2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien

Reisezeit: April - Juni 2022  |  von Michael Bünte

im Norden: Sidi Bou Saïd

Eine hübsche Polizistin

Hier wollten wir uns unbedingt noch einmal umsehen. Dieser hoch auf einem Felsen gelegene berühmte Ort, mit weiß getünchten Häusern, hellblauen Türen, Fensterläden und Gittern und mit pinken, roten und gelben Bougainvillea übersät, ist in der Kunstwelt bekannt. In diesem Ort sind drei Maler, August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet auf ihrer Tunisreise im Jahre 1914 zu neuen Ausdrücken ihrer Kunst inspiriert worden. Die Farbenpracht, das Licht und die Atmosphäre dieses Ortes hoch über dem Meer haben eine neue Stilrichtung in der Kunst bewirkt.
Diese Atmosphäre, wenn wahrscheinlich heute auch touristisch angereichert, wollten wir selbst erfahren.
Doch zunächst heißt es, sich um einen Übernachtungsplatz zu kümmern.
Der Parkplatz vor dem Strand kostet hier eine Parkgebühr von zwei Dinaren - aber pro Stunde (!), nicht pro Tag, wie sonst im Land.
Die öffentlichen Parkplätze hier sind allerdings wegen ihrer Lage zwischen dem Strand und den Hotels für uns sowieso völlig ungeeignet.
Wir wollen uns gerade zur Marina aufmachen und werden prompt von einem zahnlosen Fischer, der kurz zuvor dankend unsere trockenen Brotreste genommen hat, gewarnt, dass man hier sehr schnell eine Radkralle verpasst bekommt.
„Danke, das ist freundlich von Ihnen, uns darauf aufmerksam zu machen.“
Also fahren wir auf seinen Rat hin zunächst runter vom Parkplatz und an einen Straßenrand, um in der Marina nach einer Übernachtung zu fragen.

In der Hafenmeisterei und bei der Polizei fühlt man sich nicht zuständig. „Wir können Euch hier nicht helfen. Fragt bei der Garde Nationale nach!“
Um nicht zu lange an falscher Stelle zu parken gehe ich zum Auto zurück, um es schon mal vor das Einfahrtstor der Marina zu fahren. Kaum dort angekommen, sehe ich Gabi im Gespräch mit einer hübschen, jungen Frau in dunkelgrüner Uniform und verspiegelter Sonnenbrille.
„Aha, die Garde Nationale“, denke ich. „Hat sie schon jemanden gefunden.“
Die junge Beamtin ist begeistert von unserem Auto.
„Oh, das ist ja wie ein kleines Haus“, ruft sie entzückt. Sie würde uns gerne helfen, aber der Chef muss sein “OK“ dazu geben, dass wir heute Nacht in der Marina von Sidi Bou Saïd stehen dürfen. Sie zeigt uns ihre gedrückten Daumen, als sie in Richtung ihres Büros verschwindet.
Richtig erfreut kommt sie wenig später mit einer guten Nachricht von ihrem Chef zurück. „Ihr dürft hier bleiben. Es ist kein Problem. Ich muss nur Eure Pässe kopieren, und Ihr müsst mir sagen, wie lange Ihr bleiben wollt, eins, zwei oder drei Tage.“
So eine Gastfreundschaft, so eine freundliche Geste uns Fremden gegenüber.
Wir sind sehr berührt. Und wir haben einen sicheren und auch noch kostenlosen Platz für die nächste Übernachtung.

