2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien
an der Ostküste: Die Kerkennah-Inseln
Eine wenig bekannte Inselwelt
„Komm, lass uns jetzt doch noch auf die Kerkennah-Inseln fahren,“ kam plötzlich der Wunsch in uns auf. Diese Inseln, nördlich von Djerba und 20 km vom Festland entfernt, waren eines der Ziele, die unser Reisegefährte Gerhard mit uns zusammen noch ansteuern wollte. Doch dazu ist es nicht mehr gekommen. Wir hatten uns zu dritt im Süden mehr Zeit für die Lehmbauten und die Berberstädte genommen, als geplant, und hatten schließlich die Kerkennah-Inseln, die Gerhard uns als besonders eindrucksvolle Landschaft vorstellen wollte, von unserem gemeinsamen Programm gestrichen.
Jetzt, um eine Zeit lang mal langsamer zu treten, runterzukommen von den vielen Eindrücken, die wir in so kurzer Zeit aufgenommen haben, rufen uns die Inseln praktisch zu sich herüber.
Die Kerkennah-Inseln wurden in römischer Zeit als Verbannungsort für unliebsame Mitbürger genutzt. Seit dieser Zeit gibt es dort Zisternen, in denen Regenwasser aufgefangen wurde, so dass die Versorgung mit Trinkwasser gewährleistet war. Später waren diese Inseln Stützpunkte von Berberkorsaren und Spaniern. Hannibal, der Heerführer, hat auf Kerkennah ein Fort errichtet, damit seine Tochter ihre Lungenkrankheit kurieren konnte. Das besondere Klima auf diesen Inseln, die salzhaltige, reine Luft ist auch das, was viele, die hier wohnen, sehr schätzen.
Unsere Entscheidung, auf diese Inseln zu fahren, ist also gefallen. Gerade noch standen wir auf dem Seitenstreifen vor dem Rathaus von Sfax. Jetzt, fünf Minuten später sind wir am geöffneten Tor vor der Anlegestelle der Fähre.
Und dann geht alles ganz schnell. Hektisch werden wir durchgewunken. „Sieben Dinare. Macht schnell. Das Schiff fährt schon los.“
Ich fingere die sieben silbernen Geldstücke aus meinem Portemonnaie und fahre auf das Schiff zu. „Halt, Polizeikontrolle. Die Ausweise bitte.“
„Ok, auch das noch“, obwohl wir Tunesien doch eigentlich gar nicht verlassen wollten. Die Reisepässe werden fotografiert, und bei schon ablegendem Schiff fahren wir noch auf die Laderampe.
„Das war knapp!“
Jetzt können wir uns wieder zurücklehnen, sehen den Hafen von Sfax hinter uns kleiner werden und haben Zeit unsere Büchern zu durchstöbern, um zu entscheiden, wo auf Kerkennah wir überhaupt hin wollen.
Angekommen auf den Inseln werden wir dann noch einmal polizeilich erfasst, die Reisepässe werden wieder fotografiert und wir sollen unseren Aufenthaltsort auf den Inseln angeben.
„Wir werden am Strand von El Funchal stehen“.
Das ist für die Beamten eine ausreichende Übernachtungsadresse.
Ein Strand mit Karibik-Flair
“Sidi El Fenkhal“ - da ist er, der Strand, den uns unsere Reiseliteratur empfohlen hat. Nicht reinweiß, wie auf Djerba, sondern mit Seetang und den Resten von Palmwedeln bedeckt. Die Wellen schwappen sacht gegen den Strand. Diese Bucht geht so flach ins Meer, dass man schon 100 Meter hineinlaufen muss, um in den Schwimmerbereich zu kommen. Dementsprechend warm ist das Wasser, eine Badewanne, hervorragend geeignet für Familien mit kleineren Kindern. Die wenigen Palmengruppen am Strand und im Hinterland geben dem Ganzen ein Karibikflair.
Im Wasser sehen wir fest eingebaute Fangnetze aus Palmwedeln, die in dieser Form schon seit hunderten von Jahren von den Fischern hier verwendet werden. Bei Ebbe fallen sie trocken. Jetzt bei Flut ragen die Netze nur knapp aus dem Wasser heraus.
Wir drömeln so in den Tag hinein, als eine Gruppe von vier Edellimousinen, eine von ihnen mit einem roten Kennzeichen, auf den Strand fährt. Jetzt stehen dort etwa 20 Menschen in schwarzen Anzügen, diskutieren miteinander, blicken auf’s Meer hinaus, dann in die Mitte der Insel. Mit den Händen werden Zeichnungen in die Luft gemalt. Einem kleineren, älteren Herrn wird immer mal wieder kameradschaftlich der Arm um die Schulter gelegt. „Das ist bestimmt der Geldgeber,“ meint Gabi ganz unverhohlen. „Die planen doch genau in diesem Augenblick an einem Hotelprojekt, das hier an diesem wundervollen Ort entstehen soll. Der Wagen mit dem roten Kennzeichen ist bestimmt einer der Regierung.“
Wahrscheinlich hat sie recht. Man plant tatsächlich seit 30 Jahren, so steht es in unserer Reiseliteratur, genau an diesem Strand eine Luxushotelanlage zu errichten. Zu unserem Glück ist es dazu bisher noch nicht gekommen.
Slim und Manuela
Dann kommt wieder ein Fahrzeug auf den Strand gefahren. Diesmal ist es ein weißer Seat. Ein sportlicher Mann im roten T-Shirt steigt aus und begrüßt uns voller Energie mit den Worten: „Salem, bonjour, welcome, bonjuorno, guten Morgen.“ Wir reden auf Deutsch weiter.
Der neu Angekommene ist Slim, ein Tunesier von der Insel Kerkennah, heute in Berlin lebend, der schon auf verschiedensten Teilen der Erde unter anderem auch als Reiseführer und Restaurantmanager gearbeitet hat. Hier auf seiner Heimatinsel hat er sich mit seiner Frau Manuela ein Haus gebaut. Hier verbringt er jedes Jahr seinen Urlaub, um weiter seinen Traum zu leben.
Wir plaudern über das Leben auf den abgeschiedenen Inseln, erzählen von unserer Begegnung mit den vier schwarzen Limousinen am Morgen und er fängt an, von “seinen Inseln“ zu schwärmen. „Das ist der beste Platz auf der Welt. Hier bleibt man gesund, allein wegen der guten Luft.“
Es gibt nicht einmal eine Krankenstation oder einen Arzt auf den Inseln. Wenn man hier krank wird, wendet man sich an die Krankenschwester im Hauptort “Remla“. Das ist übrigens die einzige Versorgungsmöglichkeit für Kranke auf diesen Insel.
Warum Slim auf die Idee kommt, gerade uns für den nächsten Tag zum Fischessen bei sich zuhause einzuladen, können wir nicht sagen. Er möchte uns gerne seine Inseln zeigen, mit uns zu einigen besonderen Spots fahren.
„Zum Mittag grillen wir dann Fisch bei uns zu Hause. Habt Ihr Lust dazu?“
Wir gucken uns an, denn eigentlich wollten wir heute weiter. Aber genauso gut könnten wir noch einen Tag hierbleiben. Wir schlagen ein und verabreden uns für den nächsten Tag um 9.00 Uhr am Kreisverkehr in Remla. Dort wird er uns abholen.
Auf der großzügigen Terrasse einer luxuriösen Villa mit Dachterrasse sitzen wir mit unseren beiden herzlich-freundlichen Gastgebern bei heute morgen frisch gefangenen Doraden, die Slim gerade eben vom Grill geholt hat.
„Mensch, schmecken die gut!“ Und auch der Salat, den Manuela gezaubert hat, braucht sich nicht zu verstecken. Dazu gibt es kühlen Boga, ein süßliches Getränk, das aus den Früchten des Affenbrotbaumes hergestellt wird und uns im Geschmack etwas an Gummibärchen erinnert.
Vor dem Essen sind wir mit Slim und Manuela in ihrem Mietwagen über die Insel gefahren, haben einen Abstecher zum Fort El Hassar gemacht, dem Fort, das Hannibal für seine Tochter hier errichten ließ und bekamen die Obstgärten gezeigt, in denen Orangen, Zitronen, Granatäpfel und andere Südfrüchte angebaut werden, immer aufgelockert durch Dattelpalmen, deren Früchte in großen Reben unter den Wedeln hängen. Ein gutes Klima, ein fruchtbarer, lehmiger Boden und Wasser aus 400 Meter tiefen Brunnen lassen hier den Obstanbau gedeihen.
Die Brunnen sind staatlich und werden den Einheimischen kostenlos zur Verfügung gestellt. Einblicke in eine andere Welt, die paradiesisch klingt, doch mit viel Arbeit und Engagement verbunden ist, haben sich uns durch diese intensiven Gespräche aufgetan.
zurück auf’s Festland
Wir stehen wieder vor der Fähre als drittes Auto in einer einspurigen Fahrbahn. Dieses Mal kommen wir nicht so pünktlich zum Schiff, wie bei der Hinfahrt, haben noch 80 Minuten Zeit bis zur Abfahrt, setzen uns etwas abseits in den schäbigen Warteraum mit abgebrochenen Sitzen und halten unsere Gedanken der letzen drei Tage fest.
Plötzlich wird es draußen hektisch. Autos hupen, Leute rennen suchend herum.
„Ich glaube, wir sollten zusehen, dass wir zum Auto kommen,“ meint Gabi zu mir schon etwas nervös. Und tatsächlich blockiert unser Geländewagen in der einspurigen Fahrbahn den gesamten nachfolgenden Verkehr.
Also, Füße in die Hand genommen, rein ins Auto und rauf auf’s Schiff.
Vom oberen Deck können wir jetzt das Einladen der Fahrzeuge beobachten.
Es wird gezirkelt und verschoben, bis alle Lücken zwischen den Autos fast vollständig geschlossen sind. Ein Platz ist noch frei geblieben. Die Sirene eines sich nähernden Krankenwagens lässt uns aufhorchen. „Der wird doch nicht . . . mit Blaulicht über die Fähre müssen.“ Doch, er muss!
Mit Sirene und eingeschaltetem Martinshorn fährt die Ambulanz als letztes Fahrzeug auf die Fähre. Die Schwester in der Krankenkabine muss jetzt die nächsten 90 Minuten den Verletzten betreuen, bevor der Wagen in Sfax seine Fahrt fortsetzen kann.
„Hoffentlich kommt er noch rechtzeitig an,“ drücken wir die Daumen. Ungünstigerweise steht die Ambulanz jetzt beim Ausschiffen ganz hinten auf dem Schiff. Jetzt heißt es: durchhalten.
Aufbruch: | 06.04.2022 |
Dauer: | 10 Wochen |
Heimkehr: | 17.06.2022 |