Test the West

Reisezeit: Dezember 2011 - Januar 2012  |  von Stefan O.

Ein Sonntag im Staub

Sonntag, 18.12.2011

Als ich vom Putzlärm geweckt werde, habe ich keinen blassen Schimmer, wie spät es ist. Mein Zimmer hat nämlich kein Fenster. Erst die Uhr auf meinem Handy verrät mir, dass es bereits neun Uhr ist. Viel später realisiere ich, dass die Uhr schwindelt, da ich gestern unbemerkt eine Zeitzone durchstoßen habe. Während in Burkina Faso nämlich GMT-Zeit gilt, befinden wir uns jetzt in der so genannten WAT-Zone (West Africa Time), was wieder unserer mitteleuropäischen Zeit entspricht. Lange Rede ohne Sinn: Es ist bereits zehn Uhr Ortszeit, höchste Zeit also für einen Sonntagsspaziergang. Doch zunächst muss ich mir noch eine nigrische SIM-Karte für mein Handy kaufen. Das ist aber überraschend schnell für 1000 CFA im nächsten Shop erledigt.

Ich verlasse die Siedlung im etwas abgelegenen Stadtteil Plateau-Yantala und marschiere auf dem Boulevard de l'Independance in Richtung Zentrum, glaube ich wenigstens. Die Gegend hier ist recht öde und trostlos. Die Straße ist in einem guten Zustand und ziemlich breit; gesäumt von der Kanalisation, die hier wie fast überall in Westafrika in offener Bauweise errichtet wurde. Daneben befindet sich ein ziemlich breiter Streifen aus Nichts, das heißt einfach Sand und vereinzelt ein paar Bäume; hat irgendwas von Todesstreifen an der ehemaligen DDR-Grenze. Das ist sozusagen Fußweg, Parkplatz und Verkaufsfläche zugleich. In den paar massiven Gebäuden am Straßenrand sind meist irgendwelche Organisationen untergebracht, aber auch einige Banken. Als einige Zeit später der Sportpalast und das dahinter befindliche Fußballstadion links neben mir auftaucht, bestätigt sich, dass ich auf dem richtigen Pfad bin - noch. Dann beleidigt rechts von mir ein gigantischer dampfender Müllhaufen meine Pupillen, in dem Hunde und Ziegen gemeinsam mit Menschen nach etwas Verwertbarem suchen. Ich habe den gestern schon aus dem Busfenster gesehen. Kein schöner Anblick, aber auch das ist Afrika.

Die staubigen Straßen von Niamey

Die staubigen Straßen von Niamey

Schon bald verwandelt sich die Kulisse fast schlagartig in ein lebendiges, beinahe chaotisches Bild. Die Straße ist plötzlich nur noch einspurig in jede Richtung, das heißt, eigentlich zweispurig, doch die jeweils rechte Spur haben die Fußgänger einverleibt, weil nämlich auf dem eigentlichen Fußweg ein riesiger Markt ist. Genau genommen kann man Straße, Fußweg und Markt gar nicht mehr voneinander trennen. Der Grande Marché, den ich weiter südlich vermute, explodiert sozusagen bis in diese Zonen hinein. De facto ist ab hier die ganze Stadt ein einziger Markt.

Der Boulevard de l'Independance macht einen Knick nach rechts. Ich folge ihm und werde langsam ungeduldig. Weit kann die City eigentlich nicht mehr sein, aber ich habe keinen Stadtplan und den dicken Lonely Planet wollte ich nicht mit mir herumschleppen. Fragen kann ich auch niemanden, da ich ja quasi schon im Zentrum bin. Was soll ich sagen, wo genau ich hin will? Ich weiß es ja selbst nicht. Und dann alles auch noch auf Französisch. Der Weg ist das Ziel, also stapfe ich weiter in gleißender Hitze von einem brennenden Müllhaufen zum nächsten, vorbei an Menschen, die in die Abwassergräben schiffen, während andere ihre Taxis waschen und das keimige Waschwasser zusammen mit dem Lecköl im Sand versickert. Zum Glück bin ich gegen alles Mögliche geimpft, nur gegen diesen beißenden Gestank von einer Mischung aus verkohltem Plastik, Abgasen und dem Kochfeuer der Streetfood-Verkäufer nicht, der wie Zunder in der Nase brennt.

Ich erreiche die Avenue de l'Islam und biege instinktiv nach links ab. Als dann einige Kilometer weiter linker Hand die legendäre Grande Mosquée in Erscheinung tritt, wird mir klar, dass ich offensichtlich schön einmal um die City herum gedackelt bin. Ich muss weiter rechts, das tue ich auch. Verschwitzt und durstig erreiche ich nach wenigen hundert Metern dann die rettende Oase: ein kleines Hotel, einfacher afrikanischer Standard, aber mit Bar und Restaurant. Meinen Durst lösche ich mit einer Cola und setze ein paar SMS nach Hause ab. Die Zeit vergeht plötzlich sehr schnell und als mir wenig später der Ranzen brummt, wird die Köchin angerufen. Sie empfiehlt mir die Bratspieße mit Pommes. Die sind auch schweinelecker, jedoch mit 4000 CFA in einer Lokalität wie dieser nicht gerade billig.

Am Nachmittag setze ich meinen Marsch fort, doch schon nach einem Kilometer habe ich irgendwie das Gefühl, dass ich außer Dreck und Gestank nicht mehr viel zu erwarten habe und da es auch mal an der Zeit ist, sich mit dem öffentlichen Nahverkehr hier auseinander zu setzten, halte ich das nächst beste Taxi an. Die Taxis agieren hier als Sammeltaxi und fahren immer in die Richtung, die vom ersten Passagier angefordert wird. Wenn man nun mitfahren will, macht man sich bemerkbar und ruft dem Fahrer sein Ziel zu, sobald er langsamer wird. Fährt er in die Richtung, kann man einsteigen und wird direkt bis vor die Haustür befördert. Fährt er woanders hin, wartet man auf das nächste Taxi und versucht sein Glück noch einmal. Selten dauert es mehr als fünf Minuten bis man in einem Taxi sitzt, außer man hat eher ein exotisches Ziel. Ich habe Glück und werde gleich von dem ersten mitgenommen. Was mir gleich auffällt ist, dass die Taxis mit fünf Personen (inklusive Fahrer) voll sind und keinen weiteren Fahrgast aufnehmen. Das kenne ich aus anderen Entwicklungsländern anders. In Jamaika zu Beispiel ist ein Sammeltaxi erst dann voll, wenn Körperteile der Passagiere aus dem Fahrzeug heraus quillen.

Ich schließe den Tag in meiner Stammbar in der Nähe meiner Unterkunft. Meine Lieblingskellnerin, später finde ich heraus, dass sie Aischa heißt, will mir schon ein Castel holen, ich bevorzuge heute jedoch ein Flag. Leider beschränkt sich die Unterhaltung jedoch auf mein grottenschlechtes Französisch, da sie nicht ein einziges Wort Englisch spricht.

© Stefan O., 2012
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Die Reise
 
Worum geht's?:
"Burkina Faso - Ist da irgendwas?", "Wo liegt Niamey?" und "Ist Lagos nicht die gefährlichste Stadt der Welt?" Diese und andere Fragen wurden mir gestellt, bevor ich los zog um nach Antworten zu suchen. Das Motto: "Travel and see"
Details:
Aufbruch: 13.12.2011
Dauer: 6 Wochen
Heimkehr: 20.01.2012
Reiseziele: Burkina Faso
Niger
Nigeria
Togo
Ghana
Der Autor
 
Stefan O. berichtet seit 15 Jahren auf umdiewelt.
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