Test the West
Auf nach big bad Lagos
Montag, 02.01.2012
So ein Inlandsflug in Nigeria hat was vom Charme der 80er Jahre, als man auch auf Kurzstrecken etwas zu essen bekam, die Stewardessen jung und attraktiv waren und die Erklärung der Sicherheitseinrichtungen nicht vom Band lief, sondern live vorgeführt wurde. Dazu passend: die Fokker 100 in der ich sitze und deren vergilbtes Plastikinterieur Geschichten erzählt.
Die beim Landeanflug auf eine Stadt wie diese üblicherweise akut auftretende Nervosität will sich bei mir heute irgendwie nicht so richtig einstellen. Ich weiß auch nicht wieso. Die Megacity begrüßt mich mit schwül warmem Wetter bei bedecktem Himmel. Später werde ich herausfinden, dass der Harmattan für die eingetrübte Sicht verantwortlich ist - ein Passatwind, der in der Trockenzeit zwischen Januar und März jede Menge an feinsten Sand- und Staubpartikel aus der Sahara in diese Gebiete transportiert und einen nebelartigen Schleier über diesen Teil dieses Kontinents legt. Kommt es ganz dumm, kann der Harmattan ganze Flughäfen lahm legen, ernsthafte Ernteschäden verantworten und er soll sogar durch die im Staub enthaltenden Mikroorganismen die Gesundheit beeinträchtigen können.
Ich befinde mich im Inlandsterminal des Murtala Mohammed Airports (MMA2), das nach einem Brand im alten Terminal vor gerade einmal fünf Jahren eröffnet wurde. Dementsprechend modern und gepflegt geht es hier zu. Das war nicht immer so. Vor allem das internationale Terminal MMA1 war in den 80er und 90er Jahren weltweit für seine katastrophale Sicherheitslage berüchtigt. Passagiere wurden in- und außerhalb des Flughafengebäudes von Kriminellen belästigt. Es wurden sogar Flugzeuge auf dem Rollfeld angehalten und ausgeraubt. Ein Übriges taten die Beamten, die Schmiergelder und Phantasiegebühren von den Einreisenden kassierten. Das ganze ging soweit, dass die US-amerikanische Luftfahrtbehörde Flüge zwischen den USA und Lagos einstellen ließ und die Einreise nach Nigeria über den Flughafen Kano empfahl. Erst der damals frisch gewählte Präsident Obasanjo konnte die Situation im Jahre 1999 durch die so genannte Shoot-on-Sight-Strategie in den Griff bekommen. Jeder, der unbefugt im Sicherheitsbereich gesichtet wurde, wurde polizeilich entfernt, manchmal eben auch mehrfach gelocht.
Ich nehme mir ein Taxi in den Stadtteil Surulere, einem einfachen Wohnviertel auf dem Festland. Der Preis für die Tour: 5000 Naira, etwa 25 Euro. Sicher habe ich mich wieder einmal übers Ohr hauen lassen, dafür werde ich im großzügigen Fond eines klimatisierten Toyota Camry an mein Ziel befördert: das Jack Andella Hotel in der Ijesha Road, eine Empfehlung von einem finnischen Gleichgesinnten aus dem Lonely Planet Forum. Allein der Weg dorthin gibt einen imposanten Überblick über die gigantischen Ausmaße der zweitgrößten Stadt Afrikas. Zwischen zwölf- und zwanzigmillionen Einwohner leben hier - so genau weiß das keiner - auf einer Fläche von der Größe Schleswig Holsteins. Es gibt Schätzungen, nach denen diese Metropole in naher Zukunft zur drittgrößten Stadt der Welt heranreift. Lagos ist ein Mythos, eine Stadt der Superlative und voller Gegensätze. Sucht man im Netz nach aktuellen Informationen über diesen Ort, stößt man auf schwülstige Presseartikel über Leichensammler, stinkende Slums und kollabierenden Straßenverkehr.
Die internationale Bedeutung des einstigen Fischerdorfes ist unter den Lesern der virtuellen Käseblätter weniger bekannt. Lagos besteht aus mehreren Inseln im Atlantischen Ozean und ist im Laufe der jüngsten Geschichte immer mehr in das Festland hinein gewachsen. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist vor allem Victoria Island, kurz VI, Finanz- und Bankenzentrum des Landes und Sitz zahlreicher internationaler Unternehmen. VI, bereits im späten 19. Jahrhundert mit Eisenbahnanbindung, Telefonnetz und Straßenlaternen ausgestattet, zog zahlreiche ausländische Investoren an. Noch mal: Wir sprechen von einer zentralafrikanischen Großstadt um das Jahr 1890! In den 1950er Jahren sollten sogar unter heftigen Protesten Einwohner VIs zugunsten wohlhabender europäischer Geschäftsleute aufs Festland umsiedeln - nach Surulere.
Und während ich genau dort aufschlage, kommen mir Zweifel, ob ich nicht etwas zu dick auftrage, als ich den Rücksitz meines üppigen Gefährts verlasse und durch das von einem bewaffneten Wachmann behütete Tor des Jack Andella Hotels marschiere. Die Autoren des angesehenen Individualreiseführers Lonely Planet scheinen sich in diese Zonen nicht zu verirren. Die einzig noch existierende Budget-Option im Westafrika-Reiseführer von 2009 ist das YMCA Hostel auf Ikoyi Island. Da Berichten zufolge in dessen Klosetten die Scheiße höher steht als die Brille, waren Alternativen gefragt. Andere auf den Inseln genannte Optionen befinden sich in der 100-Dollar-Klasse, in VI auch deutlich darüber. Das Festland ist also ein weitgehend rotes Tuch, sogar unter Individualtouristen. Völlig zu Unrecht, wie ich feststellen muss. Mein Hotelzimmer - mit 5500 Naira eines der teureren in diesem Hotel - entpuppt sich als das komfortabelste meiner bisherigen Reise. Ich habe ein eigenes Bad mit Brause und WC, einen Kühlschrank, TV und Klimaanlage - und die zu deren Funktion unabdingbare aber hierzulande beileibe nicht selbstverständliche 24-stündige Stromversorgung aus dem hauseigenen Generator. Einziger Wermutstropfen: Die zentrale Lage in diesem Viertel verursacht einen gewissen Geräuschpegel. Das komfortable Bett lädt mich dennoch zu einem Nickerchen ein.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
Niger
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