Test the West
From Dusk Till Dawn
Donnerstag, 05.01.2012
Die letzten zwei Tage liefen im Prinzip immer nach dem gleichen Schema ab: auspennen, nachmittags mit den verrückten Lagosians um die Häuser ziehen und abends in der Hotelbar Fußball schauen bei ein paar Flaschen Star. Im Moment läuft die englische Premier League. Es ist immer witzig: Die Leute kommen aus der kompletten Nachbarschaft in den Hof, nuckeln, den ganzen Abend an einem Getränk herum oder trinken gar nichts und verschwinden dann fluchtartig nach dem Spielende.
Heute muss ich aber wieder mal aktiv werden. Ich brauche ein Busticket Richtung Benin und Togo. Ich muss mich entweder für Cotonou in Benin oder Lomé in Togo entscheiden, für beides reicht die Zeit nicht mehr. Die Wahl fällt auf Lomé, ob das klug war, wird sich zeigen. Eigentlich eher eine Entscheidung aus Bequemlichkeit, denn dann kann ich im Bus sitzen bleiben.
Ich lasse mir von der Hotelrezeptionistin den Weg zum Service-Center von ABC-Transport erklären. ABC-Transport ist das einzige Unternehmen, welches grenzüberschreitenden Busverkehr anbietet. Mit klimatisierten Luxuslinern bedienen sie unter anderem die Küstenstrecke Lagos-Cotonou-Lomé-Accra. Soweit ich weiß, fahren einige auch weiter bis Abidjan an der Elfenbeinküste. Das Busticket kostet etwa 50 Euro, also richtig viel Schotter. Die einzige Alternative führt jedoch mit etlichen Buschtaxis von einer chaotischen Grenze zur nächsten, wo man jeweils der Willkür der Offiziellen hilflos ausgeliefert ist.
Zunächst muss ich mit dem Tuk-Tuk zur Schnellstraße. Die dreirädrigen Motortaxis, die man auch aus Asien kennt, fungieren hier als Sammeltaxi. Das heißt, auf der Rückbank sitzen vier Passagiere, auf dem Fahrersitz neben dem Fahrer ein weiterer. Dann muss ich über eine schmale Fußgängerbrücke auf die andere Seite des sechsspurigen Apapa-Oshodi Expressways zu einer chaotischen Bushaltestelle. Von hier muss ich in einem schrottreifen VW-Bus mit einem guten Dutzend weiteren Fahrgästen in Richtung Mile Two Motorpark. Dort, so wird mir erklärt, solle ich in einen anderen Bus umsteigen, der zum ABC-Center fahre, doch dieser Bus fährt mich für saftige 100 Naira ein paar hundert Meter weit und ich soll nun in einen weiteren Bus umsteigen. Jetzt habe ich aber die Faxen dicke und frage einen Okada-Mann, wo das verdammte ABC-Center ist. Kurze Zeit später sitze ich hinter ihm und lasse mich für 250 Naira direkt vor die Tür fahren.
Damit die Fahrt mit dem Reisebus auch an den Grenzen reibungslos abläuft, lässt man sich schon bei der Buchung Gelbfieberimpfnachweis und Pass zeigen. Die Dame auf der anderen Seite des Tresens stolpert über mein VTE-Visum, das ja offiziell auch für Benin und Togo gilt. Da ihr das Ding gänzlich unbekannt scheint, ruft sie einen Kollegen zu Rat, welcher aber genauso hilflos über den Aufkleber in meinem Pass grübelt. Man würde mir einen Platz reservieren und ich soll morgen um früh um sechs mit dem Chef sprechen, heißt es dann. Na hoffentlich klappt das. Wenn ich morgen nicht das Land verlasse, gibt das Mecker.
So, und was mache ich nun mit dem angebrochenen Tag? Richtig: mir mal das Bild reinziehen, welches die meisten ausländischen Geschäftsreisenden in den Pupillen haben, wenn sie an Lagos denken; also ab auf die Inseln. Ich springe auf ein Okada und lasse mich zu einer Bushaltestelle bringen. Plakate in der Mitte des Apapa-Oshodi Expressways lassen mich wissen, dass derzeit der Ausbau der Schnellstraßen in Planung ist beziehungsweise bereits begonnen wurde. Der 3D-Illustration zufolge soll sogar auf dem Mittelstreifen eine Stadtbahn fahren. Das Netz der so genannten Lagos Light Rail, so erfahre ich später, soll zunächst aus zwei Linien bestehen und später auf sieben Linien erweitert werden. Damit wäre Lagos die einzige zentralafrikanische Stadt mit einem Stadtbahnsystem und wäre somit infrastrukturmäßig wieder einmal seinen Nachbarn weit voraus.
Dass Lagos mächtig an seinem Image feilt, macht auch der rote Stadtbus deutlich, in dem ich nun sitze. Einem der von der staatlichen LagBus betriebenen modernen Omnibusse, die seit 2007 nach europäischem Vorbild fahrplanmäßig bestimmte Linien abfahren. Endstation ist für mich die Broad Street auf Lagos Island und damit ich nicht die Übersicht verliere, stolpere ich als allererstes in den legendären CMS Bookstore und kaufe mir einen Stadtplan. Damit bewaffnet marschiere ich zunächst auf der Igbosere Road in westliche Richtung und biege dann in die King George V Road ein. Das ist hier noch eine der günstigeren Gegenden auf den Inseln von Lagos. Hier befinden sich auch die Hotels und Gästehäuser, die preismäßig einer Budget-Option am nächsten kommen.
An der Awolowo Road gibt es ein großes Einkaufszentrum, in dem es zwar dank der auf Hochtouren laufenden Klimaanlage angenehm kühl ist, das aber ansonsten gespenstisch leer wirkt. Am Rande des riesigen Parkplatzes befindet sich eine kleine Bar. Da mir inzwischen die Füße weh tun beschließe ich, auf ein Star zu verweilen und meinen neuen Stadtplan zu studieren. Als ich später meine Rechnung bekomme, traue ich meinen Augen nicht: 600 Naira wollen die Halunken für ein Flaschenbier! Das wird mit zirka drei Euro das teuerste Bier meiner gesamten Reise bleiben.
Ich setze mich auf ein Okada und lasse mich zum Falomo-Shopping-Centre befördern. In mehreren zweigeschossigen Blocks befinden sich hier kleine Geschäfte, Restaurants, Friseursalons, Banken und Verkaufsbüros, sogar ein Buchungsbüro von ABC-Transport. Das hatte ich zwar gelesen, wundere mich aber, dass es das noch gibt, denn der einst scheinbar so prestigeträchtige Einkaufskomplex ist heute nur noch ein Schatten seiner selbst. Viele Geschäfte sind leer oder haben geschlossen. Die großen modernen Shopping-Malls lassen für Konzepte dieser Art keinen Raum mehr. Offensichtlich gab es immer wieder mal Versuche, das Falomo-Shopping-Centre wiederzubeleben, doch wenn ich mich hier umschaue, mit eher mäßigem Erfolg.
Meine nächste Station ist Victoria Island. Ich laufe auf eine Gruppe Okadafahrer zu aus der ein lustiger untersetzter Mann heraus spaziert und mich nach meinem Ziel fragt. Zum Bar Beach will er 300 Naira, die ich ohne große Gegenwehr auf 250 Naira herunter handele. Das habe ich inzwischen heraus gefunden: 50 Naira sind immer drin, nicht selten auch mehr. Falls einer stur bleibt, hilft es fast immer, sich umzudrehen, weiterzulaufen und sich zwei Schritte später wieder zurück pfeifen zu lassen.
Am Bar Beach treffe ich dann auf Johnny. Seinen richtigen Namen verrät er mir auch, den kann ich mir aber nicht merken. Er ist hier der Ganjamann, wie praktisch. Wir laufen am Strand auf und ab und setzen uns später an eine Strandbar die hier landestypisch aus ein paar Gartenstühlen vor einem Tisch unter einem Sonnenschirm besteht. Der Sonnenschirm ist überflüssig, denn der Harmattan vernebelt einem dermaßen die Sicht, dass man den Sonnenstand bestenfalls erahnen kann. Wir trinken ein Star und essen Suya, die berühmte nigerianische Street-Food-Spezialität: gegrillte Fleischspieße die zuvor in einer scharfen Gewürzmischung getunkt werden.
Etwa eine Meile vor der Küste wird ununterbrochen Material aufgeschüttet. Johnny meint, dort soll künstliches Land geschaffen und ähnlich wie in Dubai mit Hotels bebaut werden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass dort ein Wellenbrecher zum Schutz der Küste errichtet wird.
Kurz bevor die Dunkelheit herein bricht, fragt mich Johnny, ob ich nicht noch auf ein paar Stündchen mit nach Kuramo Beach kommen will, wo er auch wohnt. Wieso eigentlich nicht, in Surulere wartet eigentlich nichts auf mich. Kuramo Beach ist der schmale Landstreifen zwischen Kuramo Waters und dem Atlantik. Er grenzt östlich an den Bar Beach, ist auf jedem Stadtplan ein weißer Fleck und wird oft auch als Niemandsland bezeichnet. Warum werde ich gleich wissen.
Zum Kuramo Beach gibt es ein Tor, an dem ein paar Gestalten Eintritt verlangen. Zunächst 300 Naira pro Kopf, Johnny meint, 200 seien genug und er wird sowieso nichts zahlen, da er hier wohnt. Kuramo Beach ist eine bizarre Mischung aus Ghetto, Dealermeile, Rotlicht- und Kneipenviertel auf weißsandigem Strand. Nach Einbruch der Dunkelheit tummeln sich hier die Armen zusammen mit den unerschrockenen Reichen der Stadt. Das geschäftige Treiben beginnt hier bei Dämmerung und endet im Morgengrauen; from dusk till dawn, gewissermaßen. Von Regierungsseite wurden immer wieder Anstrengungen unternommen, hier ein lauschiges Plätzchen für Touristen einzurichten doch stattdessen wächst hier der teuerste Slum der Stadt heran und der einzige Tourist weit und breit ist meine Wenigkeit.
Schon bald werde ich von den Ladies-of-the-Night begrüßt, doch als ich denen mit den Worten "E don need pussy" zu verstehen gebe, dass ich an Ihrem Service kein Interesse habe, werde ich in Ruhe gelassen. Aber auch die anderen Dienstleister hier machen, wie eigentlich alle Lagosians, überwiegend einen angenehm entspannten Eindruck.
Wir setzen uns in eine Bar, trinken Bier und schauen uns ein paar Filme an. Das hier ist quasi das Ghettokino in einer zum Schutze vor der Macht der hohen See auf Pfählen gebauten Holzhütte. Auf einem kleinen Röhrenfernseher aus Großmutters Zeiten werden so genannte Western-Movies präsentiert. Damit sind nicht etwa alte Fuzzi-Filme gemeint, obwohl das zu dem hölzernen "Saloon" in dem ich hier sitze ganz gut passen würde, sondern mehr oder weniger aktuelle Actionfilme aus Hollywood. Zur Abgrenzung von den einheimischen Produktionen, den so genannten Nollywood-Filmen, werden die amerikanischen Streifen oft als Westfilme bezeichnet. Zur Überspielung des Generatorlärms wird der Ton auf ein ohrenbetäubendes Niveau angehoben.
Ich komme mit einem Kumpel Johnnys ins Gespräch. Er will von mir alles über mögliche Importgeschäfte aus Europa wissen. Lagos hat tatsächlich Potential und durch seine Lage am Hafen eine gute Voraussetzung für solche Deals, doch mein Wissen über derartige Geschäfte hält sich in engen Grenzen.
Gegen Mitternacht will ich mich verabschieden. Johnny und sein Kumpel begleiten mich noch bis zum Taxistand. Schon kurz hinter dem Tor bieten mir vermeintliche Taxifahrer ihre Dienste an. Johnny lehnt ab. "Das sind keine Taxifahrer", sagt er später, "die gehen mit dir um die Ecke und ziehen dich ab" - Ooops!
Keine Ahnung, ob ich darauf hereingefallen wäre. Eigentlich weiß ich wo die Taxis stehen, trotzdem bin ich auf einmal froh, dass ich nicht alleine bin. Auf dem Parkplatz vor dem Bar Beach stehen die in offiziellem gelb lackierten Taxis in Reih und Glied. Johnny wählt für mich einen gut erhaltenen 3er Golf aus und beginnt mit den Preisverhandlungen. 2500 Naira will der Fahrer bis Surulere, was für mich eigentlich in Ordnung ginge. Johnny aber meint, das sei der Preis für Weiße und während dessen sucht sein Kumpel bereits nach Alternativen. Kurze Zeit später sitze ich in einem etwa 30 Jahre alten VW Passat, an dessen Steuer ein alter Mann sitzt, der die Tour für 1500 Naira fährt. Das wahrscheinlich aber auch nur, weil er zu spät realisiert hat, dass ich sein Passagier bin.
Schon nach wenigen Kilometern: Straßensperre. Ich ziehe meine käsige Rübe ein, doch der Polyp hat mich schon entdeckt und nun will er wissen, was ich denn so zur Neujahresbegrüßung für ihn hätte. "Hier", sage ich, "haste 20 Naira und nun lass uns durch". "Komm schon", meint der Mann in Uniform, "gib mir 200". "Jetzt übertreibst du aber", antworte ich und erhöhe auf 50. Dann werden die Nagelbretter eingezogen und wir fahren weiter. Nirgends wird die Kleinkorruption so offen betrieben, wie in Nigeria. Langes herumgestammele à la "hier stimmt was nicht und da stimmt was nicht" habe ich hier bisher nicht erlebt. Und wer mir jetzt vorwerfen will, ich würde die Korruption auch noch fördern, kann ja mal in einem Selbstversuch ausprobieren, was passiert, wenn man auf den großen Dienstweg besteht. Mir jedenfalls, sind es die 25 Cent nicht wert.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
Niger
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