Chile und Patagonien - Wohin der Wind uns weht
Punta Arenas
Unsere Fahrt nach Punta Arenas startete erst um 10.00 Uhr morgens und dauerte auch nur drei Stunden. Damit mussten wir Reinhards Geburtstag, der es ja nun einmal war, wenigstens nicht komplett als Reisetag abschreiben, sondern konnten uns zumindest für den Nachmittag und den Abend noch etwas vornehmen.
Direkt nach unserer Ankuft in Punta Arenas wurden wir - so waren wir es ja jetzt schon gewöhnt - von verschiedenen Hostalbetreiberinnen angesprochen. Eine von diesen bemühte sich ganz besonders um uns. Ely, so ihr Name, half uns schon im Verkaufsgespräch mit jeder Menge Informationen weiter, ohne dass sie uns zunächst als Gäste gewinnen konnte. Denn auch wenn sie sehr nett war und kostenfreien Transfer zu der Unterkunft und zurück anbot, wollten wir doch erst den Ausflug zu den Pinguinen klarmachen. Denn wir hatten gehört, dass diese immer zeitig ausgebucht sind. Deshalb schlugen wir Ely's Angebot aus und machten uns auf den Weg zu einer der Agenturen, die die Pinguintouren anboten. Aber da hatten wir nun gerade einmal Pech. Just in diesem Moment war alles zu, vielleicht war ja gerade kollektive Mittagspause oder so etwas. Also gingen wir über zu Plan B und schauten uns doch noch ein paar Herbergen an. Aber die Empfehlungen, die wir von Paulette bekommen hatten, passten uns entweder nicht oder hatten gerade nichts frei. Dann also zurück zu den Werbezetteln der Hostalbetreiber, wo uns natürlich der von Ely's House gleich wieder in die Hände fiel. Wir machten uns auf den Weg dorthin, fast schon an den Stadtrand. Dabei mussten wir auch am städtischen Friedhof vorbei. Der war uns zwar nicht als Unterkunft angeboten worden (das wäre ja auch makaber zu Lebzeiten und so schlecht sahen wir auch nicht aus). Vielmehr sei dies der schönste Friedhof in Südamerika, den in Buenos Aires mal ausgenommen, und daher wollten wir ihn uns unbedingt noch anschauen.
Doch zuvor mussten wir ja erst einmal eine "echte" Unterkunft haben. Und kaum, dass wir bei Ely reinmarschierten und ¡Hola! riefen kam von ihr auch schon ein grosses freudestrahlendes Hallo zurück. Ely zeigte uns alle Doppelzimmer mit eigenem Bad (ein Novum, das wir mal ausprobieren wollten), die sie zur Verfügung hatte und wir konnten uns eines raussuchen. Und noch bevor wir unsere Sachen auspacken konnten waren wir von ihr auch schon auf Tee, Kaffee und Butterkekse eingeladen. Also, das war bisher der herzlichste Empfang, den wir bereitet bekommen hatten!
Bei der Gelegenheit fragte Ely auch gleich, ob wir denn Erfolg gehabt hätten mit dem Buchen des Ausflugs zur Pinguinkolonie. Das mussten wir ja verneinen. Aber sie meinte, das sei gar kein Problem, entpuppte sich sogleich als perfekt aktualisiertes Touristeninformationsglossar und stellte uns die verschiedenen Optionen ausführlich vor. Wir verschluckten uns fast an unserem Heissgetränk! Hier in Chile bekommt man die besten Informationen wirklich in den Hospedajes! Die Erfahrung machten wir jetzt schon zum zweiten Mal. Dagegen sind die "offiziellen" Touristenbüros völlig verschlafen und unwissend, was wir auf dieser Reise auch schon erfahren hatten.
Nachdem wir unsere Verwirrung überwunden und den Wust an Möglichkeiten sortiert hatten entschieden wir uns für einen Ausflug zum Seno Otway. Kaum hatten wir das ausgesprochen meinte Ely sie werde gleich mal telefonieren, wann noch Plätze frei seien und war auch schon verschwunden bevor wir überhaupt dazu kamen überrascht zu sein. Ein halbe Tasse Tee später stand sie wieder vor uns mit der freudigen Info, dass wir noch am selben Nachmittag zu dieser Kolonie fahren könnten. Da seien noch genug Plätze. Natürlich sagten wir zu.
Seno Otway
Unsere Tour startete am Nachmittag um vier mit dem Bus. Das bedeutete, wir würden nach der ca. einstündigen Fahrt genau dann an der Kolonie sein, wenn die Alttiere vom Fischen zurückkommen und sich dann an die Fütterung ihres Nachwuchses machten. Kaum hatten wir die Stadt verlassen, ging es auch schon mal wieder auf eine Schotterstrasse, die unser Busfahrer wahrscheinlich wie seine Westentasche kannte. So fuhr er zumindest und das schloss kurze Drifts in den Kurven (mit dem Bus!!!) ein. Wahrscheinlich machte er es zeitweise deshalb so eilig, weil er sowieso einige Male anhalten würde, um uns auch anderes patagonisches Getier zu zeigen. Denn davon hatten wir zumindest - von ein paar Vögeln, einigen einzelnen Guanacos und einem Fuchs (alles im Torres del Paine) mal abgesehen - bisher kaum etwas gesehen. Wie uns alle Leute versichert hatten habe das daran gelegen, dass dieser Sommer wirklich sehr kalt sei und auch die Tiere blieben genau aus dem Grund noch lieber in ihren Verstecken. Auf dem Weg zur Kolonie sahen wir dann aber zuerst ein und später noch einen kleinen Verband eines typischen patagonischen Tieres:
Und dann war da auch noch ein neugieriger kleinerer Pampabewohner unterwegs:
Mit diesen ersten tierischen Eindrücken des Tages gingen wir dann in die Kolonie der etwa 11.000 am Seno Otway lebenden Magellanpinguine rein. Diese Kolonie ist zwar verhältnismässig klein und weniger beeindruckend als die mehrer hundert tausend Tiere zählende Kolonie auf der Isla Magdalena, die wir von Punta Arenas auch hätten erreichen können. Aber trotzdem bekamen wir ja genau so intime Einblicke in das Leben dieser flugunfähigen Vögel.
Die Jungtiere tragen zunächst einmal Flaumfedern. Zu der Zeit unseres Besuches sind sie üblicherweise schon in der Mauser und stehen kurz vor ihren ersten Gang ins Wasser.
Nach einer Stunde in der Kolonie, in der uns der Wind mal wieder kräftig um die Nase geweht hatte, machte sich unser Bus wieder auf den Rückweg. Und dieses Mal waren die Manöver auch etwas weniger halsbrecherisch. So waren wir am frühen Abend wieder wohl behalten zurück in der Stadt.
Reinhards Geburtstagsfeier
Der Busfahrer liess uns direkt an der Plaza, dem zentralen Platz raus, den jede südamerikanische Stadt besitzt. Von dort aus lief Christina zielsicher in die falsche Richtung. So jedenfalls schien es Reinhard, der sich wunderte, dass Christina jetzt einen Schaufensterbummel machte. Das war ja völlig untypisch! Aber bitte, er wäre der letzte, der sich dagegen wehren würde. Er hätte das schon viel früher getan, um mal zu sehen was hier gerade so Mode ist. Wir beide spielen halt doch gerne mal verkehrte Welt.
Reinhards Verwunderung war dann vollends komplett, als Christina plötzlich vor einer Tür stehen blieb und meinte: "So, hier gehen wir heute Essen." Moment mal, dachte Reinhard, der sich eigentlich schon auf ein ganz anderes Lokal eingestellt hatte. Was sollte das denn jetzt? Aber da Reinhard sowieso Hunger hatte spulte sich in seinem Kopf nur ab: "Egal, hier gibt es auch was zu Essen. Dann halt eben hier. Auch gut."
Das Restaurant, das Christina so zielsicher angesteuert hatte, war der Tenedor Libre Chino. Tenedor libre heisst hier so viel wie Buffet und speziell dieses Restaurant war Christina von Ely empfohlen worden. Daher auch die Zielsicherheit. Und für eine Feier "im kleinen Kreis" mit einem hungrigen Geburtstagskind war dies wirklich passend. Denn schon beim Reinkommen bekam Reinhard leuchtende Augen ob der Länge des Buffets gefüllt mit vielen verschiedenen frischen Salaten, Gemüse, Beilagen, einigen Sorten Fleisch und Pasteten, Fisch, Dessertcremes, Torten und Obst.
