L'autentica Sardegna - Tour durch das eher unbekannte Sardinien

Reisezeit: August - Oktober 2017  |  von Uschi Agboka

Die sardische Gesellschaft heute

Die sardische Gesellschaft heute

Die sardische Gesellschaft heute

Sardinien hat in den letzten 50 Jahren einen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel verzogen. Aus einer nach uralten Regeln, überwiegend in großen Familienverbänden organisierten Hirten- und Kleinbauernkultur mit dem Padrone als unumschränkten Herrscher über den Clan wurde das Land in radikal kurzer Zeit in die Moderne katapultiert.

Industrie-, Dienstleitungs- und Wissensgesellschaft – die patriarchalische Struktur mit der Großfamilie konnten diesen gewaltigen Sprung nur im Einzelfall überleben.

Sardinien bewegt sich heute im Spannungsfeld zwischen unverrückbar strengen sozialen Riten und Regeln der Urgroßväter und der von Unverbindlichkeit geprägten Kultur der westlichen Informationsgesellschaft.

Der Pinedda – Hirtenhütte – ohne Strom und Wasser stehen die glasfaserverkabelten Finanzpaläste gegenüber.

Während in vielen Bergdörfern und Köpfen noch der seit Jahrhunderten gültige Verhaltenskodex das Zusammenleben bestimmt, pulsiert in den Städten nach dem Motto „Erlaubt ist, was gefällt“ die enttabuisierte, schnelllebige Warengesellschaft.

In der Anbetung der Götzen – Auto, Fußball und Handy, dem neben der Familie wichtigsten sozialen Bindeglied, stehen die Sarden den Festlanditalienern in nichts nach. Auch der Drang nach den eigenen vier Wänden steigt, man sieht es am ständig wachsenden Bauboom.

In den Städten schießen trostlose Neubauviertel in die Höhe, soziale Spannungen in der Zukunft sind vorprogrammiert – oft stranden hier die Söhne und Töchter der Hirten und Bauern auf der oft erfolglosen Suche nach Arbeit und Vergnügen. Hauptursache der Landflucht sind neben schlechter Verkehrsanbindung und fehlender Infrastruktur die horrende Arbeitslosigkeit und damit verbundene Perspektivlosigkeit der jungen Menschen. Dem Boom der Küsten und Städte steht ein Ausbluten des Landes gegenüber.

Die sardischen Frauen

Anders als bei den italienischen Nachbarn ist die Stellung der Frauen auf Sardinien. Zwar bleibt vornehmlich bei den jungen, berufstätigen Sardinnen die Aufgabe, die Auseinandersetzung mit den althergebrachten Strukturen zu führen. Diese sind auf Sardinien weit weniger patriarchalisch als in anderen mediterranen Kulturen.

Auch heute noch ist die Rolle der Frau Hüterin von Haus und Nachwuchs zu sein, doch junge Paare suchen oft neue Wege. Die Souveränität der Frau wurde von alters her in der sardischen Gesellschaft hoch geachtet und das weibliche Geschlecht als ebenbürtig angesehen und respektiert. Dies erklärt sich wohl daher, dass der sardische Mann als Hüter der Herde für viele Monate im Jahr durch die Berge zog, also fern der Familie und der Dorfgemeinschaft. So mussten die Frauen den Alltag schultern und die öffentlichen Belange der Gemeinschaft selbständig organisieren. Noch heute sind in vielen Gemeinden Sardiniens auch von Männern gewählte Bürgermeisterinnen im Dienst.

Interessant ist auch, dass es in der sardischen Sprache kein Wort für „Vergewaltigung“ gibt – die Rede ist dann von „sfloraméntu“ als Defloration. Man erlebt es kaum, dass ein sardischer Mann eine Sardin chauvinistisch als Objekt betrachtet und entsprechend behandelt. Und wenn doch, weiß sich die Sardin derart zu wehren, dass er kein zweites Mal auf diese Idee kommt.

Der gesellschaftliche Aktionsradius der Sardin ist groß. Viele Läden, Geschäfte, Restaurants, Hotels etc. werden von Frauen gemanagt. Auch im Mittelbau von Politik, Wirtschaft und Verwaltung hat die sardische Frau sich ihren Platz erobert. Nur die oberste Spitze ist noch weitgehend eine Männerdomäne.

Das Selbstbewusstsein der jungen Mädchen und Frauen drückt sich auch in den Dörfern durch einen offenen Lebens- und freizügigen Kleidungsstil aus. Was jedoch nicht bedeutet, dass sie die tradierte Sexualmoral abgeschüttelt haben. Stolz und verführerisch trifft man sie häufig, „oben ohne“ am Strand eher selten.
Während ihre Brüder keine Sanktionen befürchten müssen, intime Erfahrungen mit Touristinnen sammeln zu können, ist dies einer Sardin meist nur in der offiziellen Ehe möglich. Erst mit der Eheschließung tritt man in ein selbstbestimmtes Leben ein, daher wird meist sehr jung geheiratet.
Es ist allerdings frappierend zu erleben, wie öffentlich voreheliche Abenteuer auf Parkplätzen ausgelebt, wie offen Seitensprünge und Nebenverhältnisse von Mann und Frau gelebt werden. Diskret und vorsätzlich blind verhalten sich die anderen dazu.

Die alten Bräuche und Traditionen finden gerade bei jungen Menschen erheblichen Anklang und stehen nicht im Gegensatz zu Handy, Internet und Multimedia. Die öffentlichen Trachtengruppen haben regen Zulauf der jungen Menschen. Die vielfältigen Realitäten – Tradition und Moderne - koexistieren im heutigen Sardinien zwar nicht immer reibungslos, aber doch meist sehr verträglich.

© Uschi Agboka, 2018
Du bist hier : Startseite Europa Italien Die sardische Gesellschaft heute
Die Reise
 
Worum geht's?:
2017 - Italien - Tour durch das eher unbekannte Sardinien - L'autentica Sardegna Teil 1 - Anreise 31.08. bis 06.09.2017 Teil 2 - Sorgono 7. 15.09.2017 Teil 3 - Arbus 16. bis 21.09.2017 Teil 4 - Villamassargia - 22.09. bis 2.10.2017 Teil 5 - Heimreise 3. bis 5.10.2017
Details:
Aufbruch: 31.08.2017
Dauer: 5 Wochen
Heimkehr: 05.10.2017
Reiseziele: Italien
Der Autor
 
Uschi Agboka berichtet seit 17 Jahren auf umdiewelt.
Bild des Autors