Rückenwind
Zambia: Ticondane
An dieser Stelle warne ich dich vor, dass dir am Ende dieses Berichts Rauch aus deinen Ohren steigen wird. Du wirst dich durch den laengsten Text meiner Reise gekaempft haben. Dein schlechtes Gewissen wird beim Lesen langsam ueber die Wirbelsaeule nach oben klettern und dir mit einem dicken Fragenkatalog permanent auf den Hinterkopf schlagen. Die Fragen kann ich dir allerdings nur begrenzt beantworten.
Auf unserem Weg durch Sambia verbringen wir eine Nacht im Ticondane Community Centre, einer Organisation fuer Entwicklungshilfe. Die Fuehrung am naechsten Morgen laesst mich einen spontanen Entschluss fassen. Ich moechte zwei, drei Wochen mithelfen und einen Einblick in die Arbeit der Organisation kriegen. Die ernuechternde Fahrt durch das Land weckt in mir ein paar Arbeitsgeister, die sich seit elf Monaten im Tiefschlaf befinden. Ich will mal wieder anpacken und helfen. Jan bleibt einen Tag und macht sich auf den Weg nach Malawi. Irgendwo im Sueden Mosambiks wollen wir uns um die Jahreswende wieder treffen.
Ticondane wurde vor zehn Jahren von einer Deutschen gruendet, ja, aus dem Boden gestampft. Kern des Centers ist die Schule mit 600 Schuelern, die eine kostenlose Ausbildung und taeglich eine freie Mahlzeit erhalten. Oft bleibt es die einzige Mahlzeit fuer die Kinder. Bildung ist hier ein teures Gut und nur wenigen vorbehalten. Wenn das Geld nichtmal fuer ausreichend Nahrung reicht, wie soll dann noch eine Ausbildung bezahlt werden? Der Staat ist gefordert, hat aber selbst kein Geld. Oder es versickert im absolut korrupten politischen System. Tico hat mit der Hilfe von Spendern eine Schule geschaffen, die beduerftigen Kindern eine Chance gibt.
Derzeit laeuft ein Projekt mit Solarlampen, die den Menschen Licht spenden und als Ladestation fuer Handys dienen. Stromanschluss gibts in den Doerfern nicht, also werden Kerzen verwendet und Handys zu Ladestationen gebracht. Auch wenn die Menschen fuer Neuerungen wenig offen sind - Tradition ist oberstes Gesetz, so haben es Handys und Cola bis in den hintersten Winkel Afrikas geschafft.
Ich fahre in ein Dorf zur Ausgabe der Lampen mit und erklaere, wie das Solarpanel funktioniert, eben nur in der Sonne und nicht in der Lehmhuette, wie Kabel angeschlossen, die Lampe eingeschaltet und Akkus geladen werden. Da faengst du ganz vorne an. Kurz nach der Erfindung des Rads. Die Leute bezahlen mit Geld, Ziegen, Schweinen, Mais oder Hasen.
Es werden Projekte mit den umliegenden Doerfern zum Brunnenbau und in der Landwirtschaft angekurbelt. Stell dir eine Familie vor, die auf ein paar Hektar Land ihre Kulturen anbaut, alles von Hand bestellt und kein Geld fuer Betriebsmittel wie Duenger, Pflanzenschutz oder gar Geraete hat. Nachhaltiges Wirtschaften sollte oberste Devise sein. Ist sie aber nicht. Stattdessen bauen die Familien Jahr fuer Jahr Mais an. Zwar billig und anspruchslos im Anbau. Fuer den Boden langfristig der absolute Killer durch Erosion und Naherstoffmangel. Aber Mais wurde eben von den Englaendern in der Kolonialzeit propagiert. Seither halten die Sambier an dieser Kultur fest. Die Englaender sind ja auch nicht gerade beruehmt fuer ihre Kueche. Sie haben in Afrika den groessten Sauladen unter der Sonne hinterlassen, nicht nur in der Kueche.
Die Loesung des Problems ist Permakultur. Nachhaltige Landwirtschaft mit einem Buendel an Kulturen wie Mais, Hirsen, Erbsen als Stickstoffsammler, Tomaten, Karotten, Auberginen, Sonnenblumen und Bananen sowie viele andere. Weg von der Monokultur Mais. Alles ohne Einsatz von Kunstduenger und Pflanzenschutz. Doch damit ist nur ein Baustein geschaffen. Denn was soll man bitte mit Karotten oder Erbsen kochen? Als weiterer Baustein musst du also parallel die Kueche umgestellen. Damit nicht genug. Die Menschen haben die Vorstellung, dass ausser Nsima, ein Maisbrei, der schmeckt wie Griessbrei ohne Geschmack, nichts satt macht. Alles ist langwieriger Prozess und die Hilfe wird nur schleppend angenommen.
Hinzu kommt das Phaenomen Hunger. Ich behaupte, dass der Hunger in Sambia hausgemacht ist. Niemand muss hier Hunger leiden. Den Familien steht ausreichend Land zur Verfuegung. Das Klima ist gut und eroeffnet alle Moeglichkeiten im Anbau. Von der Ananas bis zur Zimtstange. Einzig fehlt den Menschen der Antrieb etwas zu veraendern, eigene Ideen zu kreieren, Dinge auszuprobieren. Stattdessen wird an althergebrachtem festgehalten und nichts veraendert. Das macht es fuer Entwicklungshelfer doppelt schwer.
Neben mangelnder Kreativitaet kommt noch der Faktor Mann hinzu. Das Geld aus dem Maisverkauf geht an den Mann, der es fuer Alkohol, Frauen und sonstige Vergnuegen verwendet. So steht den Familien in den Hungermonaten von Dezember bis Maerz wenig Nahrung zur Verfuegung. Keiner macht sich Gedanken, wieviel Tonnen Mais die eigenen Aecker hergeben? Wieviel Mais zur Ernaehrung der Familie pro Jahr benoetigt wird? Oder gar wieviel Kinder aus den Aeckern ernaehrt werden koennen? Wieviel Mais folglich verkauft werden kann? Fuer uns logische Fragen. Wenn du sie hier stellst, erhaelst du keine Antworten. Man lebt heute und nicht morgen. Wenn es zu wenig gibt, stirbt eben jemand. So war es schon immer.
Meine urspruengliche Idee ist es in der Landwirtschaft ein paar Impulse zu geben. Ich merke aber schnell, dass ich dort unter zwei Jahren nichts bewirken kann und suche mir ein anderes Projekt. Die Praesentation eines Solarofens durch das angrenzende Krankenhaus fuehrt zu einer Idee. Der vorgestellte Ofen wird aus Holland vertrieben, ein Pappkarton mit Aluminumbeschichtung, Halbwertszeit ein Regenschauer. Kartoffeln kochen darin geschlagene fuenf Stunden. Eine Todgeburt des hollaendischen Marketing, einfach nutzlos. Bei den anwesenden Frauen wird das Desaster gluecklicherweise erkannt, zerstoert aber vertrauen fuer andere Projekte der Entwicklungshilfe.
Ich sinniere, ob ich einen Ofen mit vor Ort erhaeltlichem Material bauen kann, der auch noch funktioniert. Recherchiere im Internet und setze mich mit dem Schreiner Austine bei Tico zusammen. Er versichert, dass wir alles im Ort erhalten und machen uns auf den Weg. Als erstes brauchen wir Holz. Allerdings gibts hier keine Obi-Planken. Das Material wird aus einer 6 m-Planke mit einer Kreissaege geschnitten. Die Teile sehen aus, als waeren sie waehrend eines mittleren Erdbebens durch die Saege gejagt worden. Ich schuettle den Kopf und frage mich, wie ich daraus einen Ofen basteln soll. So tragen wir wie die Eichhoernchen ueber Tage das Material zusammen. Schrauben, Wellblech vom Kesselmacher, Farbe, Scharniere, Baumwolle zur Isolation und Glas. Odysseus wuerde sich ueber unsere Irrfahrt ins Faeustchen lachen.
Aber wir finden alles, was wir brauchen und zimmern den Ofen zusammen. Austine und ich haben vom Ofenbau soviel Ahnung wie Giraffen vom Kugelstossen. Aber es klappt, wir beraten uns immer wieder und stehen nach zehn Tagen Bau grinsend vor dem fertigen Objekt. Jetzt kommt der grosse Test. Schlagen wir die Hollaender? Wir kochen Wasser und anschliessend Kartoffeln. Der Ofen funktioniert und kann nun handgefertigt in Serie gehen. Austine ist ganz heiss auf den Ofenbau und ich verspreche ihm meine Hilfe bei seinem Vorhaben. Ich hoffe, dass meine Zeit und Muehe eine kleine Veraenderung in Sambia gebracht hat. Ein Mosaikstein in der Entwicklungshilfe, der sich nun selbst weiterentwickeln soll.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Menschen hier vieles selbst in der Hand haben. Boden und Klima eroeffnen den Sambiern alle Moeglichkeiten. Einzig der Wille zur Veraenderung fehlt. Die Kolonialherren haben vieles an die Wand gefahren, worunter die Menschen heute noch leiden. Was wir Europaeer vermurkst haben, wird nun heute von den Chinesen in Raubrittermanier weitergefuehrt. Hilfe setzt oefter am falschen Ende an und ist aus der Sicht eines dienstleistungs- und komsumgesteuerten Kopfes gedacht. Geld- und Sachspenden fuehren nur zu einer Gewoehung und hemmen den eigenen Antrieb zur Veraenderung. Du kannst soviel tun und musst dabei aber mit den einfachsten Dingen anfangen. Du musst den Menschen helfen sich selbst zu helfen.
Neben allen Hilfsbestrebungen darf ich einem Geistertanz im Dorf von Bendson, eines Tico Mitarbeiters beiwohnen. Ein tief beeindruckendes Erlebnis. Die Damen tanzen sich in einer Huette in Trance und bewegen sich immer zum gleichen rhythmischen Getrommel. Die Maenner stuermen furchteinfloesend aus dem Wald, maskiert und schreiend. Es sind bewegende und unvergessliche Momente, die mir einen grossartigen Einblick in die Kultur der Sambier geben.
Die Menschen, die ich kennengelernt habe sind die hoeflichsten, herzlichsten und freundlichsten auf unserem Planeten. Immer wirst du gefragt, wie es dir geht. Aber nicht als Floskel, sondern aus Interesse. Dies ist die positive Seite eines Landes, deren Menschen Zeit fuer die wesentlichen Dinge wie Freunde und Familie aufbringen. Die Arbeit ist voellig zweitrangig. Alles laeuft ein paar Gaenge langsamer als gewoehnlich. Selbst fuer mich als entschleunigter Reisender ist es nach elf Monaten eine kleine Herausforderung die Menschen nicht zu ueberfordern und deren Tempo mitzugehen. Der Blick in das Leben der Sambier ist Gold fuer mich wert. Die Menschen sind gluecklich und zufrieden, mit wenig materiellem Besitz. Der Schatz ist die Familie.
Aufbruch: | 31.01.2010 |
Dauer: | 14 Monate |
Heimkehr: | 31.03.2011 |
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