In Deutschland sind wir ja meist alles andere als begeistert, wenn es Buffet gibt. Denn was wir in der Heimat schon häufig erlebt hatten, ist folgendes: Der erste bei der Suppe fischt zielsicher die maximale Menge an Markklöschen aus der Suppe und häuft seine Tasse so voll, dass gar keine Suppe mehr reinpast und die Klöschen drohen herunterzukullern. Der nächste drängelt sich dann an einem vorbei, um sich schnellstens die Garnelen auf der Paella zu sichern und seiner Begleitung mit stolz geschwellter Brust noch zwei überlässt. Und wenn das Eis zum Nachtisch aufgefahren wird entsteht sowieso eine riesige Schlange. Und meist entsteht durch diese Hetze einiger weniger Gäste ein solcher Stress, dass das die ganze Stimmung in dem Lokal versaut.
Hier aber war das völlig anders. Die Leute stellten sich nicht an, sondern schlenderten gemütlich um die Riesentafel, um sich hier und da eine Kleinigkeit auf den Teller zu tun. Und die Platten und Pfannen waren irgendwie immer voll, ohne das wir das Nachfüllen bewusst wahrgenommen hätten. Das machten die Angestellten völlig dezent und perfekt organisiert. Die Atmosphäre war super gemütlich und so stopften wir uns in aller Gemütsruhe derartig voll, dass wir uns am Ende kaum mehr bewegen konnten.
Dann "plötzlich" - als wir schon gezahlt hatten und eigentlich im Gehen waren - ertönte aus den Lautsprechern die chilenische Version von "Zum Geburtstag viel Glück", in das die anwesenden Gäste direkt einfielen. Reinhard stand die Überraschung überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Als dann die Kellnerin noch eine echte chilenische Geburtstagstorte (die ist bei einem Geburtstag hier nämlich Pflicht) mit zwei Gläsern Sekt brachte, war sein Gedanke: "Mein Gott, wer soll denn die jetzt noch essen?"
Da wir wirklich beide mehr als satt waren, nahmen wir die Torte nach dem Genuss des Sekt einfach mit, um sie später irgendwann zu essen. Die Überraschung war echt gelungen und Reinhards Freude darüber liess ihn (und dem entsprechend auch Christina) strahlen.
Am nächsten Morgen gratulierten dann auch noch Ely und alle Familienmitglieder Reinhard nachträglich und wir machten gemeinsam die Torte platt. Denn Ely`s House hatten wir dies ja auch zu verdanken. Im weiteren Verlauf des Morgens beschäftigten wir uns noch ein wenig mit dem Lecken unserer Wunden.
Doch das heutige patagonische Wetter lockte uns bald vor die Tür. Denn wir hatten Sonne mit nur etwas Wind und damit perfekte Bedingungen, um draussen zu sein.
Der Friedhof von Punta Arenas
Also besuchten wir den städtischen Friedhof, der mittlerweile auch ein Nationaldenkmal ist. Punta Arenas hat ja als Stadt schon ihre besten Zeiten hinter sich, sagt man. Diese beste Zeit war die Zeit in der Schafbarone gewesen, die sich hier ab 1876 angesiedelt hatten. Denn dann war die Erlaubnis zur Schafzucht erteilt worden. Und wenn man sich diese Landschaft hier anschaut, diese bis zum Horizont reichenden nur mit Gras und Büschen bewachsenen Ebenen und Hügel, dann kann man sich auch kaum etwas anderes als erfolgsversprechende Industrie vorstellen. Und genau die war es auch damals und zog einen ganzen Rattenschwanz von weiteren Handwerken nach sich, so dass Punta Arenas durch das "weisse Gold", die Schafswolle, ihre Blütezeit erlebte. Dies kann man heute noch an den Tempeln sehen, die sich die Schafbarone Braun und Menèndez hier als Familiengrotten errichten liessen.
Auch den Unterschied zwischen arm und reich, der auch hier damals herrschte, kann man wirklich auffällig deutlich an den unterschiedlich grossen und aufwendigen Gräbern erkennen.
Heute dominieren mit Kunstblumen geschmückte "Regalgräber" den neueren Teil des Friedhofs.
Damit wurde nun auch Punta Arenas schon langsam wieder Geschichte. Denn die nächste Windböe war gerade dabei uns zu erfassen. Er wehte er uns weiter nach Ushuaia, der südlichsten Stadt des südamerikanischen Kontinents.
Aufbruch: | 01.12.2006 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 09.02.2007 |
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