2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
Das Cap Bon: Rettungsaktionen
Die missglückte Bergungsaktion
Auf dem Parkplatz der Ausgrabungsstätte von Kerkouane, ganz im Osten auf dem Cap Bon, dürfen wir über Nacht nicht bleiben. Ein Schlagbaum liegt quer davor und eine Wache bedeutet uns, weiterzufahren. Also fahren wir am Parkplatz vorbei in Richtung Meer, landen dort auf einem sandigen Weg, auf dem uns ein junger Mann mit langem schwarzen Bart, gekleidet in einer weißen, bodenlangen Djelaba und weißer Kappe eilig entgegenkommt.
Er zeigt auf seinen französischen Kleinwagen, der offensichtlich nicht mehr aus seiner Parklücke herauskommt. Der junge Mann spricht weder französisch noch englisch. Er ruft seine Freundin heran, die im Wagen sitzt. Mit ihr können wir uns auf Französisch unterhalten.
„Wir sitzen fest. Könnt Ihr uns rausziehen?“
„Habt Ihr ein Abschleppseil?“ frage ich.
„Nein, ein Seil haben wir nicht.“
„Ok, ich fahre jetzt hinter Euren Wagen und schlage die Winde an.“
Das Mädel übersetzt alles ihrem Freund, der mit allem einverstanden ist, was wir vorschlagen.
Das Dumme ist, dass der Kleinwagen nur eine Öse auf der rechten Seite hat, wir ihn aber über die linke Seite herausziehen müssen. Die Winde bekommt Spannung auf das Zugseil. Vorsichtig, Schritt für Schritt lasse ich die Winde eindrehen. Der junge Mann sitzt bereits in seinem Wagen und gibt Vollgas, was jedoch nur bewirkt, dass sich das rechte Vorderrad immer tiefer und tiefer in den Sand eingräbt. So tief, bis das linke Hinterrad einen dreiviertel Meter in der Luft hängt und der Wagen sich bedenklich zur Seite neigt.
Es knirscht gewaltig im Renault. Wenn er jetzt nicht umkippt, bricht er auseinander.
„STOPP!“
Ich überlege noch, was da jetzt falsch gelaufen ist, als sich ein kleiner LKW zu uns gesellt, den der Tunesier wohl parallel zu unserer Hilfsaktion per Handy geholt hat.
Der jungen Frau ist das jetzt wirklich peinlich. Sie fragt uns, ob wir nichts dagegen hätten, wenn der kleine LKW jetzt die Bergung übernehmen würde, und lässt sich damit beruhigen, dass wir kein Problem damit haben.
Der Fahrer des LKW hat einen langen Gurt mitgebracht, hängt ihn ein und zieht den kleinen Wagen ohne dessen Mithilfe aus dem Sand.
In dem Augenblick fällt mir der Fehler auf, der mir unterlaufen ist. Der junge Mann hätte seine Bergung nicht durch eigene Motorkraft unterstützen sollen, jedenfalls nicht so, wie er es gemacht hatte. Dadurch, dass er Vollgas gab, als wir ihn am Haken hatten, sich aber wegen fehlender Differentialsperre nur eines der beiden Vorderräder drehte, hat er seinen Wagen rechts vorne schneller im Sand versenkt, als ich ihn mit dem langsamen, vorsichtigen Zug der Winde herauszog. Ohne sein Zutun hätten auch wir ihn einfach aus dem Loch gezogen.
Mit einem etwas unschönen Gefühl verabschieden wir uns von der Gesellschaft, die mit gegenseitigem Schulterklopfen und Bravo-Rufen ihre Leistung feiert. Das tunesische Mädchen, das mit den Nerven völlig am Ende ist, bedankt sich noch einmal ganz persönlich bei uns für unsere versuchte Hilfestellung.
Eine zweite Chance
Jetzt sind wir wieder für uns. Wir beschließen, die kommende Nacht an diesem Strand zu bleiben, zirkeln unseren Geländewagen über eine Sandfläche rückwärts an eine optimale Position, stellen ihn in die richtige Neigung, holen Tisch und Stühle raus und richten uns wohnlich ein.
Es ist ganz schnell Nacht geworden. Wir freuen uns über den Mond, über die Wellen des Meeres, über den ruhigen Platz.
In vielleicht 100 m Entfernung blenden zwei Scheinwerfer auf. Dann sehen wir Warnblinklichter, wieder die Scheinwerfer. Es ist schon sonderbar, dieses Lichterschauspiel am einsamen Strand.
„Wenn sich da nicht mal einer festgefahren hat,“ unke ich noch, als das Lichterspiel beendet ist.
Fünf Minuten später hören wir Schritte im Sand.
„Da ist er. Er sitzt bestimmt fest,“ vermute ich jetzt mit einiger Sicherheit.
„Heute gibt es aber keine weitere Bergeaktion,“ meint Gabi. „Ich habe keine Lust, das alles noch einmal zu machen. Außerdem ist es jetzt schon dunkel. Man sieht ja gar nichts mehr,“ prasseln die Worte auf mich herab.
Der Angler, der uns gerade bemerkt hat, kommt auf uns zu. Ob wir ihm einen ganz kleinen Schubs geben könnten. Er wolle nach Hause und hat sich im Sand festgefahren.
Ich gucke Gabi an, denke an die Gesetze der Seefahrt, dass es keinen Grund gibt, dem anderen nicht zu helfen, lege zwei große Steine neben die Hinterräder, damit ich genau diese Postion wiederfinden kann und schmeiße unseren schweren Diesel an.
„Das ist die zweite Chance für uns. Jetzt können wir uns doch noch nützlich machen und jemanden aus dem Dreck ziehen. Dieses Mal weiß ich, wie ich es machen muss.“
Der Clio sitzt vorne tief bis über die Schürze im weichen Sand, Die beiden Vorderräder haben praktisch gar keinen Bodenkontakt mehr und haben schon einen kleinen Sandberg neben dem Wagen aufgehäuft.
„Einen ganz kleinen Schubs geben, haha,“ denke ich still bei mir.
Dann ziehe ich ein zweites Mal heute Abend unser Windenseil heraus, hake es ein und sehe den Angler schon in seinem Auto verschwinden.
„Raus da, keine Unterstützung, nur mit der Hand am Lenkrad aufpassen, dass sich die Räder nicht quer stellen.“
Beflissentlich befolgt er meine fachmännischen Anweisungen. Die Winde spannt das Seil und der Clio setzt sich langsam in Bewegung. Wie durch Butter wird er mit unserer Fünftonnenwinde durch den Sand gezogen. Der Angler ist heilfroh, bedankt sich viele Male und fährt, dieses Mal auf dem richtigen Weg, in die Dunkelheit davon.
Ich fahre die Winde wieder ein, fahre zurück zu unserer Übernachtungsstelle und zirkel den Wagen rückwärts zwischen die beiden Markierungssteine.
10 Minuten später steht der Wagen exakt an derselben Postion wie vorher.
Jetzt haben wir kein ungutes Gefühl mehr versagt zu haben und können den Abend in vollen Zügen genießen. Jetzt konnten auch wir jemandem helfen und fühlen uns ein bisschen rehabilitiert.
„Danke für diese zweite Chance.“
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |