2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
Zu den Berbern: in der Welt der Lehmbauten
von Ksar Ghilane nach Tataouine
Wir verabschieden uns von Ksar Ghilane, dem kristallklaren Quellpool, den uralten Tamarisken, den auf Kundschaft wartenden Quads und fahren, nicht ohne uns noch einmal beim Bäcker frisches Brot haben backen zu lassen und Ibrahim in seinem Shop besucht zu haben, auf einer Piste aus Sand und groben Steinen in Richtung Osten.
Nach etwa zehn Kilometern in schleichender Fahrt über Sand und Fels erreichen wir schließlich die Asphaltstraße, so dass wir nun zügiger und fahrzeugschonender vorwärts kommen.
Links und rechts der Fahrbahn erheben sich zunehmend kahle, vom Zahn der Zeit abgetragene Sandsteinberge, in die längst nicht mehr existierende Flüsse über Jahrmillionen tiefe Täler gefressen haben. Der Verkehr auf dieser Straße ist übersichtlich. Hin und wieder kommt uns ein alter Peugeot 404 mit voll beladener Ladefläche entgegen, auf dem alles Denkbare oder auch Undenkbare von A nach B transportiert wird. Über die Fahrerkabine eines dieser Fahrzeuge ragen meterhoch aufgetürmte Säcke. Es kommen uns Berge von Strohballen entgegen. Ziegen meckern uns eingepfercht an. Aus noch einem anderen Pickup sehen wir zwei rückwärts festgebundenen Dromedaren hinterher, die, stoisch dreinblickend und immer mit dem Kopf in einer Höhe, die Bodenwellen ausgleichen. Diese alten Peugeots sind nicht kaputt zu kriegen und fahren schon seit 40 Jahren auf diesen Straßen.
Ksar, Ksour, Lehmbauten
Wir fahren nach Tataouine, um uns die in diesem Gebiet noch existierenden Speicherburgen anzusehen. Eine Ansammlung von in Waben übereinander geschachtelten Lehmbauten um einen mit einem Eingangstor abgeschlossenen Platz nennt sich Ksar. Viele von ihnen sind verfallen, da der Zahn der Zeit eine permanente Restaurierung erfordert, das Geld dafür aber nicht vorhanden ist. Andere sind gut in Schuss und werden als Speicher, als Café, oder als Laden genutzt.
Die Glücklichen unter den Ksour (dem Plural des Wortes Ksar) sind zu einem Hotel oder einem Restaurant herausgeputzt worden. Um diese herum sind Pflanzungen angelegt, die regelmäßig gewässert werden, was den Anschein einer intakten Welt suggeriert und hübsch anzusehen ist.
Auffällig an den Lehmbauten sind die höhlenartigen Räume mit je einer Öffnung zum gemeinsamen Innenhof, über denen in zwei, drei oder vier Etagen weitere Gewölbe gebaut sind.
Ksar Ouled Soltane
In Ksar Ouled Soltane, unserem ersten Ksar, finden wir das „Culturel Café“.
Einer der Räume der sehr aufwendig restaurierten Lehmbautenansammlung ist gekachelt, die Decke ist weiß verputzt und hinter dem niedrigen Eingang - „Vorsicht! Kopf einziehen“ - steht ein Tresen, auf dem wir einen frisch zubereiteten Türkischen Kaffee serviert bekommen. Wir erfahren von unserem Kaffeewirt, dass jeder dieser Räume einer Familie gehört. Von seinem Ururgroßvater habe er diesen Raum übernommen, und er hatte die Idee, Touristen die hierher kommen, mit seinem Café ein kleines Gefühl des Willkommenseins zu vermitteln.
Stolz zeigt er uns seine eigene Web-Seite auf seinem Smart-Phone.
Auch der Maler mit weißem Kapuzenpulli und dunkler Sonnenbrille, der in seinem eigenen Raum ein Atelier eingerichtet hat und die Ansichten des Ksar als Aquarell auf starkem Papier oder auf glatten Steinen zum Kauf anbietet, gesellt sich zu uns. Er kann gutes Englisch, so dass wir von ihm etwas vom schwierigen Leben im Ksar erfahren.
Die Frage nach einer Übernachtungsmöglichkeit für uns in Ksar Ouled Soltane fand unser Kaffeewirt gar nicht so abwegig.
„Stellt Euch neben der Schule auf den Parkplatz. Dort habe ich auch mein Haus. Es ist hier sicher. Ihr braucht keine Bedenken zu haben.“
Wir fahren auf den angegebenen Parkplatz, beschließen aber wegen des übertrieben starken Windes, der aus den Bergen auf diese Anhöhe herunterdrischt, doch ins nächste Tal zu fahren. Dort finden wir hinter einem dichten Hain aus uralten Olivenbäumen einen windgeschützten, von der Landstraße nicht einsehbaren Platz für unsere nächste Nacht.
Ksar Ezzahra
Es hat geregnet heute Nacht. Seit zwei Jahren warten die Einheimischen darauf, dass es endlich mal wieder regnen möge. Und heute Nacht pladderte es gegen unser Zeltdach. Unser dunkler Geländewagen ist vom sandhaltigen Regen vollständig gesprenkelt. Ein neues Dekor für unser Auto. Könnte man sich überlegen, ob man das Fahrzeug nicht gleich mit diesem Muster lackieren lassen sollte.
In dem kleinen Ort Ksar Ezzahra halten wir an. Von der Straße aus gibt es hier nicht viel zu sehen. Ein paar Häuser mit den üblichen Moniereisen zum Aufstocken der Gebäude auf den Dächern, zwei, drei Geschäfte und das offizielle Gebäude mit der roten tunesischen Flagge auf dem Dach. Und dann ist da noch ein großer Komplex aus unverputzten, groben und fensterlosen Mauern mit tonnenförmigen Dächern, der, viel zu groß für diesen kleinen Ort, wie eine Festung vergangener Zeiten wirkt.
Wir gehen in den Innenhof der Lehmburg, und jetzt bleibt uns die Spucke weg. Diese Speicher sind fast vollständig restauriert. Die Wände sind verputzt und alle Öffnungen sind mit einem weiß getünchten Rand versehen, so dass dieses Ensemble etwas Lebendes hat. Die Öffnungen sind nicht mehr tot. Alles um uns herum versprüht Lebendigkeit.
Die grünen Palmen in der Mitte des Innenhofes machen das Gesamtbild des gut erhaltenen Ksar zu einer kleinen Gefühlsoase. Es ist sehr angenehm hier zu verweilen, die irrwitzigen Treppenverläufe von den sich übereinander windenden Stufen, die an den Wänden emporzuklettern scheinen, zu verfolgen. Auch scheint man beim Bau dieser Treppen weder Lineal noch Wasserwaage verwendet zu haben.
Trapezförmige Stufen reihen sich mit schrägen Trittflächen in jeweils unterschiedlicher Höhe aneinander, überbrücken ohne jede Art von Geländer oder sonstigem Halt die jeweilige Etage und schrauben sich, über und untereinander verwunden, mit anderen Treppengebilden bis in die höchsten Ebenen hinauf.
Und das alles hat nur Bestand wegen der hier vorherrschenden trockenen Wüstenluft. Denn durch Regenfluten werden schnell Rinnen in den Lehm gegraben, die Mauern, Dächer und Treppen zusammenbrechen lassen.
Das ist das traurige Bild, das sich uns in den meisten anderen Lehmburgen bietet.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |