2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
im Norden: Bizerte
Suche nach einem Übernachtungsplatz
Wir kommen in Bizerte an. Nicht weit von hier liegt der nördlichste Punkt des afrikanischen Kontinents. In unserer zehn Jahre alten Reiseliteratur haben wir gelesen, dass es etwas außerhalb am Strand der Stadt ein Restaurant gäbe, das von einem Deutsch-Tunesier geführt wird, der sehr hilfsbereit sei, wenn es um eine Übernachtungsmöglichkeit geht.
„Na, hoffentlich gibt es das Restaurant und den hilfsbereiten Mohammed heute noch.“
Anstatt uns einfach frei an den Stand zu stellen machen uns lieber auf die Suche, denn in dieser Gegend sind wir sehr vorsichtig. Wir wissen nicht, wie sicher es hier ist, was auf dem Strand in der Nacht alles abgeht, und eine Garde Nationale, die wir fragen könnten, ist auch nicht in der Nähe.
Nach etlichen Anläufen und Irrwegen durch stille Straßen finden wir endlich das Restaurant “La Scala“, in dem gerade eine ausgelassene Geburtstagsfeier stattfindet. Und wir finden auch Mohammed, der uns freundlich auf Deutsch begrüßt und uns seine Hilfe anbietet.
„Natürlich dürft Ihr vor meinem Haus übernachten. Und wenn die Polizei kommt, dann sagt Ihr, dass Ihr meine Gäste seid. Dann ist das schon in Ordnung.“ Zufrieden parken wir unseren Wagen vor dem Restaurant. Unsere Übernachtung ist gesichert.
Bei lauter arabischer Disco-Musik beschließen wir den Abend etwas abseits der Feier an einem kleinen wackelnden Tischchen im Restaurant, vor uns zwei Gläser dieses stark gesüßten Tees, bei denen noch die frischen Pfefferminzblätter im Glas schwimmen.
Die Kasbah
„Da ist der Eingang in die Kasbah.“ Unvermittelt haben wir sie gefunden, die etwa zwei mal zwei Meter große Öffnung in der riesigen, zinnenbewehrten Wand aus großen, groben, gelblich getönten Sandsteinblöcken. Welch eine Arbeit hat man sich damals gemacht, um diese gewaltigen Steinmassen hierher zu schaffen, zu behauen und aufeinander zu fügen.
Die Kasbah ist ein Wehrdorf, vollständig mit dieser fensterlosen Mauer umschlossen. Sie hat nur einen einzigen Eingang. Die rechtschaffenen Bürger, die in der Kasbah wohnten und arbeiteten waren darin geschützt vor Übergriffen und Plünderungen von Angreifern. Die außerhalb der Mauern verbannten Bürger waren denen hilflos ausgesetzt.
Wir schreiten durch die dicken, mehrschichtigen Mauern hindurch, landen unversehens auf einem kleinen, von Bougainvillea überragten Platz, an dessen einer Seite die Moschee des Ortes steht. Es ist angenehm kühl hier in den schmalen Gassen, die sich als kleines Labyrinth um die in hellblau und weiß gehaltenen Häuser winden oder durch sie hindurchtauchen. Da wir keinem Stadtplan folgen können, wandern wir der Nase nach. Verlaufen können wir uns ja nicht, denn es gibt ja nur einen Ausgang.
Immer wieder geht es an Weggabelungen vorbei, um Ecken herum, durch von dicken Palmenstämmen getragene Tunnel unter den Häusern hindurch, und häufig genug landen wir in einer Sackgasse, werden von den Bewohnern dieser Kasbah mit einem freundlichem „ça va?“ begrüßt und wieder auf den rechten Weg gebracht. Man ist uns nicht böse darüber, dass wir in ihren Gassen herumstreunen.
Ein Mädchen von vielleicht vier Jahren spielt mit einer ganzen Katzenfamilie, freut sich darüber, dass wir sie mit ihren Katzen fotografieren möchten und stellt uns die Katzenbabies vor.
Auch in diesen Mauern haben sich die Katzen mit den Menschen arrangiert, werden mit Essensresten gefüttert und vermehren sich offensichtlich hemmungslos.
„Ein Mäuseproblem haben die Bewohner der Kasbah wohl nicht“, denken wir bei uns. „Nein, Maus möchte ich hier nicht sein.“
Die große Kasbah von Bizerte ist im Gegensatz zu vielen anderen Orten in Tunesien absolut sauber, aufgeräumt wie die Wohnzimmer der Bewohner und so gut in Schuss gehalten, dass es uns eine Freude ist, uns in dieser Oase der Stille aufzuhalten.
Gerade sind wir durch die Öffnung nach draußen gelangt, da werden wir beinahe von einem Motorroller angefahren, hören wieder den Lärm der Stadt und sehen die gewaltige, palmenbestandene, mit Blüten übersäte Steinwand hinauf.
„Welch ein Bauwerk!“
Nur etwa 100 Meter vor uns blitzt das Hafenbecken mit seinen bunten Fischerbooten und Häuserzeilen zu uns herüber und lockt uns zu sich.
„Jetzt einen Kaffee auf verschnörkelten Bänken im alten Hafen?“
„Nichts wie hin.“
Im alten Hafen
Welch ein Farbenspiel hier im Hafen. Das Wasser, der azurblaue Himmel, die bunten Boote, die über die Fassaden rankenden blühenden Büsche, die quaderförmigen, bunt angestrichenen Häuser auf der anderen Seite des Hafenbeckens, die wie ein Würfelspiel aussehen und sich im glatten Wasser spiegeln, das Geschirr vor uns auf dem schnörkeligen Tischchen, die milchiggelbe Zitronenlimonade mit dem roten Trinkhalm, all das verbreitet eine ausgelassene, fröhliche Stimmung.
Wir sitzen hier in einer heilen Welt und sinnieren darüber nach, dass es genau an dieser Stelle im Jahre 1962 noch einen Krieg zwischen Frankreich und Tunesien mit tausenden von Toten gegeben hat. Frankreich hatte die Kolonialherrschaft über das Land abgegeben, wollte sich aber nicht von diesem strategisch wichtigen Hafen von Bizerte trennen. Nach blutigen Auseinandersetzungen musste Frankreich sich dann doch geschlagen geben.
Natürlich denken wir jetzt auch an die aktuelle Lage in der Ukraine, wo auch in diesem Augenblick ein Krieg wütet. Krieg ist so etwas von sinnlos, macht nur kaputt, was hinterher wieder aufgebaut werden muss, tötet Menschen, reißt Familien auseinander, zerstört soziale Strukturen und streut Hass. Vieles davon kann nicht einfach wieder repariert oder ersetzt werden. Es bleibt auf ewig zerstört, wegen irrwitziger Ideen und abstruser Vorstellungen.
Mit diesen schwermütigen Gedanken machen wir uns auf den Weg in die Stadt und landen schließlich in der Fischmarkthalle. Hier in der Hafenstadt ist das Angebot an frischem Fisch gewaltig. Stimmen überschlagen sich. Es riecht penetrant fischig. In den Auslagen türmen sich Doraden, Rotbarsche, Lippfische, Thunfische, Katzenhaie, Rochen und Oktopusse. Diese Aufzählung ist beliebig erweiterbar, ein Eldorado für Fischliebhaber.
Ein Händler preist uns für einen Spottpreis seine Langoustinen an.
Wir lachen zurück: „Wir haben doch keine Küche.“
Das lässt er nicht gelten: „Dann geht doch nach gegenüber ins Restaurant. Die grillen Euch Eure Einkäufe von hier.“
„Nein, das gibt es doch nicht.“
Und doch gibt es das. Mit 12 Riesengarnelen kommen wir über die Straße gewandert und werden sofort von einer Frau mit vielen Zahnlücken freundlich angesprochen.
„Kommt rein. Wir machen Euch den Fisch fertig.“
Es gibt Brot dazu. Wir haben die Auswahl zwischen verschiedenen Salaten und Dipps. Wer hätte das gedacht, dass wir schon wieder bei edelstem Essen mitten im Trubel sitzen und die Menschen um uns herum beobachten.
„Na, es ist ja auch immerhin schon halb zwei.“
Wir selbst hätten bestimmt wieder die Zeit vergessen und uns irgendwann ein trockenes Brot hineingeschoben.
Ein toller Strand im Norden
Am späten Nachmittag sind wir aufgebrochen, um in Richtung Tunis weiterzufahren, müssen dafür durch Bizerte hindurch, finden schließlich den Laden, in dem man hier Wein kaufen kann und müssen uns jetzt sehr beeilen, denn es ist fünf vor sechs. Um 18:00 Uhr werden hier die Pforten geschlossen.
Auf dem Rückweg zu unserem Geländewagen erschnuppern wir den Duft der gegrillten Hähnchen, die sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite an den Spießen drehen. Mit guten Einkäufen in der Hand erreichen wir unser Auto. Drei Jugendliche, die schon bei unserer Ankunft dort auf der Mauer hinter dem Bürgersteig herumlungerten, kommen auf uns zu und sprechen uns auf französisch an.
„Eh, das ist ja ein klasse Wagen? Schlaft Ihr da drin? Wart ihr damit im Süden, in der Wüste?“
Wir bejahen, geben bereitwillig Auskunft und freuen uns, dass ihnen unser Geländewagen gefällt.
„Wie ist er ausgebaut? Dürfen wir mal rein gucken?“
Ein kleines Zögern von unserer Seite. Was kann passieren? Doch die drei Jungs machen einen vertrauenerweckenden Eindruck auf uns. Sie sind begeistert.
Und trotzdem haben wir immer das Gefühl, beobachten zu müssen, ob nicht einer der drei schnell mal vorne reingreift, als sie mit uns ins Gespräch kommen.
„Ihr müsst unbedingt an diesen tollen Strand im Norden. Mit Eurem Wagen habt ihr kein Problem, dorthin zu fahren.“
Einer der drei schaltet sein Smart Phone ein. Er zeigt uns einen Film, in dem ein Mädel auf einem einsamen Felsenstrand ihrer Haare im Wind wehen lässt. Er beschreibt uns den Weg und zeigt auf der Karte des Navis den Ort dieses Strandes, dessen Koordinaten ich gleich abspeichere.
Ok, wir disponieren um. Also nicht weiter nach Osten in Richtung Tunis, sondern wieder zurück nach Westen, zu dem sagenumwobenen Strand.
„Das ist ja nur noch Sand! Außerdem sind wir hoch auf einem Berg! Guck’ mal, das Wasser ist da ganz unten. Und jetzt wird der Sandweg immer schmaler und führt steil bergab. Wie willst Du denn da drehen. Außerdem geht die Sonne gleich unter. Wenn wir dann feststecken holt uns keiner mehr raus.“
Ein Schwall von Ängsten prasselt vom Beifahrersitz auf mich herab.
„Ok, ich steige aus und gehe zu Fuss gucken“, gebe ich zurück, versinke draußen mit den Füßen tief im pudrigen Sand und gehe ein paar Schritte hinter die nächste Wegbiegung.
Gabi hat Recht. Der vom Navi angegebene Weg wird zum Hohlweg und führt auf gerader Strecke noch steiler bergab als bisher. Ein Hirte steht dort mit seinen drei Kühen und zwei Hunden. Ich gebe mich geschlagen. Es ist vernünftiger, hier nicht weiterzufahren.
Mit eingeschaltetem Allradgetriebe und der Untersetzung fahre ich die letzten 200 Meter rückwärts den Sandweg wieder herauf. Unser Wagen macht das gut mit. Nicht ein einziges Mal bleiben wir hängen, bis wir den Abzweig im Wald wieder erreicht haben. Dort erst kann ich drehen.
„Was nun?“
„Da war doch ein kleiner Schotterplatz kurz vor dem Gipfel den Berg hinauf. Lass uns doch für heute Nacht dorthin fahren. Da können wir dann das Meer von oben sehen. Und die Sonne verschwindet wirklich gleich hinter dem Horizont. Dann ist es hier ganz schnell dunkel.“
Wieder ein Schwall von Worten, der auf mich trifft. Ich stimme zu. Alles andere, um den angepriesenen Strand doch noch zu finden, ist Blödsinn.
So stehen wir für diese Nacht ungestört hoch über dem Meer, keine Hunde, keine Moschee stört die Ruhe hier oben. Nur ein Typ mit seiner Enduro muss um halb 11 noch einmal mit lautem Geknatter der Berg hinauf brettern. Und die Garde Nationale kommt mit vier Beamten im Wagen auf ihrer abendlichen Runde vorbei. Sie fragen uns, ob wir über Nacht hier bleiben wollten. Wir zeigen ihnen unsere Reisepässe, und schon sind wir ordnungsgemäß deklariert. Endlich mal wieder eine ruhige Nacht.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |