2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
an der Ostküste: Zarzis
Ein Gespräch mit Majalhi
Wir stehen mit unserem Toyota vor einer niedrigen, weiß gestrichenen Mauer, die den Parkstreifen an der Straße vom feinsandigen Strand abgrenzt.
Ein Kellner bringt Teller mit bunter Pizza vom Restaurant auf der gegenüber liegenden Straßenseite zu den unter Strohschirmchen sitzenden Gästen am Strand.
Wir zerteilen uns gerade unser noch warmes Grillhähnchen an der Außenküche unseres Fahrzeuges. Der Kellner sieht zu uns herüber.
„Ça va?“
„Ja, es geht gut. Alles klar. Aber wir brauchen gerade keine Pizza.“
Er hat verstanden.
„Wir kommen nach dem Essen auf einen Kaffee rüber“
Er nickt und spurtet seiner nächsten Bestellung entgegen.
Das Huhn ist verspeist und Kaffeedurst hatte sich angemeldet.
Jetzt schlürfen wir an einem der Tische des Restaurants auf der anderen Straßenseite bei arabischer Discomusik die dunkelbraune Flüssigkeit aus kleinen Gläsern. Hinter uns ist ein Eingang zu einem wunderschön eingerichteten und mit Berbermotiven dekorierten Raum. Der große Raum fasst viele Personen und ist offensichtlich für größere Feiern konzipiert. Zur Straße hin ist er mit blickdichten Gardinen verhängt.
Ein junger Tunesier steht im Eingang, und so kommen wir mit Majalhi, dem ein sehr gutes Englisch sprechenden Besitzer des Restaurants, ins Gespräch.
„So ein schöner Raum. Werden hier Hochzeiten abgehalten?“
Von der Straße aus sah das Restaurant eher wie ein Imbiss aus.
„Ja, hier werden manchmal auch Hochzeiten gefeiert. Aber hauptsächlich habe ich hier libysche Gäste, die von der nahen Grenze herüberkommen.“
„Warum dann diese blickdichten Gardinen“
„Wir haben hier alles abgehängt, weil die Libyer ihre Frauen nicht gerne in der Öffentlichkeit zeigen. Sie sind immer verschleiert und gehen nicht nach draußen“
„Die Libyer können einfach so nach Tunesien einreisen? Könnt Ihr auch rüber?“
„Ja, zur Zeit ist das kein Problem. Das kann sich aber von Woche zu Woche ändern.“
„Und sie kommen zum Essen hierher gefahren?“
„Die Libyer sind sehr finanzstark - sind meine besten Gäste - kommen in großen Gruppen und bestellen soviel, dass immer große Mengen übrig bleiben. Das gefällt mir natürlich nicht so sehr, ist aber gut für’s Geschäft.“
Dann sprechen wir über die aktuelle Situation und das Leben für ihn hier in Tunesien. Majalhi kennt auch das Leben in Deutschland, denn er ist in jedem Jahr für ein paar Monate LKW-Fahrer in Dortmund.
So erfahren wir, dass er bedrückt ist über das Verpuffen der in der Jasminrevolution erkämpften Demokratie in Tunesien. Hier ist man seiner Meinung nach für die Freiheit, aber auch für die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, noch nicht bereit.
„Die Leute hier leben von der Hand in den Mund. Sie machen sich einen schönen Tag und nehmen nichts in die Hand, um sich etwas aufzubauen.“
Und dann erzählt er von diesen schwierigen bürokratischen Verhältnissen, mit denen er konfrontiert wird.
„Es hat sechs Monate gedauert, bis ich die vom Präsidenten persönlich unterschriebene Genehmigung bekommen habe, diese fünf Schirmchen auf dem Stand aufzustellen. Sechs Monate! Sowas erstickt doch jeden Fortschrittsgedanken im Keim. Viele wollen hier weg, wollen nach Europa, wo man schnell viel Geld verdienen kann.“
Im Sommer, erzählt er, sei dieser Strand der Ausgangspunkt für die illegale Überfahrt in die EU. Dann wimmelt es hier von Ausreisewilligen.
„Das ist aber falsch,“ sagt er. „Wir müssen unser Land selbst in Schwung bringen, mit kleinen Unternehmen, mit dem Tourismus, mit eigenen Arbeitskräften. Am besten müssten alle arabischen Staaten zusammenhalten und gemeinsam daran arbeiten.“
Vor zwei Jahren hatte er Schwierigkeiten, Personal zu bekommen. Zwei der Flüchtlinge hier am Strand, die nach Italien wollten, konnte er dazu bewegen in seinem Restaurant zu arbeiten. Sie sind immer noch bei ihm angestellt und haben hier ein gutes Leben.
„Viele meiner Landsleute haben die Hoffnung für Tunesien aufgegeben. Sie wollen nur weg und ein besseres Leben haben. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ich investiere das, was ich in Dortmund verdiene in mein Unternehmen und glaube daran, dass Tunesien es eines Tages schaffen kann.
Im Augenblick haben wir hier aber eine sehr konservative Regierung, die forciert, dass die Männer mehrere Frauen haben können. Aber das sind nicht unsere Probleme. Man kann auch mit nur einer Frau ein gutes Leben führen.“
Wir haben mit diesem Majalhi soviel gemeinsames Gedankengut, dass man sich gefühlsmäßig sehr nahe kommt. Wir tauschen unsere E-mail Adressen aus, bezahlen unsere Getränke und müssen erst einmal den Strand auf- und ablaufen, um diese geballten Informationen im Kopf zu sortieren.
Sündhafte Versuchungen
„Wo bekommen wir jetzt Nachschub her?“
Wir hatten in Houmt Souk problemlos in einem separaten Raum bei dem Supermarkt “Carrefour“ etwas Wein und Bier für die abendlichen Ausklänge unserer Reisetage besorgen können. Das war vor sieben Tagen. Obwohl stark rationiert und in kleinen Dosen genossen, ist unser Vorrat an alkoholischen Getränken nun vollständig aufgebraucht.
Wir sind in Zarzis, einer quirligen Kleinstadt mit schönen noch erhaltenen weißen Stadttoren und versuchen, weil es ja so gut geklappt hatte, wieder bei einem Carrefour-Supermarkt einen “Cave Vin“, also einen nett umschriebenen Bereich des Supermarktes zu finden, in dem man in diesem muslimischen Land alkoholische Getränke kaufen kann. Entsetzte Blicke und heftiges Ablehnen sind die Reaktionen auf unsere Frage, die wir von den Kassiererinnen und den Security-Mitarbeitern bekommen. Hier wird es mit dem Verbot alkoholischer Getränke also viel strenger gehandhabt, als wir es bisher kennengelernt haben. Das hätten wir in dieser Form so nicht erwartet.
Etwas ratlos versuchen wir es noch einmal bei einem anderen, etwas jüngeren Kassierer, der uns einen lockereren Eindruck macht, als die übrigen, die wir bisher gefragt hatten. Von diesem bekommen wir einen verstohlenen Blick zugeworfen. Er raunt uns leise zu „Route Ben Guerdane“ und geht schnell wieder zu seiner Kasse zurück.
„Oh danke! Das werden wir finden.“
Da haben wir ja mal einen hilfsbereiten jungen Mann getroffen. Aber wo ist diese Straße?
Da es keinen Stadtplan von diesem Ort gibt bemühen wir unser Navi. Südlich von Zarzis an der libyschen Grenze liegt eine Stadt, die “Ben Guerdane“ heißt. Die Straße dorthin wird die sein, die wir suchen.
„Et voilà!“ Die uns genannte Straße führt direkt hier durch Zarzis an einem im Internet eingetragenen Einkaufszentrum vorbei.
„Na, wunderbar. Dann haben wir das schnell erledigt“, denken wir.
Das Einkaufszentrum entpuppt sich als ein paar abgewrackte Marktstände und macht nicht den Eindruck, dass man hier etwas anderes kaufen könnte, als Konservendosen und altes Gemüse. Hier kommen wir nicht weiter.
Von einen Händler, der beim Kartenspiel vor seinem Laden sitzt, bekommen wir genauere Auskunft. „Ihr müsst etwa 5 km in Richtung Ben Guerdane fahren. Dann kommt ihr zu einem Stadion. Dort am Stadion ist ein Geschäft, in dem ihr alkoholische Getränke kaufen könnt.“
Die libysche Grenze liegt nicht gerade auf unserer Route. Wir überlegen, ob wir 10 km Umweg für zwei Flaschen Wein in Kauf nehmen wollen. „Das ist ja Wahnsinn!“ Wir nehmen die Herausforderung an und betrachten diesen Umweg als Horizonterweiterung.
Wir machen uns also in Richtung Süd-Osten auf den Weg. Dreimal kommen wir an Polizeisperren vorbei. An einer dieser steht ein aufgerüsteter Panzer, bereit zum Einsatz.
An jeder Sperre werden wir mit einer freundlichen Geste durchgewunken.
Dennoch bekommen wir ein mulmiges Gefühl. Offensichtlich fahren wir durch ein Gebiet, das nicht als besonders sicher vor Übergriffen gilt.
Endlos lang scheint uns der Weg, bis wir die hohen Scheinwerfer eines Stadions auftauchen sehen. Und tatsächlich gibt es vor dem Stadion eine hohe Mauer, die mit abgebrochenen Glasflaschen geschmückt ist. In der Mauer ist ein sichtdichtes Stahltor mit vielen Schildern, auf denen bissige Hunde und Kameras abgebildet sind. „Na, welch ein netter Empfang.“
Wir fahren durch das Tor in den Sündenpfuhl, werden freundlich herein gebeten und an die Regale mit Weinflaschen geführt, auf denen immer zwei Preise aufgeführt sind. Ein Preis, der jeweils höhere, ist für die Wiederverkäufer, der niedrige Preis gilt für die Selbstverbraucher.
Wie immer suchen wir uns zwei Flaschen Wein nach Herkunft und Etikett aus, da wir uns bei tunesischen Weinen sowieso nicht auskennen. Dann nehmen wir noch zur Sicherheit zwei Dosen Celtic-Bier mit und fühlen uns schon nicht mehr so sündigend, diese Waren gekauft zu haben, da wir hier in diesem Laden nicht gerade die einzigen Kunden sind. Viele Autos fahren hier auf der gut ausgebauten Straße, die bis zur libyschen Grenze führt. Aber nur ganz wenige fahren hier weiter. Das höchste Verkehrsaufkommen führt . . .
durch das stählerne Tor auf den Hof des Alkoholgeschäftes.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |