Test the West
Grenzwertig
Freitag, 06.01.2012
Chaotische Szenen im Terminal des sonst bis ins Detail durchorganisierten Busunternehmens ABC-Transport: Vor dem Fahrkartenschalter wartet eine Traube von Menschen auf dessen Eröffnung. Eine resolute Dame vom Typ Mama Afrika versucht hier Ordnung hineinzubringen und teilt das Knäuel in zwei Warteschlangen auf. Eine für die Buchung, eine zweite zur Bestätigung von Reservierungen. Und da ich ein Sonderfall bin, mache ich gleich mal eine dritte Schlange für Leute auf, die mit dem Chef sprechen wollen. Als dann zwei Mitarbeiterinnen, eine davon ist die Tante von gestern, die beiden Schalter besetzen, verschweißen sich die Reihen im vorderen Teil wieder zu einer Wulst zusammen, aus deren Innerem ich mir Gehör zu verschaffen versuche. Einige Zeit später stehe ich vor dem Boss, der nach einem kurzen aber geschulten Blick auf mein Visum den Steward meines Busses heran holt und ihm mit kurzen klaren Worten erklärt, wie dieses Visum funktioniert, dass es gültig ist und was er im Falle der Nichtakzepanz an den Grenzen zu tun hat.
Ich bekomme einen Platz im Gang. Die Gardinen sind verschlossen. Was draußen passiert, bekomme ich nicht mit, aber hier drinnen ist es auch recht amüsant. Die Tür geht auf und ein Priester betritt den Bus. Er bekommt das Mikrofon und beginnt nun mit seiner Predigt. Er schreit und singt, dann singen alle und immer wieder segnet er den Bus, bittet den Herrn, uns zu beschützen. Ein paar Amen und Hallelujas später verlässt er den Bus wieder und nimmt noch das ein oder andere Trinkgeld mit, das ihm die Passagiere hinhalten. Dann werden Speisen und Getränke gereicht. Es gibt Keule vom Gummiadler auf scharf gewürztem Reis. Leider nur lauwarm, aber der Hunger treibt's rein. Auf dem großen Plasmafernseher im vorderen Teil des Busses laufen derweil lustige Nollywoodstreifen auf höchster Lautstärke.
Ehe ich mich versehe, stehen wir an der Grenze zu Benin. Von den etwa 20 Straßensperren, die angeblich auf dieser Strecke positioniert sind, bekomme ich nichts mit. Ich glaube, ABC-Transport hat ein Abkommen mit den offiziellen Stellen, dass sie unterwegs nicht belästigt werden. Allein dafür hat sich der hohe Preis für das Busticket schon mal gelohnt. Die Lagos Badagry Road ist bekannt für die höchste Dichte dieser nervtötenden Kontrollposten in ganz Westafrika. Selbstfahrer wählen daher gern den etwas entspannteren Weg über Idofa/Kétou, zirka 100 Kilometer nördlich von hier.
Bevor ich meinen Ausreisestempel bekomme, muss ich mir die Frage gefallen lassen, ob ich einen Wohnsitz in Niger hätte. Das muss ich natürlich verneinen. Warum dann mein Visum dort ausgestellt wurde, will mein Gegenüber nun folgerichtig wissen. "Weil, öhm ...", dann fällt mir die rettende Antwort ein: "Das ist ein Transitvisum und da ich bereits schon länger auf Tour bin, musste ich es von unterwegs beantragen". Dann erläutere ich meine Reiseroute und untermale meine Ausführungen mit dem Verweis auf die entsprechenden Stempel in meinem Pass. Das klingt für den Herrn Beamten schlüssig und ich bekomme meinen Stempel.
In Benin müssen alle Passagiere aussteigen und zu Fuß über die Grenze marschieren. Der Steward führt mich durch das Labyrinth der afrikanischen Bürokratie, während die anderen Fahrgäste geschlossen den Schlagbaum passieren. Dann: heftige Diskussionen - der beninische Grenzer will mir weismachen, dass mein Visum hier nicht gilt und ich mir ein neues kaufen muss. Der Steward klärt ihn auf, doch der Uniformierte bleibt hartnäckig und behauptet, dass man für jedes Land ein eigenes Visum brauche. Ich mische mich ein und widerlege diese Hypothese nachdrücklich mit meinem nigrischen Einreisestempel, der ohne ein separates Visum in meinem Pass glänzt. Man muss hier manchmal etwas energischer werden, das hab ich inzwischen begriffen. Die Sache wird zurück gestellt und der Steward stempelt die Pässe der übrigen Passagiere selbst!
Der Mann von ABC-Transport reagiert äußerst routiniert und professionell. Wir wechseln die Straßenseite und sprechen mit dem Chef der Bande. Ein schmächtiger unaufgeregter Typ, der sich unser Anliegen geduldig anhört und dann sorgsam mein Visum prüft. Datum, Ausstellort und Gültigkeit - alles in Ordnung. Der Steward bittet ihn darum, das seinem Gorilla persönlich zu stecken und eine Minute später habe ich den Einreisestempel im Pass. Geht doch! Alleine hätte ich aber womöglich in Unkenntnis von Hierarchie und Zuständigkeiten irgendwann aufgeben müssen.
Benin - Geburtsstätte des Voodoo. Noch heute bekennen sich über 17 Prozent der Bevölkerung zu dieser geheimnisvollen Religion. Eigentlich wollte ich auch hier ein paar Tage verbringen, wegen der verlorenen Zeit in Niamey erlebe ich das jedoch nun so zusagen im Schlaf. Einfahrt in Cotonou: Soweit ich das durch den kleinen Spalt zwischen Gardine und Fensterrahmen sehen kann, eine einigermaßen saubere und geordnete Stadt. Okadas gibt es hier auch. Dessen Fahrer tragen einheitliche gelbe T-Shirts und geben sich so als Fahrer offizieller Motortaxis zu erkennen. Der Bus steuert auf einen Parkplatz. Einige Leute steigen hier aus, noch mehr ein. Viel Zeit wird nicht verplempert. 120 Kilometer ist die Küste von Benin lang, dann kommt schon die Grenze zu Togo. Hier geht es nicht ganz so chaotisch zu wie an der Nigerianisch-Beninischen-Grenze. Mein VTE-Visum wird ohne Diskussion anerkannt. Ich werde sogar noch freundlich darauf hingewiesen, dass es nur für die einmalige Einreise gültig ist, ich also nicht wieder einreisen darf, sobald ich das Land einmal verlassen habe. Das habe ich bei meiner Planung jedoch schon berücksichtigt.
Ich bin der einzige, der in Lomé den Bus verlässt. Ich gebe dem Steward ein großzügiges Trinkgeld und schon fahre ich auf der Sitzbank eines Okadas auf dem Boulevard de la Marina mit Ziel Hôtel le Galion in westliche Richtung. Würde ich nur einen Kilometer weiter fahren, stünde ich vor der Grenze zu Ghana, aber da will ich später noch hin. Linker Hand: der berüchtigte menschenleere weiße Sandstand von Lomé, der angeblich so kreuzgefährlich ist. Zum einen wegen der Gauner und Ganoven, die dort wohl ihr Unwesen treiben und zum anderen wegen der starken Unterströmung des Meeres. Baden ist hier also nicht möglich. Doch so menschenleer wie immer behauptet wird, ist der Strand gar nicht.
Die Gäste im Hôtel le Galion sind ausschließlich Europäer, die meisten von ihnen Franzosen oder Schweizer. Traditionsgemäß wähle ich das günstigste Zimmer: eigenes Bad, Moskitonetz und Ventilator - alles da. Letzterer macht allerdings Geräusche, die mich an eine alte Propellermaschine aus dem zweiten Weltkrieg erinnern und das Bad - Naja, einfacher Standard aber noch nie war es so unerlässlich wie heute. Das ahne ich allerdings noch nicht.
Ich nehme mir ein Okada zurück in die Innenstadt. Lomé macht einen sehr aufgeräumten, im Vergleich zum bisher gesehenen eher reichen Eindruck. Das ist natürlich gleichzeitig auch die Kehrseite der Medaille: Wo Geld ist, sind auch jede Menge zwielichtige Gestalten unterwegs. Jeder will dir irgendwas verticken, Geld tauschen oder sonst wie an deinem Vermögen teilhaben. Das bin ich in diesem Ausmaß nicht gewöhnt. Unmöglich, hier vernünftige Leute kennen zu lernen. Woran sich meine Augen auch erst noch gewöhnen müssen, sind die vielen Weißen, die hier durch die Straßen schwabbeln. Ich gehe Geld holen, eine neue SIM-Karte kaufen und mache mich dann wieder auf den Rückweg zum Hotel.
Ich setze mich draußen an einen Tisch und ordere ein kleines Flag. Urplötzlich fängt mein Magen an zu grummeln; dann muss ich flitzen. Reisediarrhö? Jeder zweite Fernreisende leidet früher oder später daran. Dabei war ich stets bemüht, die goldene Backpacker-Regel einzuhalten: "Cook it, peel it or forget it!", sonst hätte es mich wohl schon früher erwischt. Streetfood gilt, sofern es direkt vor deinen Augen zubereitet wird, in der Regel als sehr sichere Nahrungsquelle.
Mein Magen hat sich wieder beruhigt. Ich kehre zurück an meinen Tisch und studiere die Speisekarte. Auf einmal fühle ich mich krank. Ich zahle meine Rechnung und nehme noch eine große Flasche Wasser mit auf mein Zimmer. Dann kommt der Gummiadler vom Bus wieder zum Vorschein und ich gebe auf. Heute ist Freitag, da sollte einiges gehen Downtown und auch hier im Hotelgarten spielt heute eine Liveband. Ich pfeife mir jedoch lieber zwei Imodium und eine Malariatablette als Ersatz für die ausgekotzte ein und mache das Licht aus.
Aufbruch: | 13.12.2011 |
Dauer: | 6 Wochen |
Heimkehr: | 20.01.2012 |
Niger
Nigeria
Togo
Ghana