaufbauten der Utluchten wurden nachdem Ausbau des 2. Obergeschosses entfernt.
Das Tor ist mit Diamantquadern versehen. Die Fassade ist durch
rechtwinklige, farblich abgesetzte Wandstreifen gegliedert. Der Rollwerkgiebel zeigt bereits beschlagwerkartige Volutenbänder mit Kugelverzierung und Obelisken. Die Enden der Voluten krümmen sich sichelförmig frei nach außen. Die Giebelfläche wird durch rechtwinkliges Wandstreifenmuster (Lisenen) gegliedert. In der Giebelspitze befindet sich plastischer Neidkopf.
Am Hochzeithaus angekommen biegen wir nach Norden ab bis zum die Altstadt umrundenden Wallstraßenring.
Im 14. Jh. war die Stadt befestigt durch mehh als 20 Wehrtürme. Der Haspelmathturm stammt aus dem 15. Jh. und ersetzte das Westtor. Mit dem Ausbau der Festung im 17. Jh. verloren die mittelalterliche Stadtmauer und die Wehrtürme ihre Bedeutung. Auf Befehl Napoleons erfolgte dann im 18. Jh. die Schleifung der Festung, von der nur die beiden Türme erhalten blieben. Sie wurden von einem Privatmann (Haspelmath) erworben und in eine Galerie umgewandelt.
Zurück am Markt schauen wir uns noch das Dempterhaus an.
Erbaut für den Bürgermeister Tobias von Deventer oder Dempter 1607/08. Baumeister unbekannt.
Zwei Stockwerke in Haustein mit Zierquaderbändern, die sich mit glatten Streifen abwechseln. Rundbogenportal, darüber Wappenpaar. Das dritte Geschoß und der Giebel in reichgeschnitztem Fachwerk. Aber auch, wenn ursprünglich Stein und Holz farbig bemalt waren, so harmonisieren Unter- und Oberbau nicht miteinander, zumal die elegante Auslucht mit ihrer bizarren Bekrönung das Uneinheitliche der Fassade noch verstärkt. Vorbild könnte die Kombination von Fachwerk und massivem Steinbau im Schloßhofe Bevern gewesen sein. Nischenfigur der Auslucht neueste Zutat.
Fischpfortenstraße
Die Fischpfortenstraße wurde als „visportenstrate" 1386 erstmals erwähnt. Sie führte ursprünglich zu einer der beiden Fischpforten der Stadtmauer, die Zugang zur Weser boten. Außerhalb der Mauer befand sich der Anlegeplatz für die Weserschiffe. Hier wurden die für Hameln bestimmten Waren abgeladen. Aber auch die weiterfahrenden Schiffe mussten ihre Waren erst einmal ausladen, um das berüchtigte „Hamelner Loch" passieren zu können. Eine Aussparung am unteren Weserwehr, an dem die Schiffe herabgelassen oder heraufgezogen wurden. Bis zum Bau der ersten Schleuse auf dem Werder 1732-1734 war dies die einzige Möglichkeit, den durch die beiden Wehre gebildeten Höhenunterschied der Weser zu überwinden.
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Wilhelm-Busch-Haus
In diesem Haus in der Fischpfortenstraße war Wilhelm Busch manchmal zu Gast. Seine Verwandten hatten 1847 hier eingeheiratet. Das Gebäude wurde um 1560 errichtet. Die unteren zwei Geschosse waren ursprünglich in der älteren Ständerbauweise errichtet. Um 1850 wurde die Fassade rn Stockwerksbauweise neu gestaltet. Das Fachwerk des Hauses weist reiche Verzierungen auf. Die Füllhölzer und Schwellen sind durch mit Perlstäben besetzte Taubänder verziert. Das Wilhelm-Buschhaus wurde 2013/2014 aufwendig umgebaut.
Bürgerhaus
Dieses im Jahre 1560 durch die Ratsherrenfamilie Hollenstedt erbaute dreigeschossige Eckhaus in der Kupferschmiedestraße ist ein Schmuckstück der Hamelner Altstadt: Das Haus weist reiche Varianten des Rosettenmotivs auf. Die Füllhölzer zwischen den Balkenköpfen sind mit Taubändern geschmückt. Waagerechte Fachwerkhölzer, die Riegel, tragen ein wulstförmiges Profil, das in „Ankern" ausläuft. So wird optisch der erforderliche Zusammenhalt des Gefüges hergestellt.
Das Lückingsche Haus in de Wendenstr. 8 ist ein geibelständiges dreigeschossiges Haus der Spätrenaissance mit abknickender Durchgangsdiele. 1638 mit besonders reichem Fachwerkschmuck ausgestattet, ist es mit Psalm 127 aus der Lutherbibel geschmückt.
Das Bonifatius-Münster - erbaut auf der durch Brand zerstörten Kirche des 9. Jh. - wurde im 13./14. Jh von einer romanischen Basilika zu einer gotischen Hallenkirche umgebuat und erweitert.
Nach Abschluß des Stadtrundgangs fahren wir auf den Hamelner Hausberg Klüt zum Klütturm, der über 200m über der Stadt liegt.
Er gehörte zu den Befestigungsanlagen auf dem Klüt, auch Fort George oder Klütfestung genannt. Die Ende des 18. Jahrhunderts errichteten Anlagen bestanden aus vier Forts. Sie dienten dem militärischen Schutz der auf dem gegenüberliegenden Ufer der Weser gelegenen Festung Hameln. Hameln wurde damit zur stärksten Festung des Kurfürstentums Hannover und galt Ende des 18. Jahrhunderts als das „Gibraltar des Nordens“. Einem Dekret Napoleons folgend, wurden im Jahr 1808 die Wehranlagen auf dem Klüt und die der Stadt Hameln geschleift.
besseres Bild auf URL
Von hier hat man einen vollständigen Blick auf die Stadt Hameln,
da die Klüterhebung im Prinzip ein Bergsporn ist, kann man nach beiden Seiten Ausschau halten.
Aufbruch: | 04.05.2022 |
Dauer: | 14 Tage |
Heimkehr: | 17.05.2022 |