Test the West
Das Gruselhotel
Donnerstag, 12.01.2012
Wenn ich was nicht ab kann, dann ist das wenn man mich belagert, vollquatscht und mir etwas andrehen will, noch bevor ich richtig angekommen bin. So wie jetzt: Ich sitze noch mit einer Arschbacke im Tro-Tro, als mir so ein Spezialist beständig versucht einzureden, dass ich mit seinen Booten viel schneller und billiger über den See komme und dass ich auf die Fähre noch die nächsten Stunden warten werde und - bla-bla-bla...
Ich schicke diesen hektischen Vogel fort und nehme meinen Rucksack vom Dach des Tro-Tro in Empfang. Hier in Ekye (ausgesprochen: Eschey), am Ufer des südwestlichen Ausläufers des Voltasees, muss ich erneut den Stausee überqueren, um dann Richtung Kibi-Juasi Road, der Hauptstraße zwischen Accra und Kumasi, vorzustoßen. Doch die Fähre ans andere Ufer in Adowso kommt tatsächlich erst in zwei Stunden und nach einem kurzen Rundumblick verspüre spontan das dringende Bedürfnis, so schnell es geht diesem trostlosen Kaff zu entkommen.
Moment, was hat der Typ gerade gesagt? Drei Cedi in einem Vier-Personen-Boot? Schnell? Sofort? Versichert? "Hey, hey, hey, hey - warte mal!", ruf ich ihm hinterher, "ich fahr mit!" Dieser Sinneswandel kam jetzt fast zu spät. Er grabscht meinen 18-Kilo-Rucksack, rennt damit ans Ufer, als wären da nur Wattebällchen drin und ruft dem Kapitän eines gerade ablegenden Bootes irgendetwas zu. Ich hechele hinterher und kann mich gerade noch mit einem gekonnten Hechtsprung an Bord begeben.
Manchmal findet man keine Möglichkeiten, seinen Fotoapparat zu zücken. Da bleibt einem nur die Erinnerung und die ist durchaus positiv, wenn ich an den Durchmarsch durch das urige, aus Lehm gebaute Dorf Adowso denken werde. Ich habe keine Ahnung, wo ich hin muss, doch ich bin sicher, dass die anderen Fahrgäste aus dem Boot ebenfalls zum Motorpark wollen. Also latsche ich ihnen nach und finde schließlich, wonach ich gesucht habe: ein Sammeltaxi nach Mpraeso. Warum Mpraeso? Keine Ahnung. Direkt bis Kumasi durchfahren wollte ich nicht und neben Nkawkaw ist Mpraeso der einzige Ort in dieser Region, der im Bradt überhaupt erwähnt wird und zwar als der gechilltere von beiden.
In Mpraeso frage ich den Fahrer, ob er mich in der Nähe des Moonlight Hotels absetzen kann. Doch dieses liegt offensichtlich schon mehrere Kilometer hinter uns. Als Backup habe ich dann noch das - Moment, jetzt muss ich nachschauen - das Ohene Nana Classics auf meinem Fresszettel stehen. Das kommt wohl noch, meint der Fahrer und lässt mich schließlich vor einem ganz anderen Hotel raus. Das steht zwar nicht auf meiner Liste, aber der Typ meint, das sei wohl ganz okay. Muss er ja auch sagen; sonst müsste er ja zugeben, überhaupt keinen Plan zu haben.
Nun stehe ich vor dem Afoanimah Hotel. Drinnen erwartet mich eine gigantische Ankunftshalle in schummrigem Licht. Es gibt so etwas wie einen Empfangstresen, der aber nicht besetzt ist. Also rufe ich in die gähnende Leere nach dem Personal, doch die einzige Antwort kommt von meinem eigenen Echo. Plötzlich kommt eine junge Frau aus irgendeiner dunklen Ecke mit schallenden Schritten auf mich zu.
Ich werde eine Treppe höher geführt. Ein roter schmuddeliger Teppich führt mich über einen langen, spärlich beleuchteten Korridor zu meinem Zimmer. Die perfekte Kulisse für den vierten Teil von Tarantinos From Dusk till Dawn. Als das Mädel, das mich empfangen hat wieder weg ist, habe ich den Eindruck, die einzige sterbliche Person in diesem Gebäude zu sein.
Dem Hotel direkt gegenüber befindet sich ein gemütlicher Spot, in dem ich nun bei einem Star meinen weiteren Reiseverlauf plane; das heißt planen will, denn das Geschehen rundherum ist viel interessanter: Vor einer Garage neben dem Afoanimah Hotel wurden riesige Boxen aufgetürmt, aus denen nun die neuesten Hiplife-Beats auf die Straße hinaus geblasen werden. Hiplife, das ist ein äußerst cooler ghanaischer Musikstil, der den etwas jazzlastigen traditionellen Highlife mit Hip-Hop verbindet und oft auch Einflüsse von Dancehall oder Reggae einschließt. Was es mit dieser Garage auf sich hat, finde ich auch schnell heraus: Hier werden die fetten Boxen nämlich gebaut und unter dem Label New Edition Soundz im ganzen Land vertrieben. Und zwar genau von den Freaks, die gerade das ganze Dorf damit beschallen.
Rechter Hand: eine Schreinerei, dessen Meister dermaßen routiniert an einem Bett arbeitet, dass es einfach nur Spaß macht, zuzuschauen. Sein Werkzeug: ein Fuchsschwanz, ein Schraubendreher, ein Hammer und ein Blatt Schleifpapier. Strom braucht der Mann nicht und während er halb auf der Straße sein Bett fertig zimmert, tanzt er zu den Rhythmen aus den Boxentürmen. Es sind diese Augenblicke, in denen man sich eine Videokamera in den Pupillen wünscht. Diese Szenerie ist im eher geordneten Europa nur schwer vorstellbar. Doch ich hab's in meinem virtuellen Kasten und zweifele keine Sekunde daran, dass die Strapazen, die ich auf mich nehme, das Geld und die Zeit, die ich in eine solche Reise investiere, auf keinen Fall durch irgendetwas auf der Welt zu ersetzen wären.
Mpraeso und Umgebung ist bekannt für seine guten Wandermöglichkeiten. Eine wirkliche Wanderung ist zwar zeitmäßig nun nicht mehr drin, aber für einen ausgedehnten Spaziergang reicht es allemal. Nicht aber, bevor ich versucht habe, den Boxenbauern ein paar CDs mit dieser verdammt geilen Mucke abzuschwatzen. Mit Erfolg, jedoch müssen erst noch Rohlinge beschafft werden und ich soll gegen Abend noch mal vorbei kommen.
Nach meinem Spaziergang erkunde ich noch ein wenig den Ort und lasse mich kurz darauf in einem kleinen Straßencafé inmitten der Stadt nieder. Dessen Besitzerin ist gerade mit Geld zählen beschäftigt und kommandiert ihre etwa zwölfjährige Tochter zum Bedienen ab. Als mich der Hunger packt, erfahre ich, dass hier kein Essen serviert wird, doch die resolute Inhaberin stellt mir ihre Tochter zur Seite, die mich nun zu einem nahe gelegenen Restaurant führt. Gebratener Reis mit Hühnchen habe ich gewählt - sehr lecker. Bin eigentlich nicht so der Reisfan, aber der hier ist echt spitze.
Am Abend will ich mir dann noch die CDs abholen, aber der Boxenladen hat schon zu. Also hocke ich mich in den Spot gegenüber und lasse den Tag bei einem Star ausklingen. Plötzlich wird es duster und still. Ein Raunen geht durch den ganzen Ort; der Strom ist weg. Aber zum Glück hab ich da schon mal was vorbereitet. Ich hole meine Taschenlampe aus dem Holster und bestelle schnell noch ein Bier, bevor es warm wird.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
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