2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
Das Cap Bon: heiße Quellen
Korbous
Hoch oben verläuft die Landstraße über die Felsen und belohnt uns mit fantastischen Ausblicken in die Tiefe. Wie aus einem Flugzeug können wir die Uferlinien verfolgen, in denen vereinzelt kleine Fischerdörfer in Buchten mit azurblauem Wasser zu erkennen sind. Unvermittelt sind wir am Abzweig nach Korbous, wir verlassen unseren Höhenflug und stürzen uns auf steiler Straße in engen, wahnwitzigen Serpentinen hinunter zum Meer.
Wir durchfahren die kleine Stadt, die zum Großteil aus Hotels, Ferienwohnungen und Thermalbädern besteht, sind nach einer Kehre schon wieder draußen und landen vor einem Schutthaufen. Wir stehen am Ende einer Sackgasse. Den weiteren Verlauf der Straße hat ein Bergrutsch vor einigen Jahren ins Meer befördert. Hier gibt es bestimmt keinen Durchgangsverkehr. Ein guter Platz zum Bleiben.
Wir machen uns zu Fuß auf die Suche nach der Quelle, aus der sich das heiße Wasser direkt ins Meer ergießen soll. Im Ort kommen wir zufällig an der Garde Nationale vorbei, melden an, dass wir am Ende der Straße stehen und dort übernachten werden, und finden schließlich weit vor dem Ort, direkt bei den Imbissbuden und Souvenirverkäufern, an denen wir vorhin vorbeigekommen sind, die heiße Quelle.
Ein Wasserstrahl mit einem Durchmesser von vielleicht 20cm fällt aus einem Rohr in ein eingefasstes, aus Steinen gemauertes Becken. Von dort wird das Quellwasser in einen von Mäuerchen umfassten künstlichen Bachlauf, in dem ein paar Findlinge liegen, bis zu den Klippen ans Meer geleitet. Dort fällt es sich schließlich in großen Kaskaden herab und vermischt sich mit den heranrauschenden Wogen des Meeres.
Die Temperaturprobe mit dem nackten Fuss ist blitzschnell beendet.
„Das ist ja brüllend heiß, da kann man ja nicht einmal seinen Fuß eintauchen.“
Die in Stein gefasste Tafel oberhalb der Quelle gibt bereitwillig Auskunft, dass das Wasser permanent mit 59°C aus dem Berg kommt.
Unterhalb der Quelle im Meer wird gebadet, Männer und Kinder in Badeshorts, Frauen in voller Ganzkörperbekleidung inklusive Kopfbedeckung. Es gibt jedoch nur ein einziges Becken für die Badenden, keine Trennung nach Geschlechtern. Die Meereswogen schlagen in ihrem Rhythmus gegen die Klippen. Es juchzt und quiekt im Wasser, so dass es uns drängt ebenso zu diesem Vergnügen zu gelangen.
„Das Meerwasser muss durch die heiße Quelle richtig schön angewärmt sein,“ überlege ich.
Wir wollen schnell zum Auto zurück, um unsere Badekleider zu holen, werden aber unversehens von einem jungen Mann am Grill abgefangen, der uns seine Spezialitäten zeigt. Der Preis sieht vernünftig aus, die Küche macht auch einen sauberen Eindruck. Wir versprechen ihm, wiederzukommen und bei ihm einzukehren, wenn wir wieder aus dem Wasser heraus sind.
Wir sind wieder zurück und stehen voller Erwartung auf der Steintreppe, die zur Badestelle hinunterführt. Es riecht feucht und leicht schweflig oberhalb der Wasseroberfläche. Meine Füße suchen unter Wasser den nächsten größeren Stein, auf dem sie nicht abrutschen, meine Hände tasten die mit Kalkschichten überzogenen Felsen im Wasserfall nach Haltepunkten ab.
