Test the West

Reisezeit: Dezember 2011 - Januar 2012  |  von Stefan O.

Ein bisschen Kultur

Samstag, 31.12.2011

Hier in Kano gibt es ein Touristenbüro. Ein Touristenbüro in Nigeria! Das allein ist ja schon mal eine Sehenswürdigkeit, aber Kano hat natürlich noch viel mehr zu bieten. Die Stadt blickt auf eine über 1000-jährige Geschichte zurück und ist damit die älteste Stadt Westafrikas. Mir ist klar, dass ich mehrere Tage brauche, um eine solche Stadt im Alleingang zu erkunden. Ein ortskundiger Führer muss also her. Und genau den findet man in dem erwähnten Touristenbüro.

Ich habe mich schnell damit abgefunden, dass ich in dieser riesigen Stadt auf andere angewiesen bin. Im Großraum Kano leben mehr als fünf Millionen Menschen, die Einwohner sprechen sogar von zehn Millionen. Es ist schier unmöglich, hier die Orientierung zu behalten, also ist man gezwungen, sich den Okadafahrern anzuvertrauen, wenn man von A nach B will und B ist in meinem Fall das so genannte Kano Tourist Camp, ein Budget-Hotel auf dessen Gelände sich das mysteriöse Touristenbüro befinden soll.

"Wer zu lange bleibt, endet genauso verschlafen und staubig wie das Personal", ist im Lonely Planet über das Kano Tourist Camp zu lesen und tatsächlich dösen ein paar freundliche Gestalten gelangweilt vor dem Hotelgebäude herum und sie scheinen für die kleine Abwechslung dankbar zu sein, die ich ihnen mit meiner Frage nach einem Stadtführer liefere. Einige Zeit später wird mir Mohammed vorgestellt, ein achtbarer Muslim in langem Kaftan und Kufi Kappe. Er schlägt mir vor, die Tour mit seinem Mopped durchzuführen, das spart zusätzliche Kosten für das Taxi. Wenn es darum geht, meinen geschundenen Geldbeutel zu schonen, bin ich für jede Schandtat bereit. So sitze ich wenig später auf dem Sozius eines 125er Motorrades fernöstlicher Bauart und fahre durch das Kofar Mata Tor (Eigentlich doppelt gemoppelt, denn k'ofa ist das Hausa-Wort für Tor), eines von 18 Stadttoren der Altstadt.

Das Kofar Mata Tor, eines von 18 Stadttoren

Das Kofar Mata Tor, eines von 18 Stadttoren

Unmittelbar daneben befindet sich die historische Indigo-Färberei, wo seit 500 Jahren Textilien in tiefen Färbeschächten (Dye Pits) in verschiedenen Blautönen gefärbt werden. Der Indigo wird dazu in eine wasserlösliche Form umgewandelt, indem durch Zusatz von Asche und Pottasche Sauerstoff entzogen wird. Nur so kann sich Indigo mit dem Gewebe verbinden. Die Intensität der Farbe wird durch die Dauer des Färbebades eingestellt. Nach dem Färbevorgang wird der Indigo durch Zufuhr des Sauerstoffes aus der Luft wieder wasserunlöslich und geht so eine feste Verbindung mit dem Gewebe ein. Alles wird mir von einem Mitarbeiter bereitwillig erklärt und gezeigt.

Aus einer kleinen Hütte höre ich rhythmische, gleichmäßige Klopfgeräusche. Hier werden zusammengefaltete Stoffe auf einem Holzklotz mit großen Holzklöppeln geplättet. Das verleiht dem Stoff außerdem einen glänzenden Schimmer. Auf einmal versammelt sich die halbe Belegschaft um mich herum und hält verschiedene Stoffmuster zur Ansicht hoch. Der Mann, der mich hier herumführt erklärt mir die Bedeutung der verschiedenen Muster, die ähnlich wie beim der Batikverfahren durch das Abbinden einzelner Stellen entstehen. Dann habe ich noch die Gelegenheit, ein paar fertige Stücke wie T-Shirts, Mützen oder Tischdecken zu erwerben. In den Industrieländern wird Indigo übrigens inzwischen künstlich hergestellt. Die häufigste Anwendungsform: unsere gute alte Jeans.

Ein Arbeiter vor einem Indigo-Färbeschacht

Ein Arbeiter vor einem Indigo-Färbeschacht

Traditionelles "Bügeleisen"

Traditionelles "Bügeleisen"

Die nächste Station ist die Zentrale Moschee von Kano, welche nach der Zerstörung des Originals aus dem 15. Jahrhundert mit britischer Finanzierung im Jahre 1963 erbaut wurde. Aus der gleichen Zeit wie die erste Moschee an dieser Stelle ist der benachbarte Emir-Palast, der im Laufe seiner Geschichte von seinen Bewohnern mehrfach erweitert und umgebaut wurde. Legendär ist das jährlich unter Beteiligung des Emirs ausgerichtete Durbar-Festival, welches den Höhepunkt der muslimischen Feste Eid al-Fitr (Ende des Ramadan) und Eid al-Adha (islamisches Opferfest) zelebriert. Das traditionelle Festival beginnt mit Gebeten, gefolgt von einer Militärparade auf Pferden und endet am Emir-Palast. Obschon die politische Macht der Emire im Laufe der jüngsten Geschichte immer weiter beschnitten wurde, hat im Besonderen der Emir von Kano weiterhin eine gewisse religiöse und auch politische Autorität.