ein sicherer und kostenloser Übernachtungsplatz in der Marina

ein sicherer und kostenloser Übernachtungsplatz in der Marina

Unsere Eindrücke in Sidi Bou Saïd

Der Ort Sidi Bou Saïd, hoch oben auf den Klippen gelegen und von der Marina aus über eine lange Treppe zu erreichen, ist perfekt restauriert und touristisch ausgesprochen gut aufbereitet. Hier landen Reisebusladungen von Touristen auf einem Tagesausflug von Tunis, die sich dann, adrett gekleidet, in größeren oder kleineren Gruppen durch die Gassen schieben. Wir werden wieder häufig von den Händlern angesprochen. Sie versuchen, uns in ihre Läden zu locken, in denen es viele Andenken zu kaufen gibt.
Der hochgelobte „Souk der Handwerker“ stellt sich als Mikroausgabe eines der großen Souks in den Städten heraus, nur eben sehr viel kleiner, mit geringerem Angebot und höheren Preisen. Wir erkennen die Kleider, Taschen und bunten Schüsselchen wieder, die uns jetzt schon seit Wochen begleitet haben.
Wir lassen uns nicht in eines der edlen Restaurants locken, in denen man selbstverständlich auch in Euro bezahlen kann und von vornehmen Kellnern bedient wird. Wir holen uns unsere leckeren, reich gefüllten, frisch im Ölbottich frittierten Brötchen, für einen Dinar beim Imbiss am Kreisverkehr. Hier stehen wir mit Einheimischen in einem kleinen Raum, in dem der Hefeteig geknetet und mit geschicktem Dreh ins Öl gelassen wird. Der Bäcker freut sich, dass wir bei ihm eingekehrt sind und dass uns seine “Mahfout“ so gut schmecken.

der Bäcker freut sich, dass uns seine Mahfout so gut schmecken

der Bäcker freut sich, dass uns seine Mahfout so gut schmecken

der Blickwinkel von August Macke
Sidi Bou Saïd am frühen Morgen

der Blickwinkel von August Macke
Sidi Bou Saïd am frühen Morgen

Sidi Bou Saïd, Moschee

Sidi Bou Saïd, Moschee

Sidi Bou Saïd, das blau-weiße Dorf

Sidi Bou Saïd, das blau-weiße Dorf

Im Café des Nattes

Eine “Noblesse“ müssen jedoch auch wir uns gönnen, jetzt, wo wir schon an diesem Ort sind, der durch die drei Maler berühmt geworden ist. Es ist das “Café des Nattes“, das auch vor über 100 Jahren von eben diesen Malern, aber auch von berühmten Schriftstellen wie Albert Camus und Simone de Beauvoir besucht wurden, und dessen Inneneinrichtung in der ganzen Zeit nicht verändert wurde. Es ist das Café, das August Macke in seinem Aquarell gezeichnet hat, das Café, das hoch über der Stadt oberhalb einer langen Steintreppe liegt.
Barfuß auf Grasstrohmatten sitzen wir auf dem erhöhten Boden, der den Raum des Cafés umgibt, neben den rot und grün bemalten Säulen die die dunkle Holzdecke tragen, nippen an unserem sündhaft teuren Pfefferminztee und betrachten die Zeitungsausschnitte und Gemälde, mit denen die Wände dekoriert sind.
Da gibt es teilweise deutsche Texte aus Zeitungen, die die Reise der Maler kommentiert haben, oder in Französisch verfasste Dankesbriefe an den Betreiber des Cafés. Man kann sich hier sehr gut vorstellen, wie es vor einhundert Jahren zuging, und welches Erstaunen diese exotische Welt bei Reisenden hervorgerufen haben mag, die sich darauf eingelassen haben, diese Fremde kennenzulernen.

Eingang des "Café des Nattes"

Eingang des "Café des Nattes"

Einrichtung im "Café des Nattes"

Einrichtung im "Café des Nattes"

Pfefferminzteestunde

Pfefferminzteestunde

Unser Geschenk an die Garde Nationale

Heute Nacht haben wir gut in der Marina geschlafen. Keine Hunde, kein Muezzin, keine Fischerboote, keine Motorroller in der Nacht.
Jetzt im Morgensonnenlicht beschließen wir, zum Frühstück noch einmal die 352 Stufen an den blühenden Kakteen entlang zum Ort hinaufzusteigen.
Außerdem wollen wir der Garde Nationale, die uns so unkompliziert geholfen hatte, als kleines Dankeschön ein Tüte “Bambalouni“, die fettgebackene Spezialität von Sidi Bou Saïd, vorbeibringen.

Oben im Ort setzen wir uns mit dem Blick auf das Café des Nattes, den der Maler auch in sich aufgenommen haben muss, in den Schatten der Bäume und futtern die süßen, saftig vor Fett triefenden Hefekringel, eben jene “Bambalouni“, zu unseren Kaffeegetränken. Jetzt im Morgenlicht sieht die Straße farbiger aus, frischer und lebendiger. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Händler die Passanten lustiger ansprechen, dass die Hoffnung auf ein gutes Geschäft mit dem neuen Tag neu erwacht ist. Sie flachsen mit ihren Nachbarn und schieben die potentiellen Kunden von einem in den anderen Laden. Ein buntes Treiben, das sich da vor uns abspielt.

Vor unserem Weg nach unten zum Hafen erstehen wir bei dem hocherfreuten Hefebäcker noch eine weitere Tüte mit fünf seiner Zuckerkringel.
„Ja bitte, zum Mitnehmen“.

ein hocherfreuter Hefeteigbäcker

ein hocherfreuter Hefeteigbäcker

Herstellung der Bambalouni

Herstellung der Bambalouni

Leichtfüßig eilen wir jetzt wohl ein letztes Mal die ungleichen Stufen durch die blühenden Kakteenwälder, vorbei an dem Blütenmeer und unter den Palmen hindurch zur Marina hinunter. Wir kommen in die Polizeiwache. Dort sitzt leider nur ein uns unbekannter Beamter. Dem geben wir, mit der Bitte, den Inhalt der Tüte unter seinen Kollegen aufzuteilen, unseren Einkauf herüber. Er verspricht es.
Kaum sind wir draußen, läuft uns unsere Helferin von gestern Abend über den Weg. Ein großes „Hallo !“ „Habt Ihr gut geschlafen“ „Ist alles ok“.
Wir sagen ihr, dass wir ein kleines “Merci“, eine Tüte mit Gebäck, in der Wache abgegeben haben. „Oh, das ist aber lieb. Ihr seid so freundlich“, ist ihre Antwort.
Wir verabschieden uns, sitzen gerade im Auto, als es noch einmal an der Scheibe klopft. Da ist sie wieder. Zwei verspiegelte Sonnenbrillengläser gucken uns an. Sie gibt uns ein kleines goldenes Pappschühchen mit weißen Zuckerbonbons, eingehüllt in goldenem Tüll.
„Nehmt das mit. Das ist ein Geschenk.“
„Was bedeutet es?“
„Ich habe eine kleine Tochter, sie ist drei Jahre alt. Wir hatten gerade diese Feier, ihr wisst? Wir sind Moslems, und das ist bei uns so Tradition.
Und es ist ja nur eine ganz kleine Operation. Und unsere Gäste bekommen als Glücksbringer solche Pantöffelchen“
Wir sind bestürzt. Hier ist also wieder ein kleines unschuldiges Mädchen beschnitten worden und ist nun Zeit seines Lebens am empfindlichsten Körperteil einer Frau verstümmelt, aus Gründen einer muslemischen Tradition.
Ob der Liebe Gott, Allah oder wie ein Schöpfer in einer anderen Religion auch immer genannt wird, wirklich möchte, dass Menschen bestimmen, welche Körperteile sie an ihren Kindern belassen, welche Gefühle diese ausleben dürfen und welche nicht, das sind Gedanken, die uns in den nächsten Stunden auf unserem Weg in Richtung Cap Bon ernsthaft beschäftigen.

Pantöffelchen mit Zuckerdragees.
Geschenk an die Gäste des muslimischen Beschneidungsfestes.

Pantöffelchen mit Zuckerdragees.
Geschenk an die Gäste des muslimischen Beschneidungsfestes.

© Michael Bünte, 2022
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Neapel nach Tunesien. Dieses ist der Bericht unserer zehnwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 06.04.2022
Dauer: 10 Wochen
Heimkehr: 17.06.2022
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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