Und schon kommt von hinten die nächste Woge herein. Sie ist eiskalt, zerrt an den Beinen und drückt den Oberkörper gegen die heiße Wand, über die dass sechziggrätige Thermalwasser ins Meer fließt - ein kleiner Irrtum, zu glauben, dass das Quellwasser ein warmes Badebecken aus dem Meerwasser zaubert.
Ein Spiel mit den Elementen. Das Wasser, das von oben herabspritzt, ist einfach zu heiß, um sich direkt darunterstellen zu können. Die langen Wogen des Meeres zerren eisig kalt an unseren Beinen, so dass wir uns bei dieser Kletterei über die Findlinge gut ausbalancieren müssen, um nicht umgeworfen und unkontrolliert unter Wasser gedrückt zu werden.
Außerdem gibt es da noch etwas: Wir sind sehr bedacht, nicht ungeschickterweise zu dicht an die anderen Badenden heran zu kommen und denen möglicherweise, von den Wellen aus dem Gleichgewicht gebracht, in die Arme zu fallen. Wir sind immerhin noch in einem muslimischen Land in einem gemischten Badepool.
Ein junger Mann sieht unser Bemühen und gibt bereitwillig seine geschützte “Höhle“ frei, die vom hereinströmenden Meerwasser nicht so stark getroffen wird und in der das herabfallende Quellwasser so fein zersprüht eintrifft, dass man sich nicht verbrennt, auch wenn man länger darunter stehen bleibt. „Oh, hier ist es angenehm. Hier bleibe ich!“, ruft Gabi aus einem feinen Dunst heraus, der bei aufkommender Dämmerung in immer größeren Schwaden als Nebel über der Therme wabert.
Etwas enttäuscht sind wir über das nicht gerade entspannende Bad zwischen den Naturgewalten. Doch die Bilder der badenden Menschen einer anderen Kultur unter dem Wasserfall im nebligen Dunkel, die Erfahrung, mitten drin zu sein und auch in dieser Situation von den Fremden toleriert und sogar bevorzugt behandelt zu werden, hinterlassen ein angenehmes Gefühl den Tunesiern gegenüber.
Nach diesem Badeerlebnis und einer kalten Dusche für zwei Dinare lösen wir unser Versprechen bei dem jungen Mann ein, der uns vorhin den Inhalt seines Kühlschrankes gezeigt hatte, bestellen uns zwei Doraden mit verschiedenen tunesischen Salaten und machen, während wir an unserem frisch gedeckten Tisch mit Tischdecke aus Recycling-Papier auf unser Essen warten, die Bekanntschaft von etwa 20 Katzen, die offensichtlich gewöhnt sind, von jedem Gast ein Scherflein abzubekommen.
Ich stehe auf, um den Fotoapparat zu holen, drehe mich um, und stehe . . . Aug’ in Aug’ mit einem ausgewachsenen Wildschwein. Es scheint nicht aggressiv zu sein, ist aber auch nicht gleich auf der Flucht, sondern sucht die Essensreste zusammen, die unser Chefkoch regelmäßig am Straßenrand entsorgt. Da man in diesem Land kein Schweinefleisch isst, ist es für die Tiere hier das Schlaraffenland, regelmäßig mit Futter versorgt und nicht bejagt zu werden.
Während wir zu unserem Auto gehen sehen wir, wie die Reste auch unserer Mahlzeiten im Straßengraben abgelegt werden.
„Warum schmeißen Sie das Papier der Tischdecke auch einfach an den Straßenrand und tun es nicht in den Müll?“, fragen wir unseren Chefkoch verständnislos.
„Das essen die Schweine mit, wie wir das Brot essen“, gibt er zurück. Und wirklich, das Wildschwein von vorhin, inzwischen von seiner ganzen Familie mit sieben Frischlingen umringt, macht sich daran, Tischdecke, Fischabfälle und Essensreste unserer Abendmahlzeit zu vertilgen.
Eine echte WinWin Situation.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |