2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
Gabès, eine Küstenoase
Gerhard fehlt
Ab jetzt sind wir auf uns allein gestellt. Gerade haben wir uns von Gerhard verabschiedet, der sich auf den Weg zurück zu seiner Martina gemacht hat.
Wir winken noch lange, mit einem Tränchen in den Augen, seinem weißen Toyota nach, bis er hinter einem Palmenbüschel in den Sanddünen am Strand verschwunden ist.
Da sitzen wir nun. Es fühlt sich irgendwie leer an. Mehr als drei Wochen hatten wir eine gute, angenehme Zeit miteinander. Die Erlebnisse, unsere Sprüche, unsere Eigenarten gehen uns durch den Kopf. Wir brauchen jetzt einen Tapetenwechsel, etwas ganz anderes als das, was wir mit Gerhard gesehen haben. Wir brauchen einen Plan und beschließen, dass auch wir jetzt zügig von hier aufbrechen werden, um uns heute am Tag des Fastenbrechens in den Souks der nächstgelegenen größeren Stadt “Gabès“ umzusehen. Außerdem können wir dort unsere frischen Vorräte wieder aufstocken, die bis auf wenige Reste aufgebraucht sind.
vergebliche Suche nach einem Übernachtungsplatz
Zunächst suchen wir in Gabès einen Platz für die kommende Nacht. Den Campingplatz von Gabès, von vielen gelobt, können wir auch mit unserem Navi nicht finden. Eine vielköpfige, chic angezogene Familie, die gerade zu ihren Großeltern unterwegs ist, als wir sie vor ihrem Haus um Hilfe fragen, klärt uns auf. “Dieser Platz ist seit vielen Jahren geschlossen.“ Eine Übernachtung in der Stadt sei nur in einem Hotel möglich . . . nicht gerade das, was wir uns vorgestellt haben.
Also lassen wir das mit der Suche nach einer Übernachtung in Gabès. Vor dem völlig verlassenen Bahnhof der Stadt, vielleicht hält hier einmal pro Woche ein Zug, finden wir einen Parkplatz, auf dem wir meinen, unseren Wagen sicher stehen lassen zu können. Wir machen uns auf in Richtung Altstadt.
Feuer im Souk
In den Souks sehen wir als erstes schwarzen Rauch aus einem der Gebäude aufsteigen, vor dem ein großer Berg Körbe und kamelartige Kuscheltiere aufgetürmt sind. Jetzt fällt uns auch auf, dass wir schon häufiger über große Pfützen steigen mussten, und dass uns in den engen Gassen Wasser entgegengelaufen kam. Und jetzt stehen wir hinter einer riesig großen Menschenmenge, die hierher gekommen ist, um sich die Verwüstung anzusehen. Von dem alten Souk hängen die schwarzen Gerippe der Deckenkonstruktion wie das Skelett eines Urtieres auf die Straße herab.
Leere dunkle Fensteröffnungen sehen uns an. Überall auf dem zentralen Platz verteilt liegen halb verbrannte Türen, Fensterrahmen und Berge von Waren aus dem Souk. Alle einstigen Zugänge sind mit Feuerwehrwagen versperrt. Hier ist alles zerstört und für die nächste Zeit findet in diesem Souk bestimmt kein Marktleben mehr statt. Wie viele Existenzen sind hier heute morgen kaputt gegangen? Wieviel Leid ist entstanden?
Wie geprügelte Hunde machen wir uns auf den Weg zurück zu unserem Auto und werden kurze Zeit später von vier gut proportionierten Damen mittleren Alters aus ihrem Auto heraus angesprochen, ob sie uns zum Essen einladen könnten. „Danke, das ist ja sehr nett gemeint.“ Wir lehnen höflich ab. Das eben Erlebte müssen wir erst einmal mit uns allein verdauen.
im Café mit einem Fremden
Später dann werden wir vor einem Café von einem dort sitzenden sonnenbebrillten Mittvierziger auf deutsch angesprochen: „Ihr kommt doch aus Hamburg?“
„Woher wissen Sie das?“
„Ich habe Euch vorhin mit Eurem Toyota mit hamburger Kennzeichen durch die Stadt fahren sehen.“ Wir setzen uns zu ihm an den Tisch.
Ich besorge zwei Tassen Kaffee, bei deren Zubereitung ich besser nicht zugesehen hätte. Die feisten Finger des Mannes hinter dem Tresen griffen bis zum Boden in beide Tassen hinein, als er sie aus dem Regal holte. Während der Zubereitung blies er immer wieder blaue Qualmschwaden in Richtung unserer Tassen. Das Wechselgeld kramte er aus einer Hosentasche, die bestimmt schon längere Zeit kein Waschwasser gesehen hatte. Und immer noch die schwelende Zigarette bei der Kaffeezubereitung zwischen zwischen den Fingern. Die beiden Kaffeetassen hatten einen leicht klebrigen Rand von der vorherigen Benutzung.
„Lieber Gott, lass uns jetzt bitte nicht krank werden!“
Jetzt sitzen wir am Tisch des Fremden, der einige Zeit in Hamburg studiert hat, an einer von knatternden Motorrollern befahrenen Straße und sehen auf das Treiben um uns herum.
Das Leben ist wieder da
Heute ist der größte muslimische Feiertag. Die ganze Stadt ist im Sonntagsstaat durch die Stadt flanierend oder mit ganzen Familien auf Motorrollern sitzend unterwegs. Die Kinder sind herausgeputzt. Mädchen laufen in goldbesetzten Kleidchen mit passendem Handtäschchen und Haarschleifen an den Händen der Erwachsenen. Die Jungen, alle perfekt frisiert mit Undercut oder ausrasierten Scheiteln spazieren artig in ordentlichen Hosen und gebügelten Hemden neben ihren Eltern her. Ältere oft außerordentlich rundliche Frauen sind mit farbenfroh ornamentierten Tüchern behängt oder tragen mit Brokatspitze besetzte Umhänge, über die goldenes Geschmeide in der Sonne blitzt. Die Männer tragen traditionelle Kaftane zu Sneakers und Schirmkäppi oder manchmal auch einen Fez, die typische rote randlose Kappe der arabischen Welt.
Das Leben ist wieder da. Die Cafés an den Straßen sind wieder gefüllt. Männer sitzen wieder in Gruppen beim Kartenspiel zusammen. Familien lassen sich in mit bunten Herzen geschmückten Kutschen durch die Straßen fahren. Plötzlich sind in den Geschäften die Auslagen wieder gefüllt, alle Rollläden und Garagentore mit den Geschäften dahinter sind wieder geöffnet. So muss es sich nach einer Währungsreform angefühlt haben. Auf einen Schlag ist alles im Überfluss wieder vorhanden.
Die Menschen in den Straßen sind ausgelassen, begrüßen sich mit Handschlag, Vierfachküsschen und umarmen sich. War da nicht mal was wie Corona, Abstand halten, und Maskenpflicht?
Hier zeugen nur noch die Plakate und Hinweise in Geschäften und an den offiziellen Gebäuden von der Verpflichtung zum Tragen einer Schutzmaske. Nur ganz vereinzelt sehen wir noch die “Schnutenpullis“ vor dem einen oder anderen Gesicht. Corona ade? Nein, eigentlich nicht. Wir versuchen immer noch, nicht zu sehr ins Gedränge zu geraten und den größtmöglichen Abstand zu anderen zu halten.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |