Test the West

Reisezeit: Dezember 2011 - Januar 2012  |  von Stefan O.

Der lange Weg nach Maradi

Donnerstag, 29.12.2011

Als der Nachtportier an meine Zimmertür klopft, gerate ich in Panik. Sollte ich etwa verpennt haben? Nein, es ist 3:50 Uhr, was macht der Kerl also hier? Aha, mein Taxi ist da. Eine halbe Stunde zu früh. Muss noch duschen und packen. Als ich dann allerdings etwa 20 Minuten später nach draußen komme, wird gerade noch das Hinterrad des Toyotas fest geschraubt und dann eiern wir sprichwörtlich zum Busbahnhof.
Das Prozedere kenne ich noch aus Ouagadougou: Erst kommt der Aufkleber auf den Rucksack, dann werden die Leute einzeln in den Bus gerufen und müssen ihr Ticket zeigen, welches wiederum nur gegen Vorlage des Passes ausgestellt wurde. Es gibt einem das Gefühl einer gewissen Sicherheit, in Zeiten in denen lustig in der Gegend rumgebombt wird. Dieses Gefühl ist allerdings schnell verflogen, als ich meinen Rucksack vor dem falschen Bus erblicke, zusammen mit dem Gepäck anderer Maradi-Fahrgäste, die nun lautstark protestieren. Das fehlte jetzt noch: Ich in Maradi, mein Rucksack in Agadez.
Lautstark zu protestieren scheint hier aber auch irgendwie eine Tugend zu sein, denn als die ersten zehn Passagiere im Bus sitzen, fuchteln ein paar aufgebrachte Frauen hektisch mit ihren Tickets herum und wollen nun auch einsteigen. Warum die ausgerechnet jetzt glauben, den Vortritt zu haben kann ich nicht verstehen, sie sprechen Hausa. Irgendwann schimpfen alle und am Schluss wird wieder gelacht und die von mir schon befürchtete Massenpanik bleibt aus.
Der Bus rast mit Vollgas durch die Nacht. Alles was nicht bei drei auf den Bäumen ist, wird gnadenlos weg gehupt. Die Straße ist bis Birni-N'Konni ganz okay. Hier machen wir eine kurze Rast. Ich hole mir ein Sandwich und ein paar Bananen von Straßenhändlern. Dann geht's mit unvermittelter Geschwindigkeit weiter Richtung Osten. Viele traditionelle Hausa-Dörfer fliegen an uns vorbei. Ich sitze am Fenster auf einer Dreierbank, neben mir eine Frau mit drei kleinen Kindern, von denen zwei auf dem mittleren Sitz pennen und mich als Kopfkissen missbrauchen. Die Mama versucht sie immer wieder auf die andere Seite zu schieben und ist sichtlich erleichtert, als ich ihr klar mache, dass es mir nichts ausmacht.

Traditionelle Hausa-Dörfer

Traditionelle Hausa-Dörfer

Mir fällt auf, dass in dieser eintönigen und verlassenen Gegend vor allem eines im Überfluss vorhanden ist: Müll - besonders diese schwarzen Plastiktüten. Ob jung, ob alt, niemand kommt auf die absurde Idee, dass man seinen Müll ja auch woanders als in der Landschaft entsorgen könnte. Da geht das Fenster auf, Plastiktüte raus, Fenster wieder zu; so einfach ist das. Was bei uns Empörung hervor ruft, ist hier die Regel und keiner schert sich drum. Was außer den Plastiktüten noch überall herumliegt sind Reifenteile, hauptsächlich von Lkw oder Bussen. Die Verschleißgrenze eines Reifens ist genau dann erreicht, wenn der Reifen kaputt ist. Und da, wo er kaputt ging, bleibt er dann auch liegen.
... denke ich mir noch so, als Teile des rechten Hinterreifens gegen den Radkasten des Busses schlagen. Mist! Das wird uns jetzt mindestens eine Stunde zurück werfen. Die Leute steigen aus, nutzen diese unfreiwillige Rast als Pinkelpause oder zum Beten. Zum Glück ist es der äußere der Zwillingsreifen. Der Reservereifen wird aus dem Kofferraum befreit und mit einer unglaublichen Routine und Geschicklichkeit von der Buscrew binnen zwanzig Minuten auf die Hinterachse geschraubt. Wow, das war fix.

Unfreiwillige Pause

Unfreiwillige Pause

Als alle wieder im Bus sitzen, tauchen drei unterernährte Kinder aus dem Nichts auf. Keine Ahnung, wo die so plötzlich herkommen. Bis zum Horizont gibt es kein Dorf, kein Haus und keine Hütte, nur Sand und ein paar kümmerliche Sträucher. Fahrgäste werfen Essensreste aus dem Busfenster, die gierig von den hungrigen Kindern gegriffen werden. Sie schlagen sich förmlich darum. Es sind diese Anblicke, die man auf solchen Reisen gern ausblenden mag. Aber ich wollte es ja unbedingt so - das authentische Afrika abseits geführter Massen, ungefiltert und unverfälscht und einmal mehr wird mir vor Augen geführt: Afrika ist eben doch nicht nur Zebras vorm Sonnenuntergang.
Ich hoffe, dass der "neue" Reifen bis Maradi durchhält, denn der sieht noch schlimmer aus als der erste. Er schafft es und am späten Nachmittag erreichen wir die drittgrößte Stadt des Landes. Mir fällt gleich auf, dass die Leute hier unglaublich freundlich sind. Sogleich eilt ein Okadamann herbei. Wenig später sitze ich auf dem Rücksitz eines Motorrades und lasse mich zum Hotel Jangorzo befördern. Wie habe ich sie vermisst - die Okadas, kleine 125er Motorrad-Taxis, die eigentlich überall verfügbar sind und einen für schmales Geld an nahezu jeden Ort der Stadt bringen. Ich kenne sie aus Kenia, dort werden sie Boda-Boda genannt. Im Hotel bietet man mir ein Einzelzimmer für 24000 CFA an. Das ist eindeutig zu viel. Ich frage nach einem günstigeren, vielleicht auch einfacheren und plötzlich ist noch eines für 17000 CFA da.
Das Hotel ist nett angelegt. Es besteht aus mehreren Reihen von kleinen Bungalows mit Terrasse. Jedes ist ausgestattet mit Klimaanlage, Moskitonetz und einem Bad mit Wanne und Warmwasser. Allerdings ist es total herunter gekommen. Mir ist klar, dass hier andere Standards gelten als bei uns, aber muss man das denn so verkommen lassen? Naja, ist ja nur für eine Nacht aber duschen tue ich nur in Badelatschen.
Ich mache meinen obligatorischen Rundgang durch die Stadt. Das Zentrum bildet der Marktplatz des Grand Marché. Markttag ist Montag und Freitag. Kaum zu glauben, dass auf dieser Müllhalde morgen ein Markt entsteht. Ansonsten ist alles wie gehabt und man ist schnell durch. Die Leute sind super nett und die jüngeren haben immer ein freundliches Bonjour auf den Lippen.

Straßenszenen in Maradi

Straßenszenen in Maradi

Ich habe Hunger und außerdem muss ich mit einem Bier den Staub von meiner Zunge spülen. An einem erzkonservativ islamischen Ort wie diesem hat man dazu nicht allzu viele Möglichkeiten. Zwar hat mein Hotel auch eine Bar, an der Bier verkauft wird, jedoch will ich auch etwas essen und ich habe irgendwie die Befürchtung, dass hier die Küche aussieht wie das Bad in meinem Zimmer. Also schwinge ich meinen Hintern auf ein Okada und lasse mich vor dem Maradi Guesthouse absetzen. Das ist hotelmäßig die erste Adresse hier, allerdings nicht budgetmäßig. Ich gönne mir mal eine Pizza, hatte ich schon ewig nicht mehr, und ein Bière Niger.
Auf dem Rückweg laufe ich an einer Gruppe fußballspielender Kinder vorbei. Die grüßen mich und freuen sich wie Bolle, als ich ein bisschen mit kicke. Dann will mir jeder noch die Hand geben. Irgendwie ist mir diese Stadt sympathisch, vielleicht auch deswegen, weil ich nicht viel erwartet habe. Ich würde vielleicht sogar noch einen Tag länger bleiben, aber ich habe schon genug Zeit verloren. Später allerdings, wird es sich als taktisch klug erweisen, wäre ich einen Tag später in Nigeria eingereist.

Das letzte Biére Niger

Das letzte Biére Niger

© Stefan O., 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
"Burkina Faso - Ist da irgendwas?", "Wo liegt Niamey?" und "Ist Lagos nicht die gefährlichste Stadt der Welt?" Diese und andere Fragen wurden mir gestellt, bevor ich los zog um nach Antworten zu suchen. Das Motto: "Travel and see"
Details:
Aufbruch: 13.12.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.01.2012
Reiseziele: Burkina Faso
Niger
Nigeria
Togo
Ghana
Der Autor
 
Stefan O. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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