Rückenwind
Peru: Tocllaraju
Die Cordillera Blanca ist ein Hochgebirgszug der Anden im Norden Perus und ein Paradies fuer Wanderer und Bergsteiger. In der Region um Huaraz liegen alleine 50 Berge ueber 6.000 m. Nachdem ich etliche Touren gemacht und viele Berge umrundet habe, soll es nun Zeit fuer etwas besonderes sein. Ich nehme mir die Besteigung eines 6000ers vor. Bevor es ins Hochgebirge geht, mache ich eine kleine Runde zur Akklimatisierung an die Laguna 69 auf 4.600 m. In den letzten Monaten habe ich unzaehlige Lagunen gesehen, und diese verdient sich ihren Namen tatsaechlich. Ein eisblauer Gletschersee, der zum Baden einlaedt, aber leider viel zu kalt dafuer ist.
Zwei Tage spaeter starten wir unsere Tour zum Nevado Tocllaraju mit 6.034 m, ein steiler Weg zum Dach Perus. Unser Team ist ausgestattet mit den Fuehrern Hector und Miguel, Koch Cesar und meinen Kompagnons Andres und Arturo aus Kolumbien sowie Reinhold Burkhart. Die Tour ist ueber vier Tage angesetzt und startet an einem kleinen Kiosk als Spaziergang mit Mauleseln in das Basislager Ishinca auf 4.400 m. Dort verbringen wir die Nacht, passen uns an die Hoehe an und tanken Kraft fuer die kommenden zwei Tage.
Am zweiten Tag steigen wir vom Basislager ins Moraenenlager auf 5.100 m an. Dort ist die derzeitige Eisgrenze in der Cordillera Blanca. Derzeitig, weil sich die Grenze stetig nach oben verschiebt, in 15 Jahren wird der Gebirgszug aufgrund des Klimawandels eisfrei sein. Gleichzeitig hoere ich aus Deutschland, dass unsere unfaehige Regierung die Laufzeit fuer Atomkraftwerke verlaengert und sich dabei saemtliche Asse aus dem Aermel ziehen laesst. Zugegeben ist diese Energieform CO2-neutral, aber wohin denn nun mit dem Muell, Atom-Angela? Ein Fall fuer XY ungeloest. Ich appelliere daher fuer eine rektale Endlagerung der Brennstaebe bei den Beteiligten aus Regierung und Energiekonzernen. Aber genug der Politik. Bevor die schwarz-gelben Leser rot anlaufen und sich gruen aergern.
Der Gang durch die Moraene ist aeusserst muessig und steinig. Auf dem letzten Stueck wird mir auch noch uebel und ich schreibe die Besteigung des Gipfels innerlich schon ab. Wenn ich auf dieser Hoehe schon krank werde, wird es weiter oben nicht besser. Ich spreche darueber mit unserem Fuehrer, der mir umgehend einen Coca-Tee kocht. Nach drei Tassen war die Uebelkeit vergessen. Dieser medizinische (!) Tee wirkt Wunder.
Wir gehen mit Sonnenuntergang schlafen, da wir nachts um zwei die Besteigung in Angriff nehmen. Nachts ist der Schnee hart, also das Risiko von Lawinen geringer und Gletscherspalten zugefroren. Wir gehen zwei Stunden in vollkommener Stille, so, als wollten wir das Eis nicht aufwecken. Die Eislandschaft wird vom Mond schimmernd ausgeleuchtet. Der Aufstieg macht Spass, ich geniesse die Umgebung in vollen Zuegen.
Doch dann kommts, eine 10 m hohe, senkrechte Eiswand. Ich mosere mit den Fuehrern:"Wie soll ich da hochkommen?" Ich hab vom Eisklettern so viel Ahnung, wie ein Pferd vom Stabhochsprung. "Mach dir keine Sorgen, hau einfach die Axt ins Eis und zieh dich hoch!", so die simple Antwort. Also haue ich einfach mal die Axt ins Eis und ziehe mich hoch. Ich klebe wie ein Gecko an der Wand. Es klappt tatsaechlich, nur kostet es Unmengen Kraft.
Langsam geht die Sonne auf, wir sind schon vier Stunden unterwegs, noch 400 m bis zum Gipfel. Der Weg windet sich von Schneehuegel zu Schneehuegel, harte Steigungen, keine Flachpassage. Meine Atmung ist am Anschlag, obwohl ich das Tempo schon auf ein Minimum reduziert habe. Mein Koerper plaediert jede Sekunde auf Abstieg. Einatmen und ausatmen. Warum ist unsere Lunge nur so altmodisch? Warum kann ich nicht in einem Zug ein- und ausatmen? Wie ein moderner Verbrennungsmotor mit mehreren Ventilen. Da ich die Evolution bei einer Besteigung nicht im Zeitraffer aendern kann, wird der restliche Weg ein reiner Kampf gegen den Koerper. Nur mit Willen kann ich die Besteigung noch schaffen. Ich bin voellig abgevespert und zwinge mich den Berg hoch. Jeder Schritt ist eine Qual.
Damit nicht genug. Unter dem Gipfel stehe ich vor einer schier unueberwindbaren Huerde. Eine weitere Eiswand mit 100 m und 70 Grad Gefaelle. Ich gebe innerlich kurz auf, doch dann meldet sich der Wille wieder. Noch 120 m bis nach oben, ich kehre die restlichen Fetzen Energie in meinem Koerper zusammen, schlage die Axt ins Eis und klettere hoch. Noch 20 m, ich taumle auf den Gipfel zu. Auf den letzten Metern hab ich Tranen in den Augen vor Erleichterung, Freude und Schmerz. Falle in den Schnee und ringe nach Luft. Ich habs geschafft! Nach ueber sechs Stunden. Auch wenn ich dabei fast in alle Einzelteile zerfallen bin, ich bin oben!
Der Abstieg wird ein Kinderspiel in fuenf Stunden. Wir tanken im Moraenenlager Suppe und gehen weiter ins Basislager. Von dort blicke ich minutenlang auf den Berg. Die ganze Besteigung geht mir nochmal durch den Kopf. Hector beobachtet mich und meint nur: "Se siente bien! (Das fuehlt sich gut an)" Ich sage, "Si" und laechle.
Aufbruch: | 31.01.2010 |
Dauer: | 14 Monate |
Heimkehr: | 31.03.2011 |
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