2022 Mit einem Geländewagen durch Tunesien

Reisezeit: April - Juni 2022  |  von Michael Bünte

im Norden: Ras Jebal

Am Abend auf einem Parkplatz über dem Meer

Nach endloser Suche haben wir in dem kleinen Städtchen Ras Jebal dann doch den Parkplatz über dem Meer gefunden. Dieser hier soll ruhiger sein, als der in Rafraf, den wir aus Park4Night angeboten bekommen haben; nicht so nahe einer größeren Stadt gelegen, nicht so viele Motorradfahrer, die noch auf eine Runde dorthin fahren, bei laufenden Motoren und Musik eine Zigarette rauchen und Lärm und Unruhe in der Nacht verbreiten.
Unser Navi hatte uns am Abend mitten durch die belebte Innenstadt geführt, durch engste Gassen, in denen die Menschen beim Tee an ihren Tischen so weit auf dem Kopfsteinpflaster saßen, dass unser Wagen nicht mehr vorbei passte. Tische wurden gerückt, Stühle verschoben, Motorroller zur Seite gestellt, nur weil wir mit unserem großen Geländewagen ausgerechnet dort entlang fahren wollten.
Wir haben nicht einen einzigen bösen oder verständnislosen Blick bekommen. Die Leute in den Straßen, auch die, die rücken mussten, winkten uns zu und begrüßten uns mit Hallo. Für uns hingegen war die Grenze einer gewissen Peinlichkeit erreicht. Wir sind eine Trennung zwischen Caféterrasse und Straße gewöhnt. Hier wird improvisiert und man arrangiert sich.
Und nun stehen wir vor einem großen Sandhaufen, der mitten auf der Straße liegt, die dahinter aufgerissen ist. Da gab es keinen Hinweis auf eine Baustelle, geschweige denn auf eine gesperrte Straße - jedenfalls nicht auf Französisch. Ein Schild in arabischer Schrift haben wir offensichtlich auch nicht übersehen, denn viele Autos folgen uns in diese Sackgasse.
Also rückwärts um die letzte Ecke wieder raus, Navi ausschalten und den Ratschlägen der Passanten folgen. Das war die einzige Möglichkeit, den richtigen Weg zu finden.

Jetzt, eine viertel Stunde später, stehen wir etwa zehn Meter über dem Sandstrand von Ras Jebal und werden einen ruhigen Abend verbringen können. Der rote Mond kommt gerade hinter dem Horizont hervor. Die schwarzen Wellen rauschen gleichmäßig auf den flach ansteigenden Sand. Ein steiler Pfad führt hinunter zum Strand.
„Soll ich herunterfahren, damit wir direkt am Wasser stehen. Das kann unser Auto.“ „Bist Du verrückt. Da kommen wir doch nie wieder herauf“, ist die Antwort meines Gegenübers. Ich bin da anderer Meinung, will aber nichts heraufbeschwören und lasse diesen Gedanken wieder fallen.

der Parkplatz oberhalb des Strandes von Ras Jebal

der Parkplatz oberhalb des Strandes von Ras Jebal

Ein Strandrowdy

Jetzt kommen noch andere Autos auf den Parkplatz gefahren. Arabische Disco-Musik ertönt, laute Rufe schallen durch die Nacht.
„Ist ihr gutes Recht. Es ist immerhin ihr Land. Wir sind hier nur zu Gast.“
Ein Zelt ist jetzt unten am Strand aufgebaut worden, ein Lagerfeuer flackert, ein schwerer Geländewagen, ein Toyota, etwas jünger als unserer, versucht vorsichtig die schmale Piste zum Strand hinunterzufahren.
„Siehst Du, geht doch. Andere machen es auch.“
Der Wagen unten auf dem Strand hängt fest. Der Sand ist zu locker, und der Fahrer hatte seinen Allradantrieb noch nicht eingeschaltet. Jetzt steigt er aus. Ein junger Mann, der ein fünfjähriges Kind auf seinem Tripp mitgenommen hat, geht um das feststeckende Fahrzeug herum. Deutlich zischt es, als er Luft aus den Reifen ablässt. „Ach ja, das kennen wir inzwischen auch.“
Laut heult der Motor wieder auf, als der Wagen mit irrwitzigen Lenkbewegungen über den Strand pflügt und tiefe Furchen in den Sand gräbt, knapp an dem dort stehenden Zelt vorbei. „So ein Irrer.“
Nach 100 Metern endet die Fahrt vor einer Felswand. Er dreht eine Pirouette und kommt zurückgeschleudert, rast zwischen Lagerfeuer und Zelt hindurch, um sich dann mit unverminderter Geschwindigkeit der schmalen Piste zu uns herauf zu nähern. Nochmaliges Runterschalten, der Motor brüllt auf, und der Wagen zieht sich den sandigen Hang wieder hinauf. „Was ein Wahnsinn.“

"Wir befinden uns in einem muslimischen Land !"

Inzwischen hat sich der Parkplatz gut gefüllt. „Von wegen, hier ist es ruhiger.“ Hier ist Samstagabend-Discostimmung. Eigentlich haben wir mit uns etwas zu feiern, aber unser Tischchen einfach so zwischen die Autos zu stellen finden wir sehr ungemütlich und unpassend.
„Lass uns doch auf unser Dach steigen. Da haben wir einen guten Blick und der Platz ist für uns.“
Wir stellen also alles, was wir für unseren Ausflug auf die „Dachterrasse“ brauchen, auf die Klappe unserer geöffneten Außenküche: Unsere zwei Weingläser, je eine Flasche mit Rot- und Weißwein, Grissini, Oliven, Korkenzieher, Kerze und die Tischdecke; alles das steht jetzt säuberlich aufgebaut auf der Anrichte, bereit zum Dach hinaufgereicht zu werden.
Ein Tunesier, der gerade eben seinen Wagen dicht neben unseren geparkt hat, spricht uns auf Englisch an, fragt, wie wir Tunesien finden, und was wir alles schon gesehen haben. Die üblichen Fragen also, leicht zu beantworten.
Dann erklärt er uns, dass dieser Parkplatz hier gerade an Wochenenden von vielen Jugendlichen besucht wird die feiern, und nicht nur Musik, sondern auch Alkohol mitbringen. Er hält den Platz nicht für besonders sicher für uns.
Wir sollten lieber ein Dorf weiter fahren. „Es sind nur 5 Kilometer“. Dort gäbe es einen kleinen, ruhigen Parkplatz am Ufer.
Unser freundlicher Helfer - Osama heiße er, aber nicht Bin Laden - so stellt er sich uns vor, ist noch dabei, uns den Weg zu dem anderen Platz zu beschreiben, als ich hinter unserem Fahrzeug zwei rote Lichter blinken sehen. „Aha, die Polizei,“ denke ich noch, und schon sind wir von dunkel gekleideten Männern umringt.
Wir beginnen in Französisch, doch unser Helfer springt ein und spricht mit den Polizisten in ihrer Sprache. Dann kommt er zu uns zurück: „Könntet Ihr bitte sofort die alkoholischen Getränke außer Sicht stellen. Wir sind in einem muslimischen Land.“
„Verdammter Mist“, daran hatten wir natürlich nicht gedacht. Die beiden Flaschen des Anstoßes sind schnell weggepackt. Wir erklären noch, dass wir jetzt zu dem Nachbarort wechseln werden und räumen unsere Utensilien ins Auto zurück. Osama gibt uns noch schnell seine Telefonnummer „für alle Fälle, falls Ihr Hilfe braucht“, dann rollen wir vom Platz. Die Polizisten nicken zufrieden.

Der Fahrschullehrer

Die Nacht war laut, voller Störungen von endlos kläffenden Hunden, von Motorrollern, die zyklisch unseren neuen, “ganz ruhigen“ kleinen Parkplatz ansteuerten, von dem Muezzin aus der Moschee neben dem Platz um 5.30 Uhr, von den Ziegen, die früh morgens ihren Weg über den Platz nahmen. Wir hätten besser das Zeltdach unten lassen sollen. Und der Platz war dreckig, gepflastert von Tüten und Unrat.
Jetzt nach dieser unruhigen Nacht sind wir zum Frühstück wieder zurück auf dem Parkplatz von gestern Abend, mit Blick auf das Meer, hoch über dem Strand. Wir sitzen an dem kleinen Klapptisch neben unserem Toyota.
Ein VW-Golf mit Fahrschulschild dreht langsam seine Kreise auf dem mit Schlaglöchern übersäten Parkplatz. Als er das dritte Mal an unserem Frühstückstisch vorbeikommt, spricht der Fahrlehrer uns an. In gutem Französisch erklärt er uns: „Das ist ein Fahrschulfahrzeug. Heute üben wir das Lenkverhalten, morgen mache ich die “Patinage“, also das Fußspiel mit Gas- und Kupplungspedal. Der Fahrlehrer scheint stolz auf seinen Beruf zu sein, und ihn mit Freude auszuüben.
Uns kommt es etwas befremdlich vor, dass seine Hand während der Übungen auf dem Hinterkopf des Fahrschülers ruht. Ist das zur Beruhigung? Gibt er ihm damit irgendwelche Zeichen? Oder ist das hier ein übliches Verhalten eines Lehrers seinem Schüler gegenüber?

