Test the West
Game Over
Samstag, 21.01.2012
Den gestrigen Tag habe ich am Labadi Beach vertrödelt, einem der wenigen Badestrände von Accra. Der Strand wird von den anliegenden Hotels gepflegt und Nichtgäste zahlen drei Cedi Eintritt, dafür bekommt man einen schönen sauberen Strand, jede Menge Strandbars und Rettungsschwimmer überwachen die Badestellen. Am Wochenende gehen dort auch viele Einheimische hin und zum ersten Mal nahm ich ganz bewusst war, wie auch hier die Leute Spaß haben, etwas einfach nur zum Vergnügen zu tun.
Erst später erfahre ich, dass während ich lustig im Atlantik planschte, im nigerianischen Kano fast 180 Menschen durch Sprengstoffanschläge der Boko Haram ihr Leben verloren. Sofort wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Das Auswärtige Amt gibt eine Reisewarnung heraus. Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen muss!
Heute ist nicht irgendein Samstag, sondern mein letzter Samstag in Ghana. Überhaupt wird es auf längere Sicht mein letzter Tag in Westafrika sein. Gegen 20 Uhr starte ich diesen Abend in der Billardbar gegenüber dem Strawberrys. Es läuft gerade ein Spiel der Afrika-Meisterschaft. Der Gastgeber Äquatorialguinea spielt gegen Libyen. Libyen spielt etwas besser, doch Äquatorialguinea gewinnt mit 1:0 durch ein Tor in der 87. Minute. Ich werde noch zu einer Runde Billard überredet und besteige wenig später ein Tro-Tro zum Danquah Circle in Osu. Ich suche die verdammte Bywell-Bar, wo samstags Livemusik laufen soll, gebe aber irgendwann auf und setze mich in ein Straßenlokal am Rande der Cantonments Road. Hier war ich heute Vormittag schon einmal, da wusste aber noch nicht, dass hier abends die Post ab geht.
Ein DJ beschallt die Straße mit den neuesten Hiplife-Beats. Irgendwann setzt sich Lila zu mir an den Tisch und fragt, was ich denn so allein hier mache. "Heute ist mein letzter Abend in Ghana", erzähle ich ihr, "und da will ich noch ein bisschen Spaß haben". Allerdings meine ich nicht den Spaß, den sie mir wahrscheinlich verkaufen will. Ich sage ihr, dass sie sich nicht aufhalten lassen soll, falls sie noch einen Job akquirieren muss, doch sie versichert mir, sie sei keine Prostituierte. Sie sei Studentin, nehme aber gern etwas Taxigeld an, wenn sie mit jemanden aus geht. So kann man das natürlich auch ausdrücken. Dass ich glücklich verheiratet bin, stört sie nicht und dass ich Kinder habe ist scheinbar eher ein Ausdruck meiner Virilität. Ich könnte gut auf ihre Anwesenheit verzichten, aber sie stört mich auch nicht übermäßig.
Es wird immer voller hier. Die Stimmung steigt. Irgendwann hält ein SUV, aus dem vier gut gelaunte und gut ernährte Anzugträger aussteigen. Flughafenmitarbeiter, wie sich herausstellt und sie machen einen ziemlichen Maxen. Sie tanzen mit den ganzen Huren hier und sind ziemlich lustig drauf. Die eine geht voll ab, als hätte man ihr gerade eine frische Duracell-Batterie eingesetzt. Später kommen noch Straßenartisten - Akrobaten, Feuerschlucker, Trommler. Bevor sie loslegen sperren sie die Parkplätze ab. Sie agieren dermaßen dicht am nächtlichen Straßenverkehr, dass ich ein paar Mal glaube, ihre Gliedmaße werden von den Trucks überrollt.
Je später der Abend, desto ausgelassener ist die Stimmung hier und irgendwann kann auch ich nicht mehr die Füße still halten. Als ich mich dann gegen halb drei dabei erwische, wie ich mit den ganzen vollgekoksten Nutten Passa-Passa tanze, beschieße ich, das Geld für das "letzte Bier" lieber in ein Taxi zu investieren und die Heimreise anzutreten, bevor das hier noch ausufert.
Sammeltaxi versteht sich, für mehr reicht das Geld nicht mehr. Der Fahrer fragt mich dann, wo am Circle er mich raus lassen soll. "Am Overpass" antworte ich, dann muss ich nur über die Brücke und bin gleich zu Hause. "Hier?", fragt der Fahrer skeptisch. "Quatsch nicht", denke ich mir, steige aus und marschiere über die Brücke. Während mein Gehirn mit einem Rückblick auf diese einmalige Reise ausgelastet ist, realisiert mein Unterbewusstsein, dass rechts der Brücke hunderte von Obdachlosen ihre Schlafplätze gefunden haben. Das heißt, nicht alle schlafen. Zumindest einer nicht und der kommt gerade eiligen Schrittes auf mich zu und fragt mich in energischem Ton, was ich hier tue.
Na endlich! Afrikas Metropole haben weltweit einen katastrophalen Ruf und Entwicklungsländer haben ja sowieso schon mal von Hause aus allesamt ein Sicherheitsproblem. Wie stehe ich also da, wenn ich nach fast sechs Wochen Westafrika nicht wenigstens eine Gangster-Story mit nach Hause bringe?
"Wer will das wissen?", frage ich ebenso energisch zurück und lange instinktiv mit der rechten Hand an meine Taschenlampe. Etwa zeitgleich schießt mir der Plan zu dieser Handlung durch die Hirnwindungen: Wenn ich diesem Typen 230 Lumen auf die Pupillen gebe, ist er genau diese zwei Sekunden blind, die ich brauche um mich zu verpissen. Doch dazu kommt es nicht. Mein Gegenüber blickt nun ehrfürchtig auf das, was ich da gerade aus dem Holster zog. Das scheint ihm nicht geheuer. Er dreht ab und verschwindet genauso schnell wie er gekommen ist wieder in der Finsternis.
Gerade noch mal gut gegangen. In der Billardbar hole ich mir dann noch ein Star als Betthupferl. Den Wecker muss ich nicht stellen, mein Flug geht erst um 13 Uhr. NBO steht auf dem Ticket - Nairobi International Airport.
Ich - hab noch lange nicht genug...
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
Niger
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Togo
Ghana