Test the West
Geheimnisvolle Welten
Freitag, 30.12.2011
"Morgen marschiere ich in Nigeria ein", hatte ich gestern noch großkotzig per SMS Richtung Heimat abgesetzt. Nun sitze ich in einem Buschtaxi, Marke Peugeot 505 Familial 7-Sitzer, geschätztes Baujahr 1982 und scheiße mir vor Angst bald in die Hosen. Korruption, Öldiebstahl, Entführungen, Vorauszahlungsbetrug und jüngst auch islamistischer Terror. Das sind die Schlagworte, die man mit dem Land assoziiert, das nur wenige Kilometer vor mir liegt. Ich erinnere mich an die Worte des Berliners in Ouagadougou: "Ey, warum machst'n det? Nur damitte sagen kannst, du hast det übalebt?". Dann schießen mir die Ratschläge von Jamar, dem Rastamann aus Niamey, durch den Kopf: "I advise you, no go Nigeria! Nigeria is a very bad place ..."
Ich hatte mir den Beifahrersitz erkauft und am Motor-Park in Maradi ein paar Naira auf dem Schwarzmarkt getauscht. Es gibt kein Zurück mehr. Ich rede mir immer wieder ein, dass es ja so schlimm gar nicht sein kann, also travel and see.
Die Ausreise aus Niger verläuft erwartungsgemäß problemlos. Ich bin jedoch wieder mal er einzige, der Formalitäten zu erledigen hat, während die anderen Fahrgäste im Kombi geduldig vor sich hin schwitzen. Doch auf nigerianischer Seite fängt die Party gerade erst an: Zunächst muss ich zum Zoll, dort soll ich dann irgendein Formular ausfüllen. Da die Formulare allerdings gerade ausgegangen sind, holt der Heini ein ehemals weißes Blatt Papier aus der Schublade, auf dem er nun meine Antworten auf seine dämlichen Fragen schreibt: Name, Anschrift, Alter, Beruf und so weiter, sogar die Adresse meines Arbeitgebers! Für mein Gepäck interessiert sich der Mann vom Zoll nicht, dafür für die Anschrift meines Fahrers, der schon ziemlich genervt mit den Augen rollt.
Nächste Station ist der Einreiseschalter. Hier wird noch mal der gleiche Schmotz abgefragt und in ein Formular übertragen. Ich werde gefragt, wie lange ich bleiben will und überlege einen Augenblick, ob ich nicht ein paar Tage dazu mogeln soll. Angesichts dessen, dass ich schon genug Erfahrung mit den nigerianischen Staatsdienern gesammelt habe, verkneife ich es mir und gebe an, am Freitag wieder ausreisen zu wollen. Dann bekomme ich meinen Einreisestempel und nun bin ich offiziell in Nigeria. Auf dem Weg nach draußen werde ich noch von einer Dame vom Touristenministerium befragt. Ja - richtig gelesen. Das gibt es wirklich, habe aber keine Ahnung was genau dessen Aufgabe ist. Sie will wissen, welche Städte ich besuche, was ich für die Hotels bezahle und so weiter. Zum Schluss sagt sie mir noch, ich soll bei meinem nächsten Besuch auch die Hauptstadt Abuja besuchen. Wird gemacht! ... wenn man mir mal mehr Zeit gibt. In dem letzten Kabuff wird dann noch mein Nachweis über die Gelbfieberimpfung kontrolliert, dann können wir endlich unsere Fahrt in südöstliche Richtung fortsetzen.
Die Reise wird immer wieder wegen irgendwelchen Straßensperren unterbrochen. Mal Gendarmerie, mal Polizei, mal Militär. Manchmal fließt Geld, manchmal nicht. Mag sein, dass das irgendein System hat, ich vermag es allerdings nicht zu erkennen. Das Wort "Dash" ist hier allgegenwärtig. Es bedeutet Trinkgeld, aber auch Schmiergeld. Einige der Beamten scheint der Fahrer zu kennen. Es wird gequatscht und gelacht. Generell sind die Offiziellen hier recht umgänglich und man kann auch mit einem lockeren Spruch die eine oder andere Situation klären. Aber das "Dashen" ist stets die Aufgabe des Fahrers.
Katsina wurde mir empfohlen als sehr entspannte Stadt und guter Ort für Einsteiger in Sachen Nigeria. Aus Zeitgründen erlebe ich das nun weniger entspannt durch die von Rissen durchzogene Frontscheibe der fahrenden Sauna in der ich sitze. Was danach kommt, ist so langweilig, dass sich selbst die Uniformierten nicht mehr blicken lassen.
Die Einfahrt nach Kano erlebe ich genau so, wie ich mir das vorgestellt habe: chaotisch, laut und staubig. Durstig und schweißgebadet sitze ich nun bei einer Außentemperatur von 36° C im Schatten in einem Buschtaxi ohne Schatten mit gefühlten 70° C Innentemperatur welches in einem Megastau gefangen ist. Zum Glück wimmelt es hier von Wasserverkäufern. Doch sobald das kühle Wasser meine Zunge berührt, verdunstet es mit einem lauten zischen (Naja, ganz so war es dann doch nicht). Es wird hier auf Berührung gefahren. Seine Körperteile sollte man aus Sicherheitsgründen besser nie außerhalb des Fahrzeugs ruhen lassen.
Ursache des Staus ist offensichtlich ein defekter Lieferwagen, wie sich später heraus stellt. Die arme Besatzung desselben hat keine Chance, ihn aus dem Weg zu schieben, denn sobald jemand ein wenig Platz macht, zwängt sich ein anderer in die nun freigewordene Lücke, denn man will ja irgendwie vorwärts kommen. Das ist clever und wird bestimmt helfen, den Stau schnell aufzulösen.
An der Endstation gebe ich meinem Fahrer noch ein kleines Trinkgeld für seine Geduld an der Grenze und setze meine Fahrt mit dem Okada fort. Doch kurze Zeit später versinke ich wieder im Chaos. Das Nadelöhr ist eine Brücke über die wir gemeinsam mit etwa 100 Okadas die andere Seite eines Kanals erreichen wollen. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass auf der anderen Seite etwa die gleiche Menge Okadas unsere Seite erreichen will und nun etwa 200 Motorräder auf einer Fläche von etwa zehn mal zehn Meter vor sich hin knattern. Mitten im blauen Dunst: ein Polizist, dem es nur mit großer Mühe gelingt, das Chaos einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Mein Ziel ist das ECWA-Guesthouse in Sabon Gari. Sabon Gari bedeutet auf Hausa etwa so viel wie Neustadt und betitelt ein Viertel, das überwiegend von Fremden bewohnt wird. Die evangelische Kirche in Westafrika (ECWA) betreibt eine ganze Reihe von Gästehäusern in den größten Städten Nigerias. Das Einzelzimmer startet hier bei 2000 Naira, etwa zehn Euro. Ein Blick auf mein Budget verrät mir, dass die Frage nach einem höherwertigen Zimmer überflüssig ist.
Es gibt zwar eine Duschwanne, aber keine Brause, dafür ein Wasserhahn, einen großen Eimer und eine kleine Schüssel. Da mir bekannt ist, wie man damit umgeht und unter Berücksichtigung des Preises, den ich dafür bezahle ist das absolut okay. Etwas gewöhnungsbedürftig ist allerdings, dass das WC direkt an die Duschwanne angrenzt und ich während meiner Sitzung nie so recht weiß, wohin mit meinen Füßen. Das Zimmer ist ausgestattet mit einem Doppelbett mit Nachttischen, einem Schreibtisch und einem großzügigen Sessel. Und es gibt einen Deckenventilator, der aber den nicht vorhandenen Strom braucht, um sich zu bewegen.
Zunächst muss ich ein paar organisatorische Dinge klären. Erstens muss ich unbedingt Wäsche waschen und zweitens brauche ich Geld. Nummer eins kann ich gleich hier abhaken, dazu muss ich nur meine Dreckwäsche morgen früh um sieben an die Rezeption bringen. Letzteres erledige ich im Rahmen meines obligatorischen Orientierungsrundgangs an einem der zahlreichen Geldautomaten per VISA-Karte. Will man eine grobe Abschätzung über den Wechselkurs, so halbiert man den Naira-Preis und hat den Betrag in Eurocent. Meine letzte Aufgabe, bevor ich zum gemütlichen Teil des Tages übergehe, entpuppt sich als kleine Herausforderung:
Ich brauche eine neue SIM-Karte, welche ich auch schnell in der Hand habe. Sie muss allerdings erst noch registriert werden damit man sie benutzen kann, was ich nach Angaben des Händlers von dem ich sie habe ein paar Straßen weiter erledigen kann. Doch dort finde ich dann heraus, dass ich zum Servicecenter des Anbieters dappeln muss. Ich schwinge mich also auf ein Okada und lasse mich direkt dorthin bringen. Die Registrierung läuft auch augenscheinlich recht problemlos, doch später stelle ich fest, dass ich immer noch keine Anrufe oder SMS absetzen kann. Ich ignoriere das, denke das wird schon und mache mich auf die Suche nach einem kühlen Blonden.
Ein solches findet man mühelos in einen der zahllosen Straßencafes in Sabon Gari zwischen Abeokuta Road und Aba Road. Schon kurz nach Einbruch der Dunkelheit geht hier ein Generator nach dem anderen an, dessen Abgase direkt auf die Straßen geleitet werden. Zusammen mit den Emissionen der Okadas entsteht so ein Cocktail aus Benzol, Kohlenmonoxid und Rußpartikel, der wie Reizgas in der Nase brennt und nur mit mehr Bier zu ertragen ist. Gleichzeitig reduziert sich die Sichtweite auf zirka 20 Meter, das aber auch nur im Lichtkegel des Scheinwerfers meines Okadas, das mich am späten Abend zurück zu meinem Gästehaus bringt. Dort angekommen muss ich erst einmal den Nachtportier wecken, der mir nun das schwere Stahltor zum Gelände öffnet. Die Anspannung und die Angst vor erneuten Terrorangriffen sind schon irgendwie zu spüren.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
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