Die Zentrale Moschee von Kano

Die Zentrale Moschee von Kano

Haupteingang des Emir Palastes. Die Abwesenheit der Flagge verrät, dass er nicht im Haus ist

Haupteingang des Emir Palastes. Die Abwesenheit der Flagge verrät, dass er nicht im Haus ist

Wir fahren zum Gidan Makama Museum gegenüber. Das über 500 Jahre alte Museumsgebäude ist auch ein ehemaliger Emir Palast in traditioneller Lehmbauweise und ist daher allein schon ein Ausstellungsstück über die klassische Hausa-Architektur. Man sollte hier unbedingt eine geführte Tour machen, empfiehlt mir Mohammed und er wird recht behalten. Das Museum besteht aus elf Galerien und gibt einen eindrucksvollen Einblick in die Geschichte der Stadt, aber auch in Tradition, Industrie und Musik. Nicht uninteressant ist die Ausstellung über das islamische Erbe der Kanawa, wie die Einwohner Kanos genannt werden. Kulturell gesehen, ist dieses Museum der bisherige Höhepunkt meiner Reise, hat mir wirklich sehr gut gefallen.

Apropos Höhepunkt. Der geografische Höhepunkt der Stadt ist der Dala Hill. Er ist gleichzeitig auch der Ursprung der Stadt Kano, welche daher auch bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts als Dala in die Geschichte einging. Mohammed wählt dorthin einen Weg, auf dem noch gut erhaltene Reste der alten Stadtmauer zu sehen sind. Der Großteil der in traditioneller Lehmbauweise erstellten Stadtmauer ist jedoch stark verfallen. Das hat im Wesentlichen zwei Ursachen: zum einen die wetterbedingte Erosion und zum anderen das mangelnde Bewusstsein der Einwohner für Kultur und Historie. Der Lehm der Mauer ist von hoher Qualität und findet daher zunehmend anderweitige Verwendung. Ein Teil der Mauer wird derzeit mit deutscher Hilfe wieder restauriert, erklärt mir Mohammed. Der Dala Hill ist 534 Meter über dem Meeresspiegel, etwa 50 Meter über der Stadt und kann über etliche Stufen erreicht werden. Ein fantastischer Panoramablick über die ganze Altstadt entschädigt jedoch für alle Mühen.

Reste der alten Stadtmauer

Reste der alten Stadtmauer

Die Altstadt von Kano

Die Altstadt von Kano

Der Dala Hill

Der Dala Hill

Panoramablick auf Kano

Panoramablick auf Kano

Mohammed fährt mich noch zu meinem Gästehaus zurück und wir kommen zum Geschäftlichen. 4000 Naira will er nach einer kurzen Denkpause. Die kriegt er, da muss ich nicht lange rummachen. Das sind 20 Euro für einen halben Tag inklusive Fahrt- und Spritkosten. Im Lonely Planet ist die Rede von 1500 Naira pro Stunde.

Mein Stadtführer und sein Motorrad

Mein Stadtführer und sein Motorrad

Ich gehe kurz duschen und mache mich fertig für das Nachtleben. Schließlich ist heute der letzte Tag im Jahre 2011. Wäre doch gelacht, wenn das nicht irgendwo gefeiert wird. Ich setze mich zunächst in meine Stammpinte in der Abeokuta Road und quatsche ein wenig mit den anderen Gästen. Was von unschätzbarem Wert ist, ist dass hier wieder Englisch gesprochen wird, das macht einen Smalltalk deutlich einfacher, als in den frankophonen Staaten Burkina Faso und Niger. Als es etwas leerer wird, ziehe ich weiter und finde bald das so genannte Prince Entertainment Centre. Als jedoch gegen elf Uhr die Stühle übereinander gestapelt werden, ist die Unterhaltung auch hier zu ende. Ich suche das ganze Viertel nach ein bisschen Action ab. Aber überall da, wo vor zirka einer Stunde noch das blühende Leben tobte werden nun die nicht vorhandenen Bürgersteige hochgeklappt. Verwundert schlürfe ich durch die tiefschwarze Nacht von einer Petroleumlampe zur nächsten. Zum Glück habe ich an meine Taschenlampe gedacht, eine iTP Olight SA2 Eluma, stufenlos in der Helligkeit verstellbar, mit maximal 230 Lumen und 100 Stunden Laufzeit auf kleinster Stufe. Dem guten Stück wird auch in Zukunft noch ein gewisses Maß an Bedeutung zukommen.

Es gibt eigentlich keinen vernünftigen Grund, warum ich kein Okada nach Hause nehme. Vielleicht, weil ich es nicht fassen kann, dass hier Silvester überhaupt keine Beachtung findet. Als ich auf der Tudun Wada Road herum streife, ist es jedoch zu spät. Hier gibt es keine Okadas mehr und ich bin der einzige, der noch durch die Finsternis schlürft. Ich bekomme auf einmal Muffensausen. Einer brüllt in die dunkle Nacht raus. Keine Ahnung, ob ich gemeint bin, setze meinen Marsch mit erhöhter Taktzahl fort und erreiche schließlich das wieder einmal verschlossene Tor des ECWA-Gästehauses. Kurz vor Mitternacht sitze ich auf meinem Sessel in meinem Zimmer. Irgendwo in weiter Ferne werden zwei, drei Böller gezündet, dann schreiben wir das Jahr 2012. Das hab ich mir irgendwie anders vorgestellt.

© Stefan O., 2012
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Worum geht's?:
"Burkina Faso - Ist da irgendwas?", "Wo liegt Niamey?" und "Ist Lagos nicht die gefährlichste Stadt der Welt?" Diese und andere Fragen wurden mir gestellt, bevor ich los zog um nach Antworten zu suchen. Das Motto: "Travel and see"
Details:
Aufbruch: 13.12.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.01.2012
Reiseziele: Burkina Faso
Niger
Nigeria
Togo
Ghana
Der Autor
 
Stefan O. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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