Test the West

Reisezeit: Dezember 2011 - Januar 2012  |  von Stefan O.

Niameys Nachtleben

Dienstag, 27.12.2011

Da ich ja nun wirklich alle Sehenswürdigkeiten von Niamey und Vororten durch habe, konzentrieren sich meine Aktivitäten nun eher aufs Nachtleben der Stadt. Und da lernt man so allerhand durchgeknallte Gestalten kennen. Zu den Best-of gehören zweifelsohne DJ Sako und sein Bruder. Die beiden habe ich durch Karim kennengelernt, welcher wiederum DJ im Maestro ist. Sako ist Tunesier, Multitalent und einer der angesagtesten DJs der Stadt, daneben arbeitet er noch für Rundfunk und Fernsehen. Davon kann man offensichtlich ganz gut leben. Er wohnt in einer kleinen Villa im beliebten Château Un, hat ein eigenes Auto und ist zu 80 Prozent bekifft. Sako spricht fließend Englisch, Französisch und Spanisch. Letzteres, weil er mit einer Spanierin verheiratet ist. Er hat sogar 'ne Zeit lang in Barcelona aufgelegt. Arabisch spricht er natürlich auch, allerdings ungern, denn er hat dann immer das Gefühl, etwas zu verbergen. Karim und Sako sind Kontrahenten und Kollegen zugleich. Ständig reimen sie irgendwas und quatschen darüber, wie man welche Tunes wie zusammen mixen kann.

Den gestrigen Abend habe ich mit Karim, Sako und seinem Bruder auf dessen Terrasse verbracht. Da machte dann ein Spliff nach dem anderen die Runde und Sako meinte noch, ich könne jetzt zuhause erzählen, ich hätte mit DJ Sako 'nen Joint geraucht. Naja - ich bezweifle nur, dass dort wo die Leute nicht einmal wissen, wo Niamey liegt, jemand weiß wer Sako ist. Sein Bruder war ziemlich seltsam drauf, irgendwie so hyperaktiv. Sako vermutet, der hätte sich was durch die Nase gezogen. Später haben die mich noch nach Hause gefahren, am Steuer saß der bekifftere Bruder, also der, der wahrscheinlich auch gekokst hat. Mann Mann... Dann gab's noch ein kleines kulturelles Missverständnis: Ich hab mich an der Hauptstraße rausschmeißen lassen, man will ja keine Umstände machen. Die haben das aber so gedeutet, dass ich ihnen nicht zeigen will, wo ich wohne, weil ich ihnen nicht traue oder so. Ist natürlich totaler Quatsch, von diesen bekifften Clowns hab ich ganz sicher nichts zu befürchten.

Einigermaßen erholt stehe ich heute recht früh auf. Bin gut gelaunt, denn am Montag habe ich von meinem nigerianischen Kumpel Francis die freudige Botschaft bekommen, dass ich morgen mein Visum abholen kann. Das muss natürlich gefeiert werden und deshalb habe ich mich mit Ibrahim verabredet, heute Abend um die Häuser zu ziehen.

Die frohe Botschaft aus der Botschaft

Die frohe Botschaft aus der Botschaft

Vorher muss ich allerdings nochmal ins Grand Hôtel, mein Flugticket stornieren, Emails checken und vor allem die News aus Nigeria durchforsten. Die blutigen Aktivitäten der so genannten Boko Haram Sekte hatte vorgestern etwa 40 Todesopfer gefordert, nach dem in vier Städten Nordnigerias mehrere Bomben in christlichen Einrichtungen hochgegangen sind. Da macht man sich so seine Gedanken.

Offiziell kämpft die Boko Haram seit Ende des vergangenen Jahrzehnts für die Islamisierung des Landes. Die Muslime, die etwa die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, leben überwiegend im weniger entwickelten Norden, die Christen im politisch einflussreichen Süden. Was auf den ersten Blick nach blutrünstigen Taten von verblendeten Geisteskranken aus der Steinzeit aussieht, ist für viele Beobachter jedoch politisch motiviert. Mit den Anschlägen weist man nämlich der Regierung um den aus dem Nigerdelta stammenden Präsidenten Goodluck Jonathan Handlungsunfähigkeit aus und schürt Unruhe unter der Bevölkerung. Sollte die Regierung kippen, ist der Weg frei für einen Mann aus dem Norden. Überflüssig zu erwähnen, dass die Serie feiger Mordanschläge auch von der muslimischen Bevölkerung verurteilt wird.

Viel Aktuelles kann ich den Nachrichten aus dem Netz jedoch nicht entnehmen. Die Sicherheitslage im Norden ist nebulös, niemand weiß, wann und wo die Sekte wieder zuschlägt. In Kano wurde zwar eine Gruppe von Terroristen verhaftet, ob das aber gut oder schlecht ist, kann man nur erahnen. Erschwerend hinzu kommt, dass man in Kano besser in den von Christen bewohnten Gebieten unterkommt, denn wo Kirchen sind, ist auch das Bier nicht weit. Kirchen und Bier sind aber Teufelszeug und müssen unbedingt weg gesprengt werden. Ich bin bei meiner Entscheidung also weitgehend auf mich gestellt. Ich entscheide: travel and see!

Als ich im L'Invasion aufschlage, treffe ich Sako wieder. Er sitzt an einem Tisch zusammen mit ein paar Leuten, unter denen auch ein älterer Franzose ist. Sako bespricht irgendwas Geschäftliches, bittet mich aber mit an den Tisch. Eine Bierlänge später gehe ich nach hinten in den Garten, wo Ibrahim schon auf mich wartet. Irgendwann kommt Jamar dazu, ein kräftiger Rastamann mit nigerianischen Wurzeln. Jamar ist ein Kumpel von Ibrahim und als er hört, dass ich demnächst Richtung Nigeria aufbreche, rät er mir davon ab, erzählt allerhand Horrorgeschichten; doch mein Entschluss steht fest, jetzt erst recht. Wir trinken ein, zwei Bier und dampfen einen. Dann beschließen Ibrahim und ich, im Maestro einzukehren.

Am Plattenteller: mein Kumpel Karim und er legt 'nen ziemlichen Scheiß auf: 80er Jahre Discomucke und so Zeugs. Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich die Zeitmaschine betreten habe, mit der ich hier gelandet bin, muss wohl kurz nach dem ersten Spliff gewesen sein. Ibrahim tanzt sich die Seele aus dem Leib. Würde ich auch machen, habe aber vergessen wie man sich zu diesen Geräuschen bewegt.

Wir ziehen weiter, mit dem Taxi in die City. Erst zum La Cloche, wo wir an der Tür von so 'nem lustigen Liliputaner begrüßt werden. Später kommt er dann zu uns an den Tisch, fragt ob wir was zum ficken brauchen und pfeift schon 'n Mädel heran. "Nein, zufällig gerade nicht", antworte ich, "aber ein Bier könnten wir gut vertragen". Später gehen wir noch in einen anderen Club um die Ecke, geben dem Abend hier noch den letzten Schliff. Wenigstens wird hier anständige Mucke aufgelegt: ghanaischer Highlife, wenn ich das richtig einordne.

Ibrahim ist ziemlich dicht und nun ist er irgendwie verschwunden, wollte sich eigentlich nur was zu essen holen. Naja, der wird schon wieder auftauchen. Ich fahre mit dem Taxi zurück in mein Hotel. Dort wird noch mal mein Gleichgewichtssinn auf die Probe gestellt, als ich so gegen vier Uhr über den Nachtportier steigen muss, der hinter dem Tor auf einer Decke vor sich hin grunzt und eigentlich aufpassen soll, dass hier niemand unbefugt auf das Gelände kommt. Hatte nicht das Gefühl, dass er mich bemerkt hat.

© Stefan O., 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
"Burkina Faso - Ist da irgendwas?", "Wo liegt Niamey?" und "Ist Lagos nicht die gefährlichste Stadt der Welt?" Diese und andere Fragen wurden mir gestellt, bevor ich los zog um nach Antworten zu suchen. Das Motto: "Travel and see"
Details:
Aufbruch: 13.12.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.01.2012
Reiseziele: Burkina Faso
Niger
Nigeria
Togo
Ghana
Der Autor
 
Stefan O. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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