Test the West
Weihnachten mit den Giraffen
Sonntag, 25.12.2011
Wer sich dem alljährlichen Stresstest zu Weihnachten entziehen will, wem die Verpflichtungen, die Kauforgien, die überfüllten Weihnachtsmärkte und die vorgetäuschte Nächstenliebe aufs Gemüt schlagen, der findet in Niamey eine Oase der Sinne, ja einen regelrechten Kurort - Bad Niamey, gewissermaßen. Den gestrigen Heiligabend habe ich ganz entspannt im L'Invasion zusammen mit einem gemischten Publikum aus gestrandeten Christen und partywütigen Muslims gefeiert. Anstatt Stille Nacht wurde lässige Tuareg-Mucke und später dann tanzbarer Reggae aufgelegt. Prisca, die Kellnerin, lief die ganze Zeit mit so 'nem albernen Zauberhut rum und verteilte gegen Mitternacht Konfetti auf den Köpfen der verblüfften Gäste. Hatte mehr was von Karneval als von Heiligabend. Wer aber nicht ganz auf die heimischen Rituale verzichten mag, konnte sich an diesem jämmerlichen Plastik-Weihnachtsbaum ergötzen, der auf dem Tresen vor sich hin oxidierte.
Es ist zirka 7:30 Uhr, als mich Ibrahim und unser Fahrer vom Hotel abholt. Unser Safarifahrzeug: ein total ramponiertes Starlet-Taxi. Ich steige hinten ein, damit ich meinem Tod nicht direkt ins Auge sehen muss, wenn's knallt. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich später herausstellt, denn die Rückbank ist dermaßen durchgesessen, dass ich praktisch auf dem Blech sitze und jeder Schlag ungedämpft auf meine Bandscheiben übertragen wird.
Das Dachzeichen des Taxis ist bereits entfernt. Jetzt muss allerdings noch die Taxi-Nummer, die auf jeder Seite des Fahrzeugs steht, mit Tape abgeklebt werden. Weil die Taxilizenz nur innerhalb der Stadtgrenzen gilt, wenn ich das richtig verstanden habe. An der Stadtgrenze gibt es einen Kontrollposten, an dem die Papiere kontrolliert werden. Ich hoffe, die wollen nicht meinen Pass sehen, der gerade in irgendeiner Schublade im Gebäude der nigerianischen Botschaft einstaubt. Die asphaltierten Straßen sind mautpflichtig. Nach knapp zwei Stunden sind wir in Kouré. Die Amis hätten ihre wahre Freude an diesem Trip, das hatte irgendwas von Bullenreiten.
Während Ibrahim im Kassenhäuschen das Geschäftliche regelt, versuche ich meine Knochen zu sortieren und überprüfe meine Gliedmaße auf Vollständigkeit. Dann schaue ich mir den Hobel hier mal genauer an. Dieses Exemplar hat's besonders erwischt. Stoßstange, Auspuff und andere überflüssige Anbauteile sind mit Draht befestigt, Ein Band verhindert, dass sich der Kofferraum während der Fahrt öffnet. Der Klassiker: die spinnennetzartigen Risse in der Frontscheibe mit Zentrum in Kopfhöhe des Beifahrers. Für den Fall, dass man ein Fenster schließen möchte, liegt noch eine Kurbel in der Mittelablage bereit. Einen Gurt gibt es auf keinem Sitzplatz. Dass die Rücksitzbank faktisch ohne Funktion ist, hatte ich ja schon erwähnt. Wirklich Sorge bereitet mir allerdings die Tatsache, dass beide Hinterräder mit nur je drei Schrauben befestigt sind. Man beachte auch die ungewöhnliche Neigung des linken Vorderrades, vielleicht auch der Grund dafür, dass das so eiert während der Fahrt. Ich versuche zu erahnen, wo mal das Reifenprofil war, gebe aber dann auf.
Ibrahim ist inzwischen fertig und kommt zusammen mit einem Führer, der ist hier obligatorisch, wieder aus dem Kabuff. Dann geht's weiter, zunächst noch auf der Hauptstraße. Irgendwann lotst uns der Führer nach links in die Pampa. Dann setzt er sich auf die Beifahrertür und nimmt die Fährte auf. Er fuchtelt mit einem langen Stock von außen vor der Windschutzscheibe herum und weist so dem Fahrer den Weg. Offensichtlich sucht er nach Giraffenkacke und Fußspuren. Er fragt auch einige Leute; ja, in dieser lebensfeindlichen Umgebung wohnen auch Menschen. Irgendwann kommen wir in ein Dorf. Das letzte, bevor viele Kilometer nur noch Steppe kommt, wie ich erfahre. Am Straßenrand wird Benzin in 1-Liter-Flaschen verkauft und unser Fahrer beschließt, den gesamten Bestand von zehn Litern aufzukaufen. Während der Sprit Flasche für Flasche via Trichter im Tank des Toyotas landet, versucht unser Führer im Gespräch mit den Dorfleuten herauszufinden, wo die verdammten Giraffen stecken.
Offensichtlich bekommt er einen Tipp, denn nun wenden wir und biegen nach ein paar hundert Metern nach links ins Nichts ein. Dann tauchen ein paar Kinder auf einem Esel auf. Die Kids werden hier schon mit zehn oder elf Jahren mit einem Esel oder Eselkarren losgeschickt um irgendwelches Zeug zu holen. Die Jungs sagen, sie hätten gerade wenige Meter von hier zwei Giraffen gesehen. Wir fahren ein Stück weiter und dann...
Wow! Sie sind wirklich wunderschön. Diese zwei sind Mutter und Tochter. Ich habe ja schon viele Giraffen in Kenia gesehen, aber diese hier sehen ganz anders aus, sie sind viel heller und fügen sich so in die sandfarbene Landschaft ein. Diese Unterart nennen Wissenschaftler "Giraffa camelopardalis peralta" und die zwei hier gehören zu den wenigen überlebenden. Ihre Zahl wird von Einheimischen auf inzwischen 300 geschätzt. Wegen der Zerstörung ihres Lebensraums und infolge von Wilderei waren sie in den frühen 90er Jahren einmal fast völlig ausgestorben. Wir steigen aus dem Fahrzeug. Die Giraffen scheinen an den Menschen gewöhnt zu sein, jedoch halten sie einen Respektabstand von vielleicht 20 Metern ein. Kommt man ihnen zu nahe, hauen sie ab. Unser Führer weiß genau, aus welchem Winkel man sich ihnen nähern muss.
Wo einer ist, da sind noch mehr, denkt sich wohl unser Führer und wir fahren noch ein Stück weiter. Dann fängt der Toyota an zu stottern. "Wohl was mit dem Schwarzmarkt-Sprit nicht in Ordnung", diagnostiziere ich. Doch der Fahrer öffnet die Haube, wackelt an einem ganz bestimmten Zündkabel und schon läuft der Hobel wieder wie frisch geölt. Leider wollen sich aber nun die Räder nicht mehr aus dem Sand lösen. Ibrahim, unser Guide und ich steigen aus und schieben den Karren sprichwörtlich aus dem Dreck.
Dann noch eine Giraffe, noch eine und noch eine. Wir halten an und steigen aus. Zum Schluss zähle ich 24 dieser imposanten Tiere. Das sind sozusagen acht Prozent der Weltbevölkerung. Wahrlich eine Begegnung der besonderen Art. Ich kann mich gar nicht satt sehen, hätte nie gedacht, dass mich ein paar Viecher so faszinieren können. Unser Fahrer macht inzwischen unter schattigen Sträuchern Siesta, offensichtlich ist dieses Spektakel Routine für ihn.
Etwa eine halbe Stunde lasse ich mir Zeit, dann rufen wir den Fahrer wieder aus dem Land der Träume zurück. Die Realität hat ihn sehr schnell eingeholt, denn sein Toyota hat sich mal wieder im Sahelsand festgefahren. Wir wollen ihm gerade zu Hilfe kommen, da hat sich schon eine ganze Horde Kinder hinter dem Auto versammelt, die dies nun mit gebündelter Kraft aus dem Sand lösen. Keine Ahnung, wo die auf einmal so zahlreich herkommen, doch ich habe eine Vermutung: Bei dieser Touristenattraktion ist der Tourist die Attraktion.
Nun brettern wir mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit durch die Sahel. Ich bekomme es mit der Angst zu tun, weiß aber auch, wenn wir langsamer werden, bleiben wir wieder stecken. Mit ingenieursmäßigem Verstand lässt sich nicht erklären, dass sich der rasende Sarg in dem wir sitzen nicht in Wohlgefallen auflöst.
Zurück in Niamey lädt mich Ibrahim zu Tuareg-Tee bei einem stattlichen Spliff in sein bescheidenes Zuhause ein. Dies besteht aus einem Zimmer in einer kleinen Siedlung von eingeschossigen Massivhäusern. Das Zimmer ist ausgestattet mit einer Matratze über dem ein Moskitonetz baumelt, einem Baumstamm als Tisch und einer quer durchs Zimmer gespannten Wäscheleine, die den Kleiderschrank ersetzt. Das Teetrinken ist eine regelrechte Zeremonie. Der Tee wird in einer Kanne auf dem Feuer gekocht und dann in ein kleines Glas gegossen, wobei man während des Gießens den Abstand zum Glas erhöht. Vom Glas wird der Tee dann wieder in die Kanne gekippt und die Kanne wieder aufs Feuer gestellt. Das wird mehrmals wiederholt, bis der Tee eine schaumige Konsistenz erreicht, zwischendurch wird er irgendwann gezuckert. Bis zu drei unterschiedlich starke Aufgüsse werden aufgesetzt.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
Niger
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