Rückenwind
Peru: Amazonas
Der Amazonas stand eigentlich nicht auf meiner Reiseliste. Doch mein ueberdehntes Aussenband von der Colca-Tour fordert eine kleine Planaenderung. Der Reisegott gab mir mal wieder eine Zitrone und was daraus werden sollte, ist mehr als Limonade, es sollte das beste Zitronensorbet aller Zeiten werden.
Nach einer kleinen Rechereche finde ich den Schamanen Don Juan in Iquitos am Rio Amazonas. Aus reiner Neugierde am Schamanismus buche ich einen Flug in eine Stadt, die nur per Boot oder Flieger erreichbar ist. Dort leben sage und schreibe 400.000 Menschen, ohne Zugang zum Strassennetz Perus. Ich werde freundlich von der Familie empfangen. Es rennen ca. 10 Kinder und Enkel durchs Haus. Ein wilder, liebenswuerdiger und absolut gluecklicher Haufen.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Wie ein Schamane arbeitet, welche Medizin er einsetzt. Aber vor allem, was ist das fuer ein Mensch? Zum ersten Fruehstueck erzaehlt er mir in zwei Stunden seine Lebensgeschichte. Ich kann kaum glauben, dass dieser Mann erst 61 ist. Das Erlebte reicht fuer drei Leben. Optisch sieht er jedoch wie ein Mittvierziger aus, voller Energie. Don Juan war im Vietnam, hat drei Jahre bei den Shaolin gelebt und den 23 Kammern eine 24. mit einer geistigen Pruefung hinzugefuegt. Das sagt schon mal sehr viel ueber seine Faehigkeiten aus. Seine Reisen brachten ihn auf alle Kontinente auf der Suche nach der am staerksten heilenden Medizin. Am Ende ist er bei Ayahuasca gelandet, dass nur in einer Zeremonie eingenommen wird. Seine Schueler Sonja und Chris koennen nicht fassen, dass ich nicht weiss, was Ayahuasca ist. Na ja, ich bin wohl blauaeugig, aber sehr neugierig in diese Mission gestartet. Neben seiner starken heilenden Kraft wirkt es halluzinogen. Die gesehenen Bilder sind Visionen ueber die Gegenwart, Zukunft. Du kannst der Medizin Fragen stellen, die in Bildern beantwortet werden. Grosse Skepsis macht sich in mir breit. Wo bin ich nur gelandet? Sind die noch zurechnungsfaehig? Das Haus ist auch noch eine Bretterbude mit kaum Komfort, Ratten flitzen durch mein Zimmer.
Der erste Tag ist ein Schock in vielerlei Hinsicht. Ich nehme mir aber vor mich fuer eine komplett andere Denk- und Lebensweise zu oeffnen und zu bleiben. Ich nehme mir auch vor den Ratten den Garaus zu machen.
Also hoere ich weiter Don Juans schier unglaublichen Geschichten zu. Meine Stirn legt sich standardmaessig in Falten und ich fuerchte nach zwei Wochen Amazonas mit Joschka Fischer angesprochen zu werden. Doch das parallel einsetzende Kopfschuetteln gleicht den Falteneffekt aus.
Am zweiten Tag besuchen wir den endlos grossen Markt von Iquitos. Hier wird alles angeboten ueber Gemuese, Obst, Fisch, Fleisch, Haushaltswaren, Kleidung und Dschungelmedizin. Wir gehen durch die Medizinstrasse und Don Juan erklaert mir nur zoegerlich, was wogegen wirkt. Er spuert wohl meine Skepsis und ist mir gegenueber zurueckhaltend. Das kann so nicht weitergehen. Ich erzaehle ihm von meinem Rattenkonzept. Die Familie hatte schon alles versucht, erfolglos. Ich kaufe Fisch, mixe ihn unter das Gift. Ich erklaere ihm, was ich vorhabe und langsam naehern wir uns an.
Abends erlebe ich meine erste Zeremonie. Doch davor moechte ich gerne duschen. Aber es gibt kein warmes Wasser, keinen Boiler. Hier ist es normalerweise so warm, dass du mit Regenwasser duschen kannst. Also waermt mir Leonor, Don Juans Frau, einen Topf Wasser mit 6-7 Liter. Da steh ich nun mit einem Topf und einer kleinen Schale, ueberlege, wie ich damit sauber werden soll. Ich verduenne das heisse Wasser mit kaltem, giesse es aeusserst sparsam ueber Haare und Koerper. Ich nutze jeden Tropfen, biege und strecke mich, bevor er nutzlos auf den Boden faellt. Es funktioniert tatsaechlich! Am Ende habe ich noch zwei Liter heisses Wasser zum Planschen ueber. Noch nie habe ich mich so ueber zwei Liter Wasser gefreut. Ich bin restlos gluecklich mit meiner Spardusche. Mir wird der Luxus, unsere Selbstverstaendlichkeit von heissem Wasser bewusst. Wir machen uns darueber keine Gedanken, drehen einfach den Mischer auf und duschen, bis die Luft im Bad einem Dampfbad gleicht. Wir haben grenzenlos Wasser und Energie verfuegbar und verschwenden ohne gleichen.
Die Zeremonie ist ein ganz grosses Erlebnis. Ja, man kann sagen, ein heiliges Ritual. Du spuerst das mit jedem Atemzug. Ich bin sehr dankbar, dass ich dies erleben darf. Es sind auch einige Peruaner anwesend, die ein Leiden heilen lassen wollen. Don Juan singt Icaros. Lieder, die zur Kommunikation mit den Geistern der Welt, zur Heilung und zur Belebung der Visionen durch Ayahuasca gesungen werden. Ich erlebe nun hautnah, was mir Sonja und Chris erzaehlt haben. Jedes Wort stimmte, meine Zweifel verfliegen. Der Schamane holt jeden einzeln zu sich, klopft mit einem Reissigbesen auf Herz, Kopf, Bauch und den restlichen Koerper. Damit klopft er die guten Geister in den Koerper des Patienten, die ihn heilen sollen. Es geht im Schamanismus sehr viel um Geister, Kraefte und Energie.
In den naechsten Tagen lerne ich sehr viel ueber die Heilkunst im Schamanismus. Wir machen Ausfluege auf dem Amazonas und in den oertlichen Zoo. Don Juan geht mit mir nochmal auf den Markt und erzaehlt mir nun ausfuehrlich, welches Holz gegen Arthritis, welche Pflanzen gegen Sinusitis, Halsschmerzen, Durchfall und andere Alltagskrankheiten wirken. Und das sind die einfacheren Dinge. Er heilt auch schwerste Depressionen, Aids oder chronische Hepatitis. Oh, ein Wunder! Ist es aber nicht. Es ist nur eine logische Konsequenz seiner Heilkunst.
Ich erzaehle ihm von meinem Leistenbruch. Eine Geschichte, die mich seit 15 Jahren begleitet, drei Operationen mit durchwachsenem Erfolg. Er sagt nur: Trinke Ginseng Tee! Ich sehe ihn verwundert an: Das ist alles? Hast du noch eine andere Medizin? Er: Nein, zwei Tassen pro Tag, eine morgens, eine abends. In vier bis acht Wochen ist die Hernie weg. Die Chinesen kennen dieses Problem nicht, weil sie regelmaessig den Tee trinken. - Dann laesst er mich im Garten stehen und geht in die Kueche. Ich bleibe mit offenem Mund zurueck. Tausend Dinge gehen durch meinen Kopf. Drei OPs fuer die Katz, ich fluche auf die Schulmedizin. Ginseng kannst du an jeder zweiten Ecke kaufen. Warum weiss das bei uns keine Sau? Hat das Methode in unserer Medizin? Warum wird Naturmedizin konsequent von unseren tollen Aerzten ausgeblendet? Sind die privaten Beihilfen der Konzerne wichtiger? Inzischen trinke ich seit knapp drei Wochen Tee und spuere eine deutliche Besserung der Hernie. So einfach und unkompliziert. Ohne OP-Schmerzen, lange Regenerationsphasen und Rezidiv.
Die zweite Woche verbringen wir im Dschungel, halten dort Zeremonien ab, entspannen in Haengematten und machen kleine Wanderungen durch die Waelder. Don Juan erklaert uns, wie man im Dschungel ueberleben kann. Ein Baum, dessen Saft so oelig ist, dass er als Fackel benutzt werden kann. Eine Nuss, die nahrhafte Wuermer enthaelt und im Notfall verspeist werden. Wir entdecken jede Menge Heilpflanzen, dessen Borke oder Blaetter zur Heilung von etlichen Krankheiten helfen. Einen Baum mit Nadeln am Stamm, die von Scharlatanen verwendet werden, um anderen Leuten ueber die Distanz ein Herzleiden zuzufuegen. Kein Arzt kann ein Symptom feststellen. Nur ein Schaman kann den Fluch aufheben. Leider gibt es sehr viele Scharlatane unter den Schamanen, die den Ruf der guten schaedigen.
Zwei wundervolle Woche sind nun um. Leonor kann inzwischen wieder durchschlafen, da die Ratten ihr letztes Licht gesehen haben. Ich bin froh, dass ich damit wenigstens ein bisschen etwas an Don Juan und seine Familie zurueckgeben konnte. Gegen dieses Problem war auch ein Schamane machtlos. Das macht ihn wieder ein wenig menschlich.
Es waren die lehrreichsten zwei Wochen meines Lebens. Ich habe sehr viel ueber Dschungelmedizin und mich selbst erfahren, habe sehr viele Erkenntnisse erlangt, dessen Verarbeitung noch ein paar Wochen andauern werden. Ich bin kein neuer Mensch, aber um eine grossartige Erfahrung und die aussergewoehnlichste Begegnung meines Lebens reicher.
Aufbruch: | 31.01.2010 |
Dauer: | 14 Monate |
Heimkehr: | 31.03.2011 |
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