Fahrschulstunde auf dem Parkplatz

Fahrschulstunde auf dem Parkplatz

Autowäsche auf dem Parkplatz

Im Hintergrund vor dem Waldrand sehen wir einen Mann, der uns vorher freundlich beim Frühstück angesprochen hatte, sein Auto waschen, indem er nach und nach mit Wasser gefüllte PET-Flaschen aus seinem Kofferraum holt, diese über sein Fahrzeug gießt, das er dann mit einem Lappen abreibt. Die PET-Flaschen landen nach Gebrauch in hohem Bogen im Wald.
„Das gibt es doch nicht! Ich gehe da jetzt hin und stelle ihn zur Rede“, wütet es in mir.
„Verärgere die Leute nicht,“ meint Gabi vorsichtig. „Nimm doch eine Tüte mit und sammele die weggeworfenen Flaschen ein“, schlägt sie vor.
Also stehe ich kurze Zeit später vor dem Autowascher und halte ihm, als die nächste Flasche leer ist, eine schwarze Plastiktüte vor die Nase. „Geben Sie sie mir. Ich schmeiße sie für Sie weg.“ Er hat verstanden, nickt und sammelt beflissentlich seine in den Wald geworfenen PET-Flaschen in meine Tüte hinein. Ohne Gesichtsverlust können wir uns gegenseitig verabschieden.
Ich habe ihm nur ein Zeichen gesetzt. Wie er sich in Zukunft verhalten wird, liegt nicht mehr in unserer Hand.

Maulbeeren

Immer noch sitzen wir an unserem Frühstückstischchen und beobachten die Leute um uns herum. Jetzt kommt ein älteres Ehepaar, das sein Fahrzeug neben unserem abgestellt hat, gerade vom Strand zurück. Sie steigen ein, doch der Motor wird noch nicht gestartet. Sie scheinen etwas zu beratschlagen. Dann steigt die Frau wieder aus, kommt zu uns heran und zeigt uns ihre Ernte. Es sind Maulbeeren, weiße, rosa und schwarze. Sie gibt uns die Beeren zum Probieren
„Die weißen Beeren sind süßer. Die werden mehr von den Frauen geliebt. Schwarze Beeren bevorzugen meist die Männer“, sagt sie.
Dann fragt sie uns, ob wir ein Behältnis haben. Wir wollen höflich ablehnen, doch sie insistiert. Schließlich geben ihr den Deckel unserer Käseschachtel. Dort hinein schüttet die Frau einen Teil ihrer Ernte. Sie ist so glücklich darüber, uns eine Freude machen zu können. Gerührt über diese Freundlichkeit danken wir dem Ehepaar sehr herzlich. Unter heftigem Winken fahren die beiden davon, und wir haben eine wunderbare Ergänzung für unseren Vitaminhaushalt.

Camperfrühstück

Camperfrühstück

geschenkte Maulbeeren

geschenkte Maulbeeren

Minyar und Elaâ

Eine Familie kommt vom Strand herauf, frisch gebadet und ausgelassen. Ein Mädchen von etwa 18 Jahren sieht mich mit den Fotoapparat in der Hand, flüstert etwas zu ihrer Freundin und bittet uns in gutem Französisch, sich mit uns fotografieren lassen zu dürfen.
„Ok“, wir haben ja mitbekommen, dass sich die Tunesier gerne ablichten lassen. Wir kommen ins Gespräch, erzählen von unseren Erfahrungen und Erlebnissen in Tunesien, lehnen ein Interview ab, das die beiden gerne in Instagram veröffentlichen wollten, und kommen auch schließlich auf das Thema “Müllverhalten“ in Tunesien zu sprechen.
Minyar und ihre Cousine Elaâ sind sehr aufgeschlossen, sehen das Umweltverhalten ihrer Mitbürger auch sehr kritisch und engagieren sich dafür, die Umwelt und die Natur zu schützen. Es ist ein sehr herzliches Gespräch, das einen Hoffnungsschimmer in uns zurücklässt.

So viele Begebenheiten, so viele Eindrücke innerhalb so kurzer Zeit.
Und alles auf dem einen Parkplatz hoch über dem Sandstrand von Ras Jebal.

Minyar und Elaâ. Zwei Naturschützerinnen

Minyar und Elaâ. Zwei Naturschützerinnen

eines unserer Themen mit Minyar und Elaâ.
"Das Problem mit dem Müll"

eines unserer Themen mit Minyar und Elaâ.
"Das Problem mit dem Müll"

Müllsammelaktion in Ras Jebal
(Foto aus einer später gekommenen WhatsApp Nachricht von Minyar)

Müllsammelaktion in Ras Jebal
(Foto aus einer später gekommenen WhatsApp Nachricht von Minyar)

© Michael Bünte, 2022
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Die Reise
 
Worum geht's?:
Wir starten in Hamburg und reisen mit einem Toyota HZJ78 über Neapel nach Tunesien. Dieses ist der Bericht unserer zehnwöchigen Reise.
Details:
Aufbruch: 06.04.2022
Dauer: 10 Wochen
Heimkehr: 17.06.2022
Reiseziele: Tunesien
Der Autor
 
Michael Bünte berichtet seit 26 Monaten auf umdiewelt.
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