Test the West

Reisezeit: Dezember 2011 - Januar 2012  |  von Stefan O.

Grenzübertritt

Samstag, 17.12.2012

Mein Tag beginnt um 4:30 Uhr. Gepackt hatte ich schon gestern, gezahlt auch. Auf das Frühstück muss ich heute Morgen verzichten. Gegen 4:50 Uhr muss ich den Rezeptionisten wecken, damit er mir das Tor aufschließt. Er fragt, ob ich ein Taxi brauche. Für die paar Meter brauche ich keins. Er besteht aber darauf, dass er mich zu Fuß zum Busbahnhof begleitet. Um die Uhrzeit huscht hier offensichtlich schon mal die ein oder andere zwielichtige Gestalt durch die Nacht. Vielleicht wittert er aber auch nur das großzügige Trinkgeld eines dankbaren Touristen.

Die Buscrew pennt auf ihren Gebetsteppichen vor dem Bus. Das Wartehäuschen ist nach Männlein und Weiblein getrennt, wahrscheinlich, weil es auch als Gebetshaus und Schlafplatz genutzt wird. Ich setze mich auf eine Bank und harre der Dinge, die da kommen mögen. Um 5:30, der eigentlichen Abfahrtszeit, rührt sich etwas. Das Gepäck wird mit einem Klebeband versehen, auf dem Ticketnummer und Name vermerkt werden, bevor es verladen wird. Dann wird jeder Fahrgast einzeln aufgerufen und darf einsteigen. Drinnen geht es ziemlich eng zu. Auf der linken Seite gibt es drei Plätze je Reihe, auf der rechten Seite sind es zwei.

Um 6:03 Uhr, etwa zeitgleich mit dem Sonnenaufgang, verlassen wir den Hof. Der erste Stopp wird in Fada N'Gourma eingelegt. Bis hierher hat eigentlich alles problemlos geklappt. Wir haben 220 Kilometer in ziemlich genau dreieinhalb Stunden auf überraschend guten Straßen zurückgelegt. Fada N'Gourma ist ein bedeutender Knotenpunkt im östlichen Teil des Landes. Hier trifft die Ost-West-Achse zwischen Ouaga und Niamey auf die Nord-Süd-Achse, die Mali mit Benin verbindet. Ich ergattere ein paar Baguette, zwei Bananen und eine Tüte Trinkwasser von fliegenden Händlern, die sich sofort auf den Bus stürzen. Trinkwasser bekommt man überall in Westafrika eingeschweißt in kissenartigen Plastiktüten zu einem Festpreis von umgerechnet etwa vier Cent angeboten. Meist von Frauen oder Kindern, die einen ganzen Korb davon auf ihren Köpfen balancieren. Man muss zunächst eine der vier Spitzen abbeißen und dann aus dieser Öffnung trinken. Ich habe zunächst noch so meine Probleme damit, später werde ich aber sehr routiniert darin sein.

Nach der Pause setzen wir unsere Fahrt in östliche Richtung fort. Doch schon nach ein paar hundert Metern hält uns die Polizei an und nimmt unseren Fahrer mit. Es steigen wieder alle aus und machen es sich im Schatten der Bäume bequem, no hurry in Africa. Eine gute halbe Stunde später kommen die zwei Bullen mit ihren Motorrädern zurück. Unseren Fahrer haben sie nicht mitgebracht. Der kommt nochmal einige Minuten später mit einem Motorrad-Taxi. Die Fahrgäste steigen wieder ein, unser Chauffeur auch. Dann fängt der aufgeblasene uniformierte Fettsack schon wieder an, Stress zu machen, lässt sich aber schon bald von seinem Kumpel wieder beruhigen.

Wir fahren kilometerweit durch eine eher trostlose Landschaft, überwiegend geprägt durch Strauchvegetation und kleinen knorrigen Bäumen. Wir befinden uns in der Sahelzone, der Übergangszone zwischen der Sahara im Norden und der Savanne im Süden. Die Sahelzone erstreckt sich auf einer Breite von 200 bis 800 Kilometern gürtelartig vom Atlantik im Westen bis zum Roten Meer im Osten des Kontinents. Besiedelt sind diese Gebiete vor allem durch Hausa und Djerma und vereinzelt durch hinzugezogene Tuareg.

Traditionelle Dörfer in der Sahel

Traditionelle Dörfer in der Sahel

Ich spüre eine gewisse innere Unruhe, schließlich übertrete ich in Kürze erstmals in meinem Leben eine innerafrikanische Grenze. Auf burkinischer Seite hält der Bus an, dann müssen alle aussteigen und ihre Pässe einem vor der Tür wartenden Beamten zeigen. Der Bus fährt nun leer einige Meter weiter und alle dürfen wieder einsteigen. Ich denke, das war nun schon die Ausreise, wundere mich nur, dass ich keinen Ausreisestempel bekommen habe. Den bekomme ich nun diverse Kilometer weiter, als der Bus erneut anhält und wieder alle aussteigen. Ich muss in ein anderes Häuschen als die meisten Fahrgäste. Das liegt vermutlich daran, dass die Mehrzahl der Passagiere Bürger eines ECOWAS-Staates ist und mit einem vereinfachten Reisedokument über die Grenze kommt. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS umfasst derzeit 15, also eigentlich alle, westafrikanische Staaten. Der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches findet meinen Einreisestempel nicht und fragt daher, ob ich gerade ein- oder ausreise. Eigentlich unverständlich, noch sieht mein Pass doch recht übersichtlich aus.

Wieder etliche zig Kilometer weiter halten wir auf nigrischer Seite. Hier herrscht das pure Chaos. Alle steigen wieder aus und drücken ihre Pässe einem Beamten ich die Hand. Das gleiche mache ich auch, ohne zu wissen, wie es jetzt weiter geht. Ich marschiere in ein Häuschen, aus dem ich vor kurzem einige Nichtafrikaner heraus spazieren sah. Ein Beamter kommt auf mich zu und fragt, wo mein Pass ist. Mal wieder zwei Deppen, derselbe Gedanke: Genau das gleiche wollte ich ihn gerade fragen und erkläre ihm, dass ich meinen Pass einem Kollegen vor dem Bus gegeben habe. Ich zeige ihm auch, welchen Bus. Er geht in ein Zimmer und kommt zurück mit einem Stapel Pässe. Dann fragt er mich, ob meiner dabei ist. Ich sage ihm: "Nein, ich habe einen deutschen Pass und der ist rot". Er ruft irgendwas zu einem anderen Kollegen, der nun in seinem Stapel Pässe einen roten sucht und auch findet und siehe da: Es ist der richtige. Ich bekomme meinen Einreisestempel und spaziere zurück zum Bus.

Dort ist inzwischen das Gepäck ausgeladen worden und staubt nun vor den Kofferräumen ein. Die Hitze hier ist unerträglich. Kein Lüftchen und kein Schatten, dafür jede Menge bettelnde Kinder und andere suspekte Gestalten. Ich lasse meinen Rucksack keine Sekunde aus den Augen. Dann endlich rührt sich etwas. Eine Gruppe uniformierter Burschen beginnt damit, die Koffer wieder einzuladen. Keine Ahnung, was das für Typen sind. Es ist auch keine wirkliche Uniform. Auf ihren Jacken sind je zwei Buchstaben aufgedruckt. Vielleicht ihre Initialen. Einer fragt mich, welches Gepäckstück mir gehört und nun will er 500 CFA fürs Verladen.

Mindestens eine Stunde hat uns der Grenzübertritt gekostet. Doch jetzt fahren wir mit Vollgas auf Niamey zu. Weit kann es nicht mehr sein. Die Fahrt wird jedoch mehrmals unterbrochen, weil der Bus an irgendeiner Straßensperre angehalten wird. Beim ersten Mal wechselt eine Banknote seinen Besitzer, wenn ich das richtig gesehen habe. Das zweite Mal kullert ein Drei-Zentner-Mann in Polizeiuniform durch den Bus schaut sich hier um. Beim dritten Mal sind die Beamten gerade mit einem anderen Bus beschäftigt und wir dürfen passieren. An der vierten Station kommt eine stabile Polizistin an Board und kontrolliert stichprobenartig unsere Pässe. Berufe dieser Art sind offensichtlich auch bei Frauen sehr beliebt. Das werde ich hier noch öfter sehen.

Ich habe aufgehört, die Straßensperren zu zählen und wir überqueren am späten Nachmittag den Niger über die Kennedy Brücke. Der Niger ist noch viel gigantischer, als ich dachte. Dann kann ich mir einen ersten Eindruck von Niamey verschaffen: Müll, vermischt mit bräunlichen Sahelsand, soweit das Auge reicht. Dazwischen total zerschossene Toyota Starlet P8 aus den frühen 90er Jahren, die in der Regel als Sammeltaxi dienen und etwa 80 Prozent des Verkehrs ausmachen.

Wenig später sitze ich in solch einem Gefährt und lasse mich für 2000 CFA in die Auberge le Relaxe chauffieren. Dieses Exemplar hier hat 570000 Kilometer auf der Uhr, ist also gerade gut eingefahren. Meine Zieladresse habe ich aus dem französischsprachigen Reiseführer Petit Futé, welcher einigermaßen aktuell ist. Die einzig in Frage kommende Option aus dem Lonely Planet hat nach meinen Recherchen inzwischen kräftig an der Preisschraube gedreht. Generell sind günstige Hotelzimmer Mangelware in Niamey und meist gerade dann ausgebucht, wenn man es am wenigsten erwartet.

Genau deshalb habe ich ein ungutes Gefühl, weil ich nicht reserviert habe und bitte meinen Fahrer darum, vor dem Hotel zu warten, während ich nach einem Zimmer frage. Und tatsächlich: die Auberge le Relaxe hat nur noch ein Zimmer frei und das auch nur bis morgen; zu einem Preis von 22000 CFA. Ich will wissen, ob es nicht eventuell auch billiger geht. Der Chef fragt, ob ich denn Warmwasser brauche. Brauche ich natürlich nicht und ich brauch auch kein eigenes Bad. Unter diesen Umständen hätte er noch etwas für 16000 CFA und da hierzulande selbst Hotelpreise verhandelbar sind, habe ich nun für 15000 CFA ein geräumiges Zimmer mit Klimaanlage, dafür ohne eigenes Bad und Fenster, Frühstück inklusive. Und zwar für so lange, wie ich bleiben will. Dass ich länger bleibe, als mir lieb ist, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Was für ein Tag! Nun brauche ich erst mal ein Pils. Die Auberge le Relaxe ist unter konservativ muslimischer Führung, daher gibt es hier keine alkoholischen Getränke. Ich frage den Chef nach einer Bar. Er fährt mich sogleich mit seinem Mopped zu einer unweiten, sehr gechillten Bar mit einem - naja nennen wir es mal Biergarten. Es gibt hier im Wesentlichen drei Sorten: Castel, Flag und Bière Niger. Ich fange mal mit dem Castel an, schmeckt etwas lieblich. Nach dem dritten Castel ist es bereits stockduster und ich schlürfe über die Sandpiste nach Hause. Ich fühle mich hier sicher, auch nachts. Erst recht nach dem dritten Bier.

Na das sieht doch kompetent aus

Na das sieht doch kompetent aus

© Stefan O., 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
"Burkina Faso - Ist da irgendwas?", "Wo liegt Niamey?" und "Ist Lagos nicht die gefährlichste Stadt der Welt?" Diese und andere Fragen wurden mir gestellt, bevor ich los zog um nach Antworten zu suchen. Das Motto: "Travel and see"
Details:
Aufbruch: 13.12.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.01.2012
Reiseziele: Burkina Faso
Niger
Nigeria
Togo
Ghana
Der Autor
 
Stefan